Jörg Luibl
Die schwächste Gamescom seit BestehenEin Kommentar von Jörg Luibl, 22.08.2016
Die Pforten sind geschlossen, die Bilanzen werden gezogen: 345.000 Besucher aus 97 Ländern tummelten sich am Rhein. Das ist kein neuer Rekord, aber Stagnation auf sehr hohem und überaus lukrativem Niveau. Die Hallen waren trotz des strengeren Sicherheitskonzeptes und einiger Sam Fishers ohne Waffe rappelvoll. Die Veranstalter sind zufrieden und verkünden stolz:

"Die gamescom hat in diesem Jahr eindrucksvoll bestätigt, dass sie nicht einfach nur eine Videospiel-Messe ist, sondern ein 360-Grad-Event zur Zukunft des digitalen Entertainments. (...) Das Wachstum im Bereich der nationalen und vor allem internationalen Aussteller unterstreicht die hohe internationale Relevanz der gamescom als wichtigste Business-Plattform der europäischen Games-Branche."

Moment - war das dieselbe Messe, über die wir berichtet haben? Aus journalistischer Sicht sieht die Bilanz ganz anders aus: Diese Gamescom 2016 war nicht nur eine Enttäuschung, sondern auch die schwächste seit ihrem Bestehen. Noch nie gab es aus Pressesicht so wenig interessante Themen gerade was die Zukunft der Spielebranche betrifft. Von internationaler Relevanz ganz zu schweigen.

Wo waren PlayStation 4 Neo oder Nintendo NX? Immerhin wird Sony am 7. September in New York etwas Hochpreisiges mit vielen Teraflops enthüllen, quasi eine PS4 auf Speed, die aber parallel zur alten existieren soll, ohne die "Community zu spalten". Ach so, da soll übrigens auch eine schlanke Version der PlayStation 4 präsentiert werden. Was erfuhr man über diese neue Hardware von Sony? Nichts. Dann muss sie ja recht überflüssig sein.

Apropos Zukunft des digitalen Entertainments und Köln: Nintendo NX was not in the house! Im März kommt nach der enttäuschenden Wii U eine neue Konsole, die unheimlich wichtig für die Japaner und den Wettbewerb ist. Angeblich etwas Tragbares mit abnehmbaren Controllern, die Smartphone-Nutzer ansprechen soll. Ubisoft ist übrigens schon sehr angetan davon, hat einen "großartigen Eindruck", und Analysten prophezeien Erfolg bei "Unter 12-jährigen und Familien". Was erfuhr man abseits dieser gezielt platzierten PR in Köln? Nichts.

Weder Sony noch Nintendo sehen in diesem deutschen Event die nötige Relevanz für Hardware-Vorstellungen - es gab ja nicht einmal Pressekonferenzen der großen Konsolenhersteller. Köln und Visionen passt scheinbar nicht zusammen. Natürlich geht es im Hintergrund um Marketingstrategien: Sony will vermeiden, dass PlayStation VR und PlayStation 4 Neo vom Verbraucher vielleicht als recht teure Einheit betrachtet werden, nennt das ein "Missverständnis " - ganz einfach, weil das Weihnachtsgeschäft auf Umsatz mit VR innerhalb der installierten Basis aktueller Konsolen ausgerichtet ist.

Dass Project Scorpio in Köln noch keine Rolle spielte, obwohl diese Very-Premium-High-End-Konsole die Dominanz der PlayStation 4 brechen soll, ist angesichts des Release Ende 2017 vielleicht verständlich. Vielleicht weiß Microsoft aber selbst noch nicht, was sie da eigentlich für wen entwickeln, schließlich wird das "Gaming beyond console generations" - also doch ein PC! Aber weg von dem diffusen Hardwaregefasel, hin zur spannenden Software: Wo waren die großen Neuankündigungen? Ja wo? Es gab keine Neuankündigung auf höchstem internationalen Niveau. Metal Gear Survive klingt zwar so, ist aber nur Nachschlag und wurde eher ausgepfiffen als beklatscht.

Festhalten, hier kommen die interessantesten neuen Titel: The Sexy Brutale, Wilson's Heart, The Unspoken, im weitesten Sinne auch das bereits bekannte Little Nightmares.  Also hat diese Gamescom 2016 zumindest für die kleinen Spiele und Independent-Projekte einen Stellenwert, zumal es mit der GDC Europe und der Respawn gleich zwei Konferenzen inkl. Vorträge gibt. Aber selbst diese sind kein Alleinstellungsmerkmal. Und im Vergleich mit früheren Jahren oder gar der E3 sind diese Neuankündigungen ein Witz.

Was für uns wesentlich ernüchternder ist: Viele große Publisher nutzen die Kölner Veranstaltung nur noch, um Material aus Los Angeles aufzuwärmen oder tatsächlich bekannte (!) Trailer zu zeigen. Wir mussten noch nie so oft überlegen, ob wir überhaupt eine Vorschau anbieten - so viel wurde noch nie recycelt. Natürlich ist die Nähe zwischen E3 im Juni und Gamescom im August schon immer problematisch gewesen: Wie soll man der Presse in dieser kurzen Zeit etwas Neues anbieten? Aber in der Vergangenheit hatte man sich zumindest bemüht, andere Spielmodi oder Level zu zeigen. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass die klassischen Messen und konventionellen Medien gar nicht mehr so wichtig sind, um Titel bekannt zu machen - ein Twitterpost zu Red Dead Redemption 2 ist günstiger und effektiver als eine Ausstellungsfläche.

Für den Privatzocker war das sicher ein toller Event voller Spiele, Cosplayer, eSport und YouTube-Stars, bei dem man endlich mal selbst Virtual Reality erleben konnte. Zwar fragen wir uns, warum sich viele diese ewige Warterei antun, um nur ein paar Minuten zu zocken. Aber die Faszination an Gemeinschaft, Rahmenprogramm & Co sowie das verbindende Element des digitalen Hobbys darf man icht unterschätzen, wie unsere Video-Reportage zeigt.

In dieser Art wird die Gamescom in Köln weiter an Festival-Charakter gewinnen und für Spieler gut funktionieren, aber für Fachpresse hat sie dieses Jahr stark an Relevanz verloren. Die interessantesten Themen werden bald in New York und Tokyo, danach wie immer in Los Angeles präsentiert. Und auch die Ende Oktober deutlich besser positionierte Paris Games Week könnte an Stellenwert gewinnen.


Jörg Luibl

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