Kommentar

hundertprozent subjektiv

KW 50
Mittwoch, 12.12.2007

Gerstmanngate & 4Players


Spielepresse, Spielepresse an der Wand, was ist das kostbarste Gut in deinem Land? Friede, Freude, Eierkuchen zwischen Magazin und Publisher oder eine ehrliche Kultur der Kritik? Darüber diskutieren seit mehr als einer Woche nicht nur die Kollegen in den USA. Zum ersten Mal seit Jahren geht es auch jenseits des Atlantiks um redaktionelle Freiheit und journalistische Grundsätze. Es geht um den Arbeitsalltag, um Abhängigkeiten sowie die äußeren Einflüsse. Es geht um all das, was hinter den Kulissen dieser bunten Branche passiert.

Auch wenn Gamespot mit einem ausführlichen FAQ um Schadensbegrenzung bemüht ist, auch wenn die Details der Entlassung rund um den Kane&Lynch-Test immer noch offen bleiben: Der Image-Verlust ist für das US-Magazin nicht mehr wegzudiskutieren. Eidos muss sich keine Sorgen machen, weil sie Druck ausgeübt haben - die beleidigte Leberwurst spielen und Liebesentzug androhen gehört in allen Branchen zum pubertären Repertoire derjenigen Publisher, die kein Vertrauen in die Qualität der eigenen Produkte haben.

Aber GameSpot hat in dieser Affäre, die gerade zu Gerstmanngate mutierte, etwas viel Wichtigeres verloren: Das Vertrauen der eigenen Leser. Der Mix aus Test, Publisherprotest, Bannerabschaltung und Entlassung wird noch lange in der Spielewelt nachstinken. Das Magazin muss den Stempel des zu Unrecht geschassten Kritikers für die nächsten Jahre tragen - selbst, wenn alles ganz anders lief als die böse Ahnung denkt. Doch selbst wenn der Skandal nur ein Skandälchen sein sollte, tut diese Debatte richtig gut. Denn da ist plötzlich nicht mehr von Wertungen, Exklusivdeals und Premieren, sondern von "A Question of Trust" die Rede und in einem ausgezeichneten Essay geht es um "Reflections on the Fundamental Contempt In Which the Enthusiast Press Is Held By Publishers--And Its Own Employers".

Auch wenn sich nicht alle Magazine an der Diskussion beteiligen, wobei vor allem das Schweigen von IGN auffällt, verspürt eine ganze schreibende Zunft seit dem Abschied von Gerstmann diesen Dorn, der sich ins Selbstverständnis bohrt und auch die deutsche Presse betrifft: Ist die kritische Meinung überhaupt noch ein gelebtes Gut? Oder wird sie nicht schon mit allen Mitteln aufgeweicht und aufgehalten? Wird man als Redakteur gefeuert, wenn man sich nicht anpasst? Wird man als Leser nur noch verarscht? Vor allem wenn Werbefrequenz und Wertung gleich hoch ausfallen? Big Banner = Big Deal = Big Award?

Jede Redaktion muss sich dieser Thematik stellen. Und 4Players.de? Wie abhängig ist dieses Spielemagazin von der Werbung der Publisher? Viel weniger als die alles bedeckende Popupfront ahnen lässt. Auch wenn einige alte Printhasen das nicht wahrhaben wollen und weiter von der Abhängigkeit der Onliner schwadronieren: Wir verdienen mittlerweile mehr Geld über andere Kanäle als die Bannerwerbung, als dass wir um unsere Existenz fürchten müssten, wenn ein Publisher nicht bei uns wirbt - wir vermieten Gameserver, bieten Browsergames an, haben einen Shop und verkaufen unsere redaktionellen Inhalte an AOL, Freenet & Co.

Unsere Standbeine liegen also längst nicht mehr nur im bunten Bannerwald, der zwar sehr wichtig ist, aber gerade mal ein Viertel unseres Gesamtumsatzes ausmacht. Und selbst da werben immer mehr branchenfremde Firmen von Adidas über L'Oréal bis Tchibo. Das freut uns, denn unser Portal wirkt dadurch erstens nicht immer so inzestuös zugepflastert und zweitens interessiert deren Management nicht, wie wir werten. Ergo: Druck von außen kann gar nicht erst entstehen.

Werden spielefremde Banner auf Dauer noch öfter auftauchen? Hoffentlich! Aber letztlich wird die Kombination aus zeitgleicher Spielewerbung und Spieletest auf Online-Seiten auch in Zukunft die Mehrheit bilden und so stark sichtbar bleiben, weil wir die Zielgruppe direkt und in aller Breite ansprechen. Wo soll ein Publisher sonst werben? Es wird Spiele wie Nintendogs, SingStar & Co geben, die man auch im Stern, bei n-tv oder bei Spiegel Online bewerben kann, aber der Großteil der Spiele muss in der Wahrnehmung der Zocker verankert werden.

Deshalb werden wir in den nächsten Jahren nicht um Werbung von EA, Nintendo & Co herum kommen. Das ist vielleicht ärgerlich für die Außendarstellung, denn das suggeriert beim Leser vielleicht eine Abhängigkeit, ist aber theoretisch kein Problem: Denn viel wichtiger als die komplette finanzielle Freiheit ist die eigene Unternehmensphilosophie. Wenn die redaktionelle Freiheit vom Geschäftsführer bis zur Redaktion gelebt wird, wenn man sich intern gegen Druckmechanismen wehrt und klare Grenzen zieht, dann ist die Bannerwerbung gar kein Problem. Natürlich wird das Marketing immer versuchen, neben einem Banner vielleicht doch noch ein hübsches Special zu platzieren: Es gibt so viele vorgefertigte FAQs, so viele Fertig-Interviews oder Pluster-Features, die direkt von der PR geliefert werden. Und viele Redaktionen nehmen das dankbar an, weil es bequem ist: Einfach hier und da ein wenig umformulieren und fertig - da freuen sich doch alle!

Aber wenn man diese auf den ersten Blick unverfänglichen Platzierungen zulässt, hat die PR die Redaktion bereits mit ihren Inhalten unterwandert. Der Gerstmann-Fall bestätigt letztlich nur die Tendenzen, die wir im Kritischen Herbst letzten Jahres beschrieben haben. Damals haben tatsächlich einige die Chuzpe gehabt, das als Übetreibung oder gar Stimmungsmache zu belächeln - spätestens jetzt dürfte klar sein: Es gibt zig Formen der internen und externen Beeinflussung. Wir als 4Players.de kennen sowohl den Druck einiger Publisher, die mit einem Anzeigenstopp drohen, als auch mehr oder weniger subtile Formen der Einflussnahme seitens einiger PR-Abteilungen: Das reicht vom harmlosen bis leicht hysterischen Anruf inklusive Wertungsgezänk bis hin zum professionell lancierten Forenaufstand oder dem Stopp der Bemusterung.

Das Problem ist gar nicht dieser Druck, sondern dass die Spielepresse über viele Jahre keinen Gegendruck ausgeübt, ihr Aufregungspotenzial hat vermissen lassen und einige Magazine sich mehr oder weniger angepasst haben - der Weg des geringsten Widerstandes und des Konsens ist der einfache und kurzfristig sogar wirtschaftlichere. Manche Verlage haben davon direkt profitiert!  Umso wichtiger ist es, dass momentan auch das Selbstverständnis der Presse hinterfragt wird: Was ist das für eine Art des Journalismus, den wir betreiben? Bunter Zulieferservice, professionelle Kaufberatung oder gar Kulturkritik? Wie sich auch immer ein Magazin definieren mag: Investigativ ist fast gar nichts, gedealt ist fast alles.

Die Spielepresse ist letztlich ein produktiver Zweitverwerter. Der Pressefuzzi bekommt in der Regel, und hierzulande meist nach Amerika oder Japan, nur den Infofetzen, nur den Vorabtest, nur den Gesprächspartner, den der PR-Fuzzi ihm geben will. Gibt man ihm den exklusiv, dann freut sich der Pressefuzzi einen Ast ab und huldigt seinem Gönner mit einer tollen Coverstory. Wenn das Spiel toll ist, ist das auch gar nicht schlimm. Aber manchmal reichen auch ein paar erste Bilder und da wird tatsächlich eine dreiseitige Vorschau runtergepinnt. Wenn Journalismus etwas mit echter Recherche auf Grundlage der Primärquelle sowie kritischer Einordnung zu tun hat, dann betreiben viele Redaktionen etwas anders: Produktvorstellungen.

Die Mauer zwischen Journalist und Entwickler heißt PR - und da kommt man selten durch. Andererseits wollen die Meister der Öffentlichkeitsarbeit überall reinschlüpfen, am liebsten knietief in die Redaktionskeller. In diesem Job geht es um Spielspaß, aber das Geschäft dahinter ist so todernst, so aktiensensibel und spekulativ, dass PR nicht selten zur gut organisierten Realsatire mutiert. Und ist euch mal aufgefallen: Wenn man PR umdreht, bekommt man RP - aus "Public Relations" wird in der Praxis sehr schnell "Redakteure pimpen": Da wundert man sich, dass es trotz so "einer tollen Reise nach Las Vegas" nur eine "gute" Vorschau gab. Da fragt man mal nach, ob man nicht die eine oder andere Formulierung "abdämpfen" könnte. Da ignoriert man Anfragen oder streicht Redakteure aus Freundeslisten, weil es unverschämte 87% plus Gold-Award im Test gab - geht es noch lächerlicher?

Wir stecken so tief in unserem Job, dass uns die Dämlichkeiten gar nicht mehr auffallen. Da ist jeder blöde Screenshot fast ein Staatsgeheimnis, jeder Termin eine heilige Kuh und die Aufregung schon groß, wenn man die falsche Plattform angibt oder die "Tonalität" nicht passt. Ja, der Ton macht die Musik - auch Gerstmann war scheinbar sehr patzig. Dabei kann man doch auch zuvorkommend schreiben. Das freut den Publisher, er liebt "objektive" Zurückhaltung ohne Schärfe, wenn es um die Schwächen seiner Spiele geht. Man soll aber gerne laut jubeln, wenn es um die Stärken geht.

Und all das muss sofort einen Ekel hervorrufen. Die redaktionellen Verantwortlichen müssen öfter mal das Maul aufmachen! Am Telefon, auf Messen, bei Events. Man darf sich nichts aufschwatzen lassen. Man darf sich nicht zumüllen lassen. Und man darf sich erst recht nicht reinreden lassen. Von daher kann man die Gothic-Kampagne der mittlerweile leider eingestellten PC PowerPlay gegen JoWooD gar nicht genug loben - das war ein lautes Kontra! Das Schöne am Gerstmann-Schmerz ist, dass er hellwach macht und die Sinne für kurze Zeit auf das Wesentliche lenkt: Die Ursache des Aufschreis. Was ist der wichtigste Wert in einer von bunten Produkten überschwemmten, von Plagiaten, Erweiterungen, Exklusivdeals und Hypes überfüllten Branche?

Ein klarer Filter. Ein konsequenter Ratgeber. Eine Spielepresse, deren Fundament nicht auf dem größtmöglichen Konsens mit Hersteller und Zielgruppe beruht, sondern auf der redaktionellen Kritik. Die kann nicht nur loben, die muss auch mal weh tun! Vor der Exklusivität muss die Qualität stehen - natürlich freut man sich, wenn man erster, schnellster oder einziger ist. Das ist ganz toll. Wirklich schön. Wir freuen uns auch. Vor allem für einen Tag. Aber wichtiger ist, dass man auf Monate und Jahre hinweg besser, nachvollziehbarer und konsequenter ist.

Denn man muss sich nur über eines klar sein: Informationsexklusivität gibt es im Zeitalter des Internet nicht mehr! Niemand braucht heutzutage 4Players.de, GameStar oder IGN, um sich über Spiele zu informieren. Jeder kann überall abschreiben, nachlesen, suchen. Man öffne Google, tippe den Titel und surfe sich durch ein ganzes Arsenal an alternativen, mehr oder weniger kommerziellen Webseiten - vom Foreneintrag über die Privatfanseite bis zum pseudoprivaten Firmenblog.

Die größte Aufgabe für die Spielepresse der Zukunft liegt darin, dem Leser ein besserer Ratgeber zu sein als Kalles Blogverein, die Amazonkritiken oder die private Videoreview auf YouTube. Und im Zentrum steht da immer noch der ausführliche, der gut argumentierte und scharf formulierte Test. Man muss sich beim Leser den Status eines streitbaren, aber ehrlichen Freundes erarbeiten. Der macht mal Fehler (verdammt, ich sag`s ja: Pro Evolution Soccer 2008 hätte nicht ohne Online-Modus getestet werden dürfen), der hat manchmal komische Ansichten (hey, Puzzle Quest ist nicht bloß ein Puzzler, das ist Strategie!) und empfiehlt vielleicht Spiele, mit denen man nix anfangen kann (doch, WWE SmackDown! vs. Raw 2008 hat wirklich seine Berechtigung!), aber der verarscht einen nicht.

Also freut euch: Wir werden in Zukunft weiter hart dafür arbeiten, dass ihr was zu meckern habt. Die Spiel des Jahres-Wahl startet am 21. Dezember und wird euch bis Ende des Jahres genug Zündstoff liefern.


Jörg Luibl
Chefredakteur

 

Kommentare

eUndead schrieb am
Ich muss sagen das ich von der Subjektivität der 4Players-Berichterstattung begeistert bin. Kaum eine Andere Seite hat mich z.T. so aufgeregt wenn wieder ein Titel für die PSP "verissen" wurde oder das geniale Killzone Liberations keine 90er Wertung bekommen hat. Kaum eine andere Seite führt mir bei Hype-Titeln die Schwächen so vor Augen wie 4Players.
Jedesmal glaube ich am Rande eines Infarktes zu stehen wenn ich wieder einen Hype Titel mit knapp 80% davongehen sehe. Und fast jedesmal habt ihr recht.
Zudem bin ich begeistert davon wie eure Redakteure auf die Comments eingehen und mitdiskutieren. Das ist auch ein Faktor den ich an Printmagazinen vermisse. Klar, Leserbriefe, aber so eine direkte Diskussion kommt so nicht zustande.
Weiter so 4Players, mit Herzblut und ehrlicher Subjektivität
muecke-the-lietz schrieb am
Ich gebe zu, ich bin einer von denen, die es lieben ein Spiel zu kaufen, dann die Bewertung lesen und voll einen abzurocken wenn es gut bewertet wurde. Warum? Weil es gut tut wenn man denkt, was gutes gekauft zu haben. Natürlich kenne ich die Games die ich kaufe meistens schon aus irgendwelchen Reviews ect. aber die Spannung wie andere das Game finden ist groß. Dennoch liebe ich es genau so eine nachvollziehbare Kritk, mit einer stets konsequenten Qualtität zu lesen bevor ich mir ein Spiel kaufe. Das Problem ist: So etwas findet man nur noch selten und in Zeitschriften so gut wie gar nicht mehr. Keine Ahnung warum, aber fakt ist, dass man fast immer die gleichen abgenudelten Phrasen liest, Text ohne Ecken und Kanten und dass wenn doch mal Kritik auftaucht, es sich fast immer um kleine Games oder Filmumsetzungen dreht, sprich da wo es sich jeder traut.
Auf dieser Seite allerdings, habe ich damals gefunden was ich so vermisst habe. Ordentliche Kritik mit Ecken und Kanten, böse Essays und herbe Worte, euphorische Tests und Kritiken bei denen man beim Lesen immer wieder nicken musste.
Macht weiter so Jungs, ich setzte auf euch
Preasi schrieb am
Eure Testberichte sind wirklich gut doch muss man heutzutage immer das Game selbst antesten um zu entscheiden zu können ob es hält was es vespricht oder doch nur hoch gehypter schrott ist.
Ich danke euch vielmals eure Tests und previews, ihr schreibt oft besser als jedes andere gedruckte magazin.
Ich finde die gedruckten Mags sind eh nur zur eines gut:
Um ab und zu mal einen alten spieleklassiker günstiger zu bekommen.
(gamestar resident evil 3 und dino crisis 2)
Keep Rocking
Vandyre schrieb am
4P|T@xtchef hat geschrieben: Ich bin für Vielfalt im Online- & Offlinebereich. Je mehr Angebote, je mehr Konkurrenz, desto besser für die Leser und unser Geschäft. Unsere Art und Weise an Tests ranzugehen ist nur eine unter vielen gerechtfertigten.
Amen. Konkurrenz belebt das Geschäft und je mehr, desto besser. Wie du schön schreibst: besser für den Leser, denn der hat mehr Möglichkeiten sich zu informieren und besser für euer Geschäft, denn ihr dürft euch anstrengen um die Leser zu erreichen. :D
gracjanski schrieb am
man könnte vielleicht die stärke oder die schwäche eines Spiels auf dem Schirms zeigen (wie z.b. Die Steuerung von Sacrifice ist einfach blamabel: Hier guckt mal, wie soll ich hier denÜberblick in so einem grossen Kampf haben?").
Ich lese lieber als das ich zuhöre, aber bewegte Bilder vom Spiel ist etwas, was die Prints euch noch voraus haben.
schrieb am