Alice Wilczynski
No Go: Ein Pokémon-Fan rechnet ab!Ein Kommentar von Alice Wilczynski, 22.07.2016
16 Jahre lang bin ich nun schon Pokémon-Fan. Angefangen mit Pokémon Gelbe Edition sowie dem morgendlichen Ritual aus Cornflakes und der Pokémon TV-Serie verschlang ich alle erdenklichen Handheld-Umsetzungen und gebe jedes Mal quietschende Geräusche von mir, wenn ich Merchandise von Pummeluff oder Evoli sehe. Ich wurde oft für mein Interesse an den kleinen Monstern belächelt. Um mal ein aktuelles Beispiel zu nennen: Jeder neue Trailer zu Pokémon Sonne&Mond, dem kommenden Ableger für den 3DS, ließ mir Freudentränen in die Augen schießen. Die Reaktion meiner Kollegen? Seufzen, Augen verdrehen und Aussagen wie „Wer spielt denn schon Pokémon“? Wirklich gestört hat mich das allerdings nie. Ehrlich gesagt war es sogar immer ein schönes Gefühl, seine ganz spezielle Nische zu haben. Meine Pokémon-Welt, die ich nur mit ein paar Menschen in meinem Umfeld teilen kann. Denn jeder, der sich einmal ernsthaft mit dem Spiel beschäftigt hat, wird merken, wie vielschichtig und strategisch, gleichzeitig aber auch süß und entspannend dieses Rollenspiel-Light doch ist. 

Aber dann kam Pokémon Go. Der mobile Ableger, der nur wenige Elemente der Spielmechanik übernimmt, mit In-App-Käufen würzt und trotzdem gerade sehr erfolgreich die ganze Welt zum kostenlosen Download animiert. Allein auf Google Play wurde der Rotz zehn Millionen Mal runtergeladen. Dass man dabei etliche Rechte abgeben muss (wir berichteten) interessiert natürlich wie immer keine Sau. Dass immer mehr Firmen Fundorte sponsern auch nicht.

Stellt euch vor, jemand nimmt euer Lieblingsspiel, macht ein kompaktes kleines Scheißspiel draus und jeder findet es megacool. Und mit jeder meine ich JEDER. Meine nörgelnden Kollegen spielen es, meine Eltern spielen es, junge und alte Menschen spielen es. Jede Internetseite, jeder Radiosender, jeder Fernsehsender berichtet darüber. Ich habs wirklich versucht, aber ich kann es einfach nicht mehr brav ignorieren.

„Spielst du eigentlich auch schon Pokémon Go?“ Jeder, der mir diese Frage stellt, wird erstmal angefaucht. Ich hasse Handyspiele. Bis auf wenige kreative Ausnahmen wie Monument Valley oder Hitman Go konnte mich das Spielen am Smartphone einfach nicht überzeugen. Ich mag vollwertige Spielerfahrungen, wo man sich Zeit nimmt und nur auf das Erlebnis konzentriert. Wo sich Entwickler noch echte Gedanken zum Spieldesign gemacht haben, anstatt zu psychologischen Tricks zu greifen, um möglichst viel Gewinn zu machen. Sich in der Bahn mit einem billigen Match-3-Spiel mal eben schnell die Zeit zu vertreiben und womöglich nebenbei noch auf Facebook zu chatten und seine Termine im Kalender einzutragen – das ist für mich ein ekelhafter Spieltrend unserer Zeit.

„Aber Pokémon Go hat viele Elemente aus dem echten Spiel übernommen, außerdem wird man zur Bewegung animiert und lernt viele neue Leute kennen.“ BULLSHIT! Wie ich in den letzten Wochen täglich mitbekommen musste, haben die meisten Pokemon-Go-Spieler keine Ahnung von Pokémon. Weder was Effektivitäten sind, dass es verschiedene Typen gibt, geschweige denn ein Titellied. So gebe ich verzweifelt hier und da Tipps, um den Poké-Noobs wenigstens etwas von meinem über Jahre erspielten Wissen auf den Weg zu geben. Dann wird kurz genickt und wieder mit verkrampfter Halsposition auf das Handydisplay gestarrt. Pokémon Go wird von den meisten gerade gespielt, weil es in ist. Nicht etwa weil Interesse für das Spielprinzip besteht. Jeder, der sich für Spiele interessiert, weiß, dass das Kampfsystem eine Schande ist. Man fängt Pokémon durch wischen, man kämpft durch kurzes oder langes Tippen und das Schlimmste: Man kann sein Move-Set (die Zusammenstellung der Attacken) nicht mehr selbst zusammenstellen. Jedes gefangene Pokémon besitzt zwei zufällige Attacken auf die man als Spieler keinen Einfluss mehr hat.

Für mich ist das so, als könnte Mario in seinen Spielen nicht mehr hüpfen. Es gibt für einen Pokémon-Fan nichts Schöneres als aufzuleveln und sich entscheiden zu müssen welche Attacke als nächstes erlernt werden soll. Da man nur vier Attacken zur Verfügung hat, muss man sich genau überlegen, ob man sein Pokémon beispielsweise eher zum Annoyer mit Gift- oder Schlafattacken hochzieht, oder doch auf seine hohe Angriffskraft vertraut.

„Aber die Bewegung!“ Achja: BULLSHIT! Wer sich wirklich bewegen will, der tut es bewusst. Der geht raus in die Natur, schwingt sich auf sein Fahrrad, oder geht zum Sport. Der läuft nicht stundenlang durch die Gegend und starrt dabei permanent auf ein elektronisches Gerät. Natürlich, hier und da entdeckt man Orte, die man sonst nicht aufgesucht hätte. Aber zu welchem Preis? Braucht ihr wirklich erst ein Free-to-Play-Spiel, um die Sehenswürdigkeiten eurer Stadt zu besuchen?

Genauso gestaltet es sich mit der vermeintlich sozialen Komponente. Ist es also wirklich so weit gekommen, dass wir erst ein Handyspiel brauchen, um mit anderen Menschen zu reden, oder uns zu verabreden? Mittlerweile gibt es als Alternative zu Tinder sogar eine Pokémon-Go-Partnerbörse , damit man gemeinsam gekrümmt mit dem Handy herumlaufen kann.

Reden wir doch zum Abschluss noch über die Essenz jedes Free-to-Play-Spiels: Das Suchtpotenzial. In der letzten Zeit wurde mir von meinen Mitmenschen immer wieder weisgemacht, dass sie Pokémon Go nur so nebenbei spielen. Von Sucht könne da nicht die Rede sein. Dennoch hängen alle nur noch vor ihrem Handy, checken schon morgens ihre Sammlung und suchen nach Ausreden, um mal eben den Pokéstop ums Eck zu besuchen. Natürlich will man der Allerbeste sein und das erreicht man nur, indem man entweder Geld ausgibt, oder möglichst viel Zeit mit dem Spiel verbringt. Also verschwenden wir unsere Zeit jetzt nicht nur auf den zahlreichen Social-Media-Plattformen, sondern beschäftigen uns andauernd mit unserem Handy. Wie wäre es denn, wenn man einfach nochmal in sich geht, die App löscht, ein gutes Buch oder Videospiel in die Hand nimmt und sich wieder in wirkliche Abenteuer stürzt? Besucht die ganzen neuen Ecken, auf die ihr angeblich nur durch Pokémon Go gestoßen seid, doch einfach nochmal. Aber diesmal offline.


Alice Wilczynski
Video-Redakteur

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