Jörg Luibl
E3 2017: Gewinner, Verlierer und ein Gott ohne HammerEin Kommentar von Jörg Luibl, 13.06.2017
Auf der E3 in Los Angeles geht es nicht nur um Termine, Fakten und Portfolios, sondern immer auch um Emotionen und Visionen - zumindest auf den Pressekonferenzen. Das ist wie ein kultisches Vorspiel, in dem die Priester auf der Bühne breit grinsend das Spieleparadies auf Erden prophezeien. Ein Schriftzug mit Melodie reicht manchmal, um Erwachsene in Kleinkinder zu verwandeln; auch ich bin da nicht immun.

Natürlich gibt es das Paradies lediglich exklusiv, nur mit diesem einen geilen Gott - da sind sich Monotheismus und Kapitalismus in ihrer Heilsbotschaft ähnlich.  Und die im Saal versammelten Jünger jubeln selbst dann hysterisch, gerne auch mit Presseausweis, wenn es Marketingphrasen oder Xbox-Spiele aus dem Jahr 2002 regnet. Oder wenn für die "stärkste Konsole der Welt" einfach gar kein Spiel gezeigt wird, das nur ansatzweise die 499 Euro für diese sechs Teraflops rechtfertigen würde.

Ja, Klappern gehört zum Handwerk. Ja, das ist Amerika und die Show muss sein. Und ja, in den letzten Jahren stehen zumindest nicht mehr die Zahlen, sondern die Spiele im Vordergrund. Außerdem kann es tatsächlich echte Gefühle geben, wie die verdrückte Träne von Michel Ancel bei der Vorstellung von Beyond Good & Evil 2. Aber wie dämlich diese Selbstbeweihräucherung immer noch wirken kann, hat Devolver Digital schonungslos in einem herrlichen Theaterstück karikiert - es ist schön, auch in dieser Branche mal das andere, das kritische Amerika zu sehen.

Zur Ehrenrettung von Microsoft muss man sagen, dass man Forza Motorsport 7 im Gepäck hatte und es sich bei der Xbox One X, zumindest dem Namen nach, nicht um einen klassischen Systemwechsel handelt, bei dem ein Line-up mit kommenden Spielen verpflichtend wäre. Ähnlich wie bei der PlayStation 4 Pro geht es also lediglich um ein Hardware-Upgrade. Trotzdem hatte Redmond alle Joker in der Hand für einen echten Konter, um nach all den Jahren der technischen Unterlegenheit an Sony vorbeizuziehen und, gerade als einer der Big Five der Tech-Branche, mit einer starken Vision nachzulegen.

Also eine, die nicht nur auf kommende Spiele, sondern auch auf Augmented sowie vor allem Virtual Reality neugierig macht. Oder um einen Begriff von Microsoft zu verwenden: Was passiert mit Mixed Reality oder HoloLens auf eurer Konsole? Hatte Pete Hines nicht mal gesagt, dass diese Xbox One X dank ihrer Teraflops alle Voraussetzungen für faszinierendes VR bieten würde? Was wird gezeigt, während sich Sony weiter mit dem vermeintlich schwächsten System namens PlayStation VR neben Oculus Rift und HTC Vive etabliert? Nichts! Aus strategischer Sicht war der Auftritt von Phil Spencer eine einzige Enttäuschung.

Ich hatte nicht erwartet, dass man Sonys spielerische Dominanz brechen würde - dafür ist das Angebot für dieses und nächstes Jahr einfach viel zu gut, weil die Japaner ihre Studio- und Akquisekultur besser gepflegt haben, während Microsoft sie in guter alter Manier kurzrasiert; hallo Scalebound! Ich hatte allerdings erwartet, dass Microsoft den Kampf offensiv annimmt und mehr inhaltliche Stärke zeigt, zumal Phil Spencer ankündigte, dass man weiter Risiken eingehen müsse. Außerdem müsste man spätestens seit Halo aus eigener Erfahrung wissen, wie stark eine Konsole von einem exklusiven Abenteuer profitieren kann. Aber die Xbox One X ist ein Gott ohne exklusiven Hammer. Eine Maschine ohne Roadmap außer dem einen Mantra - Power für 4K. Und selbst die muss man sich ausleihen.

Man benötigte die Krücken von Electronic Arts und Anthem, um grafisch zu beeindrucken. Das erscheint bekanntlich auch für PC sowie PlayStation 4. Und Anthem kommt einem trotz seiner exotischen Pracht so verdächtig bekannt vor, weil es natürlich am Marketingreißbrett entstanden ist, weil es die strategische Antwort auf Activision Blizzard und Destiny 2 sein soll: Schaut her, das können wir auch - nur noch größer. Die Transformation von BioWare ist damit abgeschlossen. Jetzt sind sie der Hausmeister mit der Frostbite-Schaufel. Glück auf, die Crunchtime kommt in Zehnjahreszyklen!

Aber immerhin nimmt Electronic Arts den Kampf an, hatte mit A Way Out sogar noch ein interessantes neues Abenteuer mit Splitscreen-Fokus in petto. Microsoft hingegen wirft mit Wattebäuschen und Worthülsen. Da wird man von "Exclusives" und "World Premieres" beschallt und präsentiert nichts, was die Xbox One X rechtfertigen würde.

Nach dieser Pressekonferenz ist klar, dass man als Spielehersteller mit seinen First-Party-Teams gar keine kreative Vision mehr verkaufen will, sondern einen Service. Man möchte die "Xbox-Familie" so vielfältig wie möglich füttern. Früher wurde man wenigstens noch ordentlich mit Grafikdemos verarscht, hallo Killzone 2, mittlerweile ist die erwartete Kaufschwelle scheinbar so niedrig, dass auch 8-Bit-Sprites und PC-Umsetzungen aus dem Early Access reichen. Oder glaubt man ernsthaft an die Strahlkraft von Sea of Thieves, das als Teraflop-Underperfomer auch Switch gut stehen würde? Auch die drei für mich interessantesten Spiele der Xbox One, nämlich Ashen, Ori and the Will of the Wisps sowie das unheimlich eindringliche The Last Night könnten locker ohne 4K-Power begeistern.

Microsoft hat das Momentum nicht genutzt. Denn Sony hat sich am Rande der E3 nicht nur kräftig mit seiner Online-Blockade für Rocket League blamiert, sondern konnte angesichts all der Premieren des letzten Jahres auch nicht begeistern. Auf der Pressekonferenz wurde, bis auf das Remake von Shadow of the Colossus, nichts großes Neues wie etwa das kolportierte Phantom Wail oder gar Bloodborne 2 von From Software angekündigt. Aber selbst die exklusive "Reserve" reichte für einen soliden Auftritt, denn auch Spider-Man, Days Gone, God of War oder Detroit: Become Human deuteten mehr Qualität an als noch 2016. Angesichts der Nullnummer von Microsoft musste man nicht mal Final Fantasy 7, Dreams oder Wild zeigen, von Kalibern der Marke Death Stranding oder The Last of Us 2 ganz zu schweigen. Für die Highlights sorgten zwei andere Publisher.

Der Schulterschluss zwischen Guillemot und Miyamoto für Mario Rabbids: Kingdom hatte nicht  nur symbolische Bedeutung: Ubisoft und Nintendo sind die überraschenden Gewinner dieser E3. Die Franzosen, weil sie neben den kreativ stagnierenden Triple-A-Marken Far Cry 5 und Assassin's Creed Origins einige neue Ideen wie Transference, Starlink, Skull & Bones und natürlich Beyond Good & Evil 2 präsentierten. Die Japaner, weil sie neben all dem putzigen aus Yoshi, Kirby, Pokémon & CO noch etwas wie Xenoblade Chronicles 2, dazu Super Mario Odyssey und etwas Großartiges wie Metroid Prime 4 ankündigten, das einen schon mit einem Schriftzug in ehrfürchtige Erwartung versetzt. Warum? Weil da eines der besten Action-Adventures aller Zeiten nach zehn Jahren weitergeführt wird - das ist für Kenner dieses Genres so hoch anzusiedeln wie die Ankündigung eines Half-Life 3. Allerdings muss man diese Traditionen, mit denen so viel Faszination verbunden ist, natürlich haben.

Da kann Microsoft nicht mithalten. Aber vielleicht könnten sie etwas von Nintendo lernen: Auch wenn mich Switch als Spieler aktuell nicht abholt, haben die Japaner mit diesem Hybridsystem scheinbar einen Nerv unserer Zeit getroffen, der weit weg von 4K und 120 fps auf Oled-Leinwänden liegt. Dieses Bedürfnis des einfachen mobilen und statischen Spielens mit einem tragbaren System.

Könnte Microsoft nicht ganz deutlich sein eigenes Hybridsystem aus PC und Konsole anbieten?  Die perfekt optimierte Windows-X-Station? Macht sie mobil mit einem Griff dran, legt eine Tastatur bei, lasst Office laufen, dazu eine VR-Brille, die totale 4K-Kompatibilität und im Hintergrund die Berechnungen der Cloud für all die auf Kooperation und Online getrimmten Spiele wie State of Decay 2, Black Desert Online und Sea of Thieves. Spart euch die teuren Grafikkarten, hier habt hier ein aufrüstbares Multimedia-Komplettsystem mit Forza-Abo auf Lebenszeit - und wenn ihr es selbst zusammenbaut, kostet es nur 399 Euro!

Das wäre eine ehrliche Roadmap, denn intern hat man sich doch schon längst von diesem alten Systemwettbewerb verabschiedet und etwas ganz anderes im Sinn als noch mit der ersten Xbox: Man will den Kampf mit Sony gar nicht gewinnen - das ist nur noch Folklore, so wie ein lieb gewonnenes Derby! Die Xbox One X ist ein PC im verdammt löchrigen Konsolenmantel - die nackte Wahrheit darunter heißt Windows. Microsoft denkt in ganz anderen Sphären und will in erster Linie sein Betriebssystem pushen, deshalb erscheinen alle Spiele auch für den Rechner. Auf dem PC sieht Microsoft die Zukunft des Spielens, nicht in einem scheinbar geschlossenen System. Nur kann man es sich auf dem amerikanischen Markt nicht leisten, die Fassade der Konsole aufzugeben, weil der PC dort als Spielsystem eher verpönt und die Marke Xbox im Bewusstsein der Gesellschaft einfach zu stark ist.

Die stärkste Konsole der Welt heißt also Xbox One X. Aber die stärksten Spiele der Welt gibt es in den nächsten zwei Jahren auf PlayStation 4 und Switch. Hab ich den PC vergessen? Bitte sofort hinzufügen! Jetzt habt ihr als zukunftsorientierte Multiplattformer auch alle relevanten VR-Systeme an Bord.

Wer braucht wofür genau eine Xbox One X?

Jörg Luibl
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