Jörg Luibl
Konami demontiert sichEin Kommentar von Jörg Luibl, 08.03.2018
Die Japaner haben die Spielewelt so stark beeinflusst wie keine andere Nation. Es geht nicht um ein, zwei starke Marken oder zufällige Millionenseller, sondern um das Phänomen der nachhaltigen kreativen Schöpfung digitaler Welten. Nicht über ein paar Jahre, sondern von den Anfängen dieses wunderbaren Hobbys bis heute, von The Legend of Zelda über Shadow of the Colossus bis Dark Souls - es würde den Rahmen dieses Kommentars sprengen, die Tore zu öffnen und sie alle zu begrüßen.

Warum das so ist? Das hat sehr viele Gründe, die tief in der japanischen Tradition sowie einer Gesellschaft verankert sind, in der ein naturbezogener Shintoismus auf eine außergewöhnliche Technikbegeisterung trifft - das habe ich in dieser Kolumne versucht zu erläutern. Es sind vor allem Spiele, aber auch Konsolen aus Nippon, die nicht nur die Masse begeistern, sondern die immer wieder besondere Zeichen setzen konnten. Dazu gehören manchmal auch besonders dämliche wie Metal Gear Survive.

Insbesondere wenn man seine Wurzeln vergisst und sich zu tief vor dem westlichen Geschmack oder potenziellen Gewinnen verbeugt, kann es so richtig schief gehen. Capcom hatte sich spätestens 2012 mit Resident Evil 6 auf durchlöchertes Shooter-Terrain begeben und sein Image beschädigt, bevor man mit dem siebten Teil erneut was versuchte? Richtig: Back to the roots. Auf die treuen Fans hören. An die ruhmreichen Anfänge anknüpfen. Das hat mit einigen Abstrichen funktioniert. Und mittlerweile tanzt man mit Monster Hunter World wieder voll in der Arena der großen Entwickler.

Und genau das wünsche ich auch Konami für die Zukunft, denn mit der aktuellen Politik sowie Spielen à la Metal Gear Survive mag man vielleicht finanziell gut fahren, aber spielkulturell demontiert man sich selbst. Gerade nach dem unwürdigen Abgang von Hideo Kojima wirkt dieser 1969 gegründete Traditionsentwickler, der nicht nur mit Metal Gear und Silent Hill zwei Genre nachhaltig prägen konnte, wie ein taumelnder Ex-Champion. Und zwar einer ohne jegliches Charisma.

Dass man kürzlich einen Glücksspielautomaten zu Castlevania: Lords of Shadow oder einen Kinofilm sowie eine TV-Serie zu Contra ankündigte und nicht ein einziges großes Abenteuer, offenbart die aktuelle Strategie, die sich von riskanten Abenteuern der Marke XXL verabschiedet. Aus rein wirtschaftlichen Gründen lässt man also diesen seltsamen Mix aus Schleichen und Überleben in einem der beliebtesten Universen stattfinden. Zumal man auf die Basis sowie Assets aus Phantom Pain zurückgreifen kann, was die Produktion nochmal günstiger macht. Natürlich steigert man mit dem berühmten Metal Gear im Titel die Verkaufszahlen, was auch vollkommen legitim ist, aber...

...dann macht auch ein gutes Spiel und keine Glücksspiel-Maschine daraus! Michael hat in seinem Test die groteske Hintergrundgeschichte auseinander genommen, das ebenso brüchige wie auf lange Sicht frustrierende Erlebnis analysiert. Dass das Abenteuer voller bescheuerter Logikfehler ist und nicht mal ansatzweise an die Qualität von "kleinen" Survival-Spielen mit weniger Budget wie The Long Dark oder selbst Don't Starve herankommt, ist ja das eine. Vielleicht hätte auch ein Blick in die eigenen Archive geholfen, denn da gab es mal eine Survival-Reihe von Konami namens Lost in Blue für DS.

Mein größtes Problem mit diesem Spiel ist, dass man ständig das Gefühl hat, als wäre wirklich alles der permanenten Berieselung und den Gewinnen durch Mikrotransaktionen untergeordnet - die Regie lässt immer wieder Krümel vom Himmel herab fallen, die der blöde Spieler aufpicken soll. Ich sitze vor einem Automaten mit göttlicher Arroganz, ich bin nicht in einer Welt mit kohärenten Abläufen unterwegs. Es regnet sogar im wahrsten Sinne des Wortes Kisten aus Dimensionstoren! Und für zusätzliche Gegenstände, Charaktere oder Erkundungsteams soll man sich nicht nur bücken, ohne Fragen zu stellen, sondern auch zum Portemonnaie greifen - geht's noch dreister? Mehr dazu mit weiteren Beispielen in unserem Video-Epilog.

Aber vielleicht ist das auch eine Fortführung von Tradition. Pachinko ist ja in Japan ein sehr populärer Geldspielautomat. Und die Ähnlichkeiten zu dieser digitalen Parallelwelt von Konami sind einfach verblüffend: Man kauft Kugeln, schießt damit um sich und muss Glück haben, dass sie in bestimmte Löcher fallen, die wiederum mehr Kugeln, andere Routen oder Gewinne auslösen. Im Hintergrund werkelt ein nicht greifbarer Computer mit ebenso willkürlicher wie unlogischer Regie, der manchmal sogar dämliche Geschichten rund um beliebte Maskottchen erzählt. Man sollte bei den langen Sitzungen genug essen und trinken, um nicht im hypnotisierten Kollektiv alle Lebensenergie zu verlieren.

Weil Geldgewinne in Japan verboten sind, schleppen die Pachinko-Sieger ihre Sachpreise manchmal in Buden, wo sie hinter Sichtschutz in Yen umgewandelt werden - so mancher Süchtige bringt sogar eigene Zäune oder Sandsäcke mit. Okay, der letzte Nebensatz war gelogen, aber so dreist is ja auch das Storytelling von Konami. Falls euch Tokio zu weit ist, könnt ihr also auch Metal Gear Survive kaufen. Nur ist das wie Pachinko mit Permafrust: Hier gewinnt nämlich gar keiner. Und der größte Verlierer dieses unverschämten Gewinnmaximierungsdesigns ist nicht nur eine der populärsten Marken aller Zeiten, sondern auch der Ruf eines ehemals wichtigen japanischen Entwicklers.

Übrigens, Konami: Dieser Guillermo del Toro hat gerade einen Oscar für Shape of Water gewonnen. War das nicht der Mexikaner, der zusammen mit Kojima san das viel versprechende Silent Hills für euch entwickeln wollte, aber nicht mehr durfte? Dabei sind es gerade diese visionären Projekte, die ganz unabhängig von der finalen Qualität, so wichtig für diese Branche sind.

Viel Glück mit Death Stranding, Hideo Kojima!


Jörg Luibl
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