JoWooDs offener Brief - eine Farce!
Wenn es einen Tiefpunkt in der Geschichte der deutschen Rollenspielentwicklung und der deutschen Spielepresse gibt, dann findet man ihn im Oktober 2006, in einem von Herbstlaub schon fast zugewehten Graben namens
Gothic 3. Nicht nur, dass das ehemals faszinierende Abenteuer von Piranha Bytes schlampig designt und von JoWooD mit rigider Terminpolitik kaputt gemacht wurde: Die größere Peinlichkeit bestand darin, dass dieses schlichtweg unfertige und in vielen Bereichen demotivierende Abenteuer auch noch vom Großteil der deutschen Presse bejubelt und mit Awards gefeiert wurde. Die Kritik hat beide Augen in blinder Ignoranz zugedrückt.
Was passiert jetzt, zwei Jahre später? Es gibt tatsächlich so etwas wie eine späte Einsicht auf Presseseite.
"Der Test zu Gothic 3 (Ausgabe 11/06) stellte sich als einer der größten Fehler meiner jungen Karriere heraus. Der lässt sich nicht schönreden"Es ist klasse, dass Kollegen wie Felix Schütz von der
PC Games (Gothic 3: Götterdämmerung: 64%) jetzt den Mumm haben, ihren Fehler öffentlich einzugestehen - mein Kompliment. Denn leider wird Schrott noch viel zu oft von der Spielepresse mit gnädigen Wertungen hofiert. Und es wäre genau so klasse, wenn JoWooD die fehlerhafte Erweiterung namens "Götterdämmerung" (
4P-Wertung: 20%) mit einer öffentlichen Entschuldigung aus dem Handel zurück ziehen würde. Als ich das hier gelesen habe, hörte es sich auch fast so an:
"Michael Kairat, Executive Producer von JoWooD Productions für dieses Spiel meint dazu im Originalton: "Wir bekommen nun, wie auch zu erwarten war, von der Community die Rechnung präsentiert." Aber die Österreicher geben selbst in ihren jetzt veröffentlichten "
offenen Worten" der Community eine Mitschuld an einem Desaster - und das ist eine dreiste Frechheit, die sich so anhört:
"Leider war es uns nicht möglich diesen Vertrauensvorschuss zur Gänze zu befriedigen. Als Gründe dafür können wir nur die Erwartungshaltung der Community für das Addon und unseren eigenen hochgesteckten Ziele anführen. Die Community und wir wollten das Spiel noch in diesem Jahr fertig gestellt sehen."Zur Gänze? Die "Erwartungshaltung" der Community hat also dafür gesorgt, dass das Spiel unfertig zum Weihnachtsgeschäft rausgehauen wurde? War es nicht eher die Sorge einer Aktiengesellschaft um die Bilanz und die Hoffnung auf Umsatz noch in diesem Jahr? War es nicht eher das wirtschaftliche Wissen darum, dass man den starken Namen Gothic noch weiter melken kann? War es nicht eher die Gewissheit, dass nach den zwei Jahren eh kein Hahn mehr nach Myrtana anno 2006 kräht?
Wie blöd die Masse auf starke Namen vertraut, zeigt sich ja an den
Media Control-Charts. Und JoWooD kennt die beruhigende Wirkung von Gras, wenn es nur lange genug wächst. Hinter den eigenen "hochgesteckten Zielen" steckte nicht der Wunsch nach einem qualitativ hochwertigen Abenteuer, steckte nicht die Einsicht, dass man den Namen Gothic mit einer sehr guten Erweiterung vielleicht wieder zu altem Glanz hätte verhelfen können, sondern rein wirtschaftliche Interessen. Der Sinn für die wertvolle Tradition, die Gothic 1 und Gothic 2 aufgebaut haben, ist überhaupt nicht vorhanden. Stattdessen versteckt man sich hinter Druck, Druck und noch mal Druck:
"JoWooD hat somit gemeinsam mit dem Developerteam unter Hochdruck am Projekt gearbeitet. Wir haben diesem selbstauferlegten Druck nicht Stand gehalten und trotz einer Verschiebung des Releasezeitpunktes um drei Wochen eine Version mit einem dazugehörigen Patch veröffentlicht, der am Ende unsere Versprechen nicht vollständig erfüllen konnte." Ich will gar nicht wissen, was man sich da selbst auferlegt hat. Aber kann es sein, dass gerade dieser "Hochdruck" dasselbe Problem ist, das auch schon bei Gothic 3 zur Veröffentlichung eines schlampig programmierten Spiels geführt hat? Warum lernt man nicht aus diesen Fehlern und gibt dem Team mehr Zeit? Und warum hat man kein Studio mit Erfahrung an die Erweiterung gesetzt? Das Outsourcing nach Indien hat nur einen Grund: Es ist billig. Und wenn man nicht mehr in kreative Leute mit Know-how investieren will, kommt am Ende eben auch
Trash heraus.
"JoWooD Productions möchte sich hiermit bei allen Fans der Gothic Serie offen und ehrlich entschuldigen, da die Qualität des Produktes tatsächlich nicht zufriedenstellend ist."
Abgelehnt! Wenn schon ehrlich, dann bitte auch konsequent - ihr habt den treugläubigen Kunden verarscht! Die Qualität ist mangelhaft. Es gibt bereits zwei Patches. Wenn JoWooD tatsächlich einsichtig im Sinne von lernfähig wäre, dann hätten hier zwei Dinge passieren müssen: Erstens hätte man eine deutschlandweite Rückrufaktion einleiten müssen, alle ausgelieferten Spiele aus dem Handel entfernen und dafür sorgen müssen, dass allen Käufern von Gothic 3: Götterdämmerung das Geld erstattet wird - mit Weihnachtskeksen und roter Schleife! Zweitens hätte der verantwortliche Producer seinen Hut nehmen müssen, anstatt der Community noch eine Mitschuld zu geben. Stattdessen geht das Debakel tatsächlich in die nächste Patchrunde:
"Derzeit wird an Gothic 3 - Götterdämmerung mit Priorität eins gearbeitet, dass innerhalb der nächsten Tage ein Patch zu den bereits zwei Veröffentlichten zur Verfügung gestellt werden kann, der den Qualitätsstandards der Community entspricht."Und was findet man unter "Vision" bei der JoWooD Group, im feinen Corporate-Bereich für Investoren? Diese Realsatire:
"JoWooD steht bereits heute als etablierte Marke für hochwertige Games mit Massenmarkt-Potenzial."
Ein Boxer geht nach ein, zwei Niederschlägen K.O. oder sein Trainer wirft aufgrund starker Blutungen das Handtuch. Aber JoWooD bleibt selbst dann mit seiner erbärmlichen Vorstellung von Professionalität im Ring, wenn das Publikum schon Eier und Tomaten wirft. Und nicht nur das, man kündigt auch noch weitere Auftritte an, für die man sich dann aber richtig gut vorbereiten will, also so richtig mit echten Sparringspartnern und Ehrgeiz:
"Aus diesen Fehler lernend werden bei ArcaniA in Verbindung mit Spellbound verstärkt Betatester bereits früh in den Prozess eingebunden, um projektbegleitend deren Anregungen umsetzen zu können." Spätestens an dieser Stelle wollte ich laut lachen. Lernen?
Die Gilde 2: Venedig anyone? Aber das Lachen bleibt einem im dicken Halse stecken. Denn man darf nicht alle über einen Kamm scheren, die da beteiligt sind: Man hat schon fast Mitleid mit dem deutschen Team von Spellbound, das bisher unterhaltsame Spiele wie
Robin Hood und
Desperados entwickelt hat und jetzt einen Karren aus dem tiefsten Dreck ziehen muss. JoWooD hat das Image dieses einstmals faszinierenden Rollenspiels so kaputt gewirtschaftet, dass man mit Gothic nur noch grottig verbinden kann.
Diejenigen, die für diesen Imageschaden verantwortlich sind, müssten eigentlich sofort ihren Hut nehmen. Das werden sie scheinbar nicht tun, also hoffe ich, dass sie wenigstens kein Wörtchen mitzureden haben, was Spieldesign und mögliche Terminverschiebungen von Arcania angeht. Aber die heuchlerische PR-Strategie geht schon weiter, wie man auf
GameStar.de lesen konnte:
"Die Presse ist von Anfang an dabei, das ist Teil der neuen Strategie. "Schaut", soll das zeigen, "wir spielen mit offenen Karten!" Offene Karten? Das ist lächerlich! Das ist reine Propaganda, geschickt platziert bei dem Magazin, das Gothic 3 gleich noch Awards im Voraus geben wollte und schon im Mai 2008 die erste exklusive "Vorschau" präsentierte, bevor im August die
zweite folgte - und zwar nur dort. Dass 4Players.de keine Testmuster mehr aus Österreich zugeschickt werden, können wir psychologisch verstehen und finanziell verschmerzen - obwohl andere Publisher da einen Schritt weiter sind. Aber dass man der Öffentlichkeit eine neue Offenheit vorgaukelt, ist unfassbar. Warum hat 4Players.de, warum hat Krawall.de oder Gamona.de noch keine Fassung von Gothic 4 gesehen, um eine Vorschau zu machen?
Die exklusive Verlogenheit geht in die nächste Runde - hoffentlich geht die Qualität dabei nicht schon wieder zugrunde. Wir werden uns "Arcania - A Gothic Tale" anschauen, wenn es fertig im Laden steht.
Ich wünsche dem Team von Spellbound aufrichtig alles Gute.
Jörg Luibl
Chefredakteur