GC - Eine Leitmesse, ein Elfmeter?
Europäische Leitmesse, wo bist du? Auch wenn ich den Leipziger Veranstaltern die Führungsrolle gönnen würde - die Wirklichkeit sieht anders aus: Nintendo ist nicht da. Microsoft macht noch nicht einmal eine Pressekonferenz. Resident Evil 5 wird nicht gezeigt. Gears of War 2 wird nicht gezeigt. Diablo 3 ist auch kein Thema. Und es wird aller Voraussicht nach weder Neues zu Alan Wake noch zu Mafia 2 geben.
Ja, es gibt noch viele andere interessante Spiele und wie jedes Jahr auch Weltpremieren von Street Fighter IV bis Pro Evolution Soccer 2009. Auch die Rahmenveranstaltungen von der Entwicklerkonferenz bis hin zum Familienbereich sind reizvoll. Lediglich das große kulturelle Aushängeschild der Messe, das gefeierte Konzert, musste sich dieses Jahr scheinbar der Kommerzialisierung beugen: Es wird nicht mehr im traditionellen Gewandhaus, sondern in einer Sportarena musiziert, es gibt viel Playback statt Live-Orchester und mehr Showeinlagen plus Hightech - da muss der Besucher auch gleich draufzahlen.
Trotzdem kann man sich durchaus auf die Games Convention freuen, die gerade für das Publikum vor Ort einiges zu bieten hat: LittleBigPlanet, StarCraft 2, Far Cry 2, Warhammer Online - hey, sogar 4Players.de hat einen Stand in Halle 2, J02! Aber genug der Eigenwerbung: Die journalistische Bedeutung dieser vielleicht letzten Spielemesse ist dramatisch gesunken - vor allem für all jene Magazine, die wie wir von der E3 in Los Angeles berichtet haben. Man kann eher von einer bunten Unterhaltungs- und Erlebnismesse als von einer richtungsweisenden Messe reden. Die Games Convention besitzt keine internationale, sondern eine regionale Relevanz.
Vor allem Microsoft hat das verinnerlicht und spart sich gleich eine Pressekonferenz mit einem Ausblick auf die Zukunft. Und man zeigt erst gar kein Gears of War 2, da der Shooter aufgrund der Indizierungsgefahr für Deutschland ohnehin keine PR-Rolle spielt. Man konzentriert sich voll und ganz auf den Status quo des zweiten Halbjahres 2008 sowie die Interface-Änderungen in Xbox Live.
Das Fehlen Nintendos ist für die Besucher viel enttäuschender als für Pressekollegen, die angesichts des mageren Spieleportfolios ohnehin nicht viel zu berichten hätten - zumal die Japaner die Aussicht auf das eine große Spiel, das alle Wii-Fans begeistern sollte, peinlicher Weise schuldig geblieben sind.
Bevor sich die Kölner Messe-Lobbyisten jetzt die Hände reiben: Eine europäische Leitmesse sollte angesichts der teutonischen Jugendschutz-Hysterie überall stattfinden, meinetwegen Paris, London oder Moskau, nur nicht in Deutschland. Denn auch am Rhein wird es 2009 lächerliche Beschränkungen geben.
Dass Capcoms schwarze Zombies (selbst für die Presse!) genau so wenig zu sehen sind wie Microsofts bizepsoide Kettensäger ist ein nationales Armutszeugnis, das von der ungleichen Behandlung von Filmen und Spielen noch übertroffen wird: Wir dürfen den FSK16-Trailer zu Til Schweigers Far Cry-Film frei an unserem Stand zeigen, aber bei allen USK16-Trailern zu Spielen müssen wir dafür sorgen, dass nur 16-Jährige zusehen. Geht es noch lächerlicher? Die Deutschen haben eben noch ein Problem mit dem Kulturgut Spiel und deshalb werden Messebesucher vorsorglich an die bunte Bändchenleine gelegt.
Aber es gibt einen Lichtblick: Sony könnte die Games Convention aufwerten und die Messe auch journalistisch spannend machen. Denn die Japaner sind der einzige Konsolenhersteller, der eine Pressekonferenz gibt und Journalisten vielleicht einen greifbaren Ausblick auf das Spielejahr 2009 ermöglicht: Wir freuen uns auf die ersten Präsentationen zu Heavy Rain und Infamous - das sind Pfunde, mit denen die E3 nicht wuchern konnte. Und man munkelt, dass noch weitere Neuankündigungen im Soft- und Hardware-Bereich anstehen.
Für die Games Convention als Bühne des strategischen Säbelrasselns heißt das: Nintendo verzichtet lieber ganz darauf, bevor man ein zweites Mal sein Waterloo erlebt. Microsoft hält sich sowohl mit scharfen Ausblicken als auch Seitenhieben à la Final Fantasy XIII zurück und betrachtet die Leipziger Aufführung nur noch als regionale Veranstaltung. Und wenn zwei die Sache nicht ernst nehmen, freut sich eben der Dritte.
Es ist noch nie so leicht für einen der Konsolenhersteller gewesen, als spielepolitischer Sieger von der Messebühne zu gehen. Ich bin gespannt, ob Sony den Elfmeter verwandelt.
Jörg LuiblChefredakteur