Leere Kessel bei Microsoft
Der Launch der Half-Life 2 Orange Box war eine Premiere - nein, nicht nur die der drei neuen Spiele. Erstmals überstand Steam einen größeren Produktlaunch ohne jeglichen Schluckauf. Der Dienst, der früher bei der Veröffentlichung einer neuen Counter-Strike-Version zuverlässig die Grätsche machte und Half-Life 2-Käufer der ersten Stunde frustrierte, weil der Authentifizierungsserver schlichtweg überrannt worden war, scheint mittlerweile das zu tun, was man eigentlich von ihm erwartet hatte.
Auch das Angebot an Spielen wurde in den vergangenen Monaten kräftig ausgebaut. Zur Erinnerung: Vor einem Jahr erst erschien mit Dark Messiah erstmals ein nicht von Valve produziertes Spiel eines größeren Publishers im Laden und via Steam gleichzeitig. Mittlerweile wäre das keine erwähnenswerte Neuigkeit mehr, haben doch die meisten der anderen Hersteller ebenfalls den Weg des digitalen Vertriebs von Software eingeschlagen; zuletzt Activision mit Enemy Territory: Quake Wars oder id Software, die all ihre Titel über die Plattform des vermeintlichen Konkurrenten anbieten.
Viel wichtiger ist allerdings, dass Steam nicht nur als virtueller Laden funktioniert - dank der Steam Community-Features wurden endlich mal Dinge wie das Matchmaking - falls man das früher überhaupt so hätte nennen können -, das Erfassen von Statistiken sowie das Verwalten von Gruppen und Freundeslisten auf den neuesten Stand gebracht bzw. ermöglicht. Auch Elemente wie die sicherlich vom Live-Dienst abgeschauten Achievements sind motivationsfördernd. Der Voicechat kann qualitativ noch nicht ganz mit separaten Lösungen mithalten, ist allerdings gut integriert - auf Teamspeak & Co. werden höchstens noch Clans zurückgreifen wollen.
Steam ist mittlerweile eine richtig runde Sache geworden, dafür sei an dieser Stelle mal ein Lob ausgesprochen. Ja, Nörgeln fällt doch oft viel leichter.
Apropros "Nörgeln": Hallihallo, Games for Windows Live! Das einzig Positive, was man derzeit über Microsofts Dienst sagen kann, ist die Tatsache, dass Leute mit Xbox Live Gold-Account nicht doppelt zahlen müssen. Für diejenigen, die primär PC-Spiele konsumieren, sieht das Angebot nach wie vor recht mau aus. Steam bietet mittlerweile nahezu die gleichen Features, geht in einigen Bereichen wie Gruppenchat noch darüber hinaus - und kostet nix.
Der Hersteller versprach einst, man werde berücksichtigen, dass die Uhren im PC-Bereich etwas anders ticken - daran gehalten hat man sich nicht unbedingt. Ein separater Client fehlt nach wie vor. Genau der wäre aber notwendig. Ein Spiel wie Halo 2 laufen lassen müssen um zu sehen, welcher von den Freunden gerade online ist - das versteht nur, wer ein recht einzigartiges Verständnis von Nutzerergonomie hat. Angesichts der Mittelmäßigkeit der Umsetzung dieses Uraltspiels ist das ansich schon eine Zumutung.
Kürzlich wurde ein Update auf Version 1.2 angekündigt, die u.a. einen Blick auf Achievements und Ähnliches erlaubt, auch wenn man offline ist. Damit wird der Kuh auf dem Eis allerdings höchstens gut zugesprochen, aus ihrer misslichen Lage wird sie damit keineswegs befreit. Statt zu einem werbewirksamen Feature ist GFW Live momentan eher zum Klotz am Bein eines jeden Produkts mutiert. Ich wäre durchaus sehr daran interessiert, die PC-Umsetzung von Gears of War zu spielen, nicht aber daran, noch zusätzlich Geld für brauchbares Matchmaking und Voicechat zu löhnen. Klar, man zahlt ja nicht nur für ein einziges Spiel - die Palette der PC-Titel mit GFW Live-Integration kann man aber getrost an einer Hand abzählen.
Das ist auf der Xbox 360 natürlich anders - außerdem haben die Nutzer dort Zugriff auf ein mittlerweile doch recht ansehnliches Angebot an Spielen auf dem Xbox Live Marktplatz. Den es auf dem PC, welch Überraschung, nur in sehr eingeschränkter Form gibt.
Falls man das nicht bereits getan hat, sollte man bei Microsoft mal fix darüber diskutieren, was man mit dem PC-Ableger des Dienstes anstellen kann. In der jetzigen Form ist er ein Rohrkrepierer. Da hilft auch das Geschwafel über "zusätzliche Premiumoptionen" nicht. Hält man die Käuferschaft denn wirklich für so dumm?
Man ist geneigt, dem in Redmond ansässigen Unternehmen zu empfehlen, für ein paar Minuten mal die Konsolenbrille abzusetzen und darüber zu sinnieren, wie man PC-Spielern wirklich etwas Gutes tun kann. Ob diese nämlich beispielsweise tatsächlich so scharf darauf sind, in Shootern gegen Xbox 360-Besitzer anzutreten, wenn dies mit spürbaren Kompromissen in Sachen Steuerung oder Genauigkeit verbunden ist?
Nein, ich denke nicht, dass grundsätzlich alles immer kostenlos sein muss - im Falle von GFW Live Gold fehlen derzeit und in der unmittelbaren Zukunft allerdings handfeste Argumente, die die "Premiumhaftigkeit" des Dienstes rechtfertigen würden. Valves Ansatz ist dagegen anderer Natur: Dort möchte man Geld mit den eigenen Spielen sowie durch die Umsatzbeteiligung an den Produkten der über Steam umtriebigen Dritthersteller verdienen. Und je attraktiver der Dienst ist, desto mehr Kunden kann so für sich gewinnen.
Julian Dasgupta
Redakteur