Kommentar

hundertprozent subjektiv

KW 49
Freitag, 04.12.2009

Die weiche Welle bricht?


Habt ihr das heute in den News gelesen? Mass Effect 2 "soll herausfordernd werden". Das ist doch irgendwie komisch - als wäre das etwas Besonderes oder gar Wichtiges. Okay, es ist ja scheinbar nur eine Stimme. Aber mal genauer hinhören, was Producer Adrian Cho von BioWare sagte: "Manchmal nehmen wir die Spieler zu sehr an die Hand. Ein Spiel wie Demon's Souls ist fantastisch, denn wenn du stirbst, wenn du scheiterst, dann nicht, weil das Spiel einen billigen Trick aufgefahren hat, sondern weil du etwas nicht richtig gemacht hast."

Ist das Statement jetzt nur gute PR oder bezeichnend für den Zustand einer Branche? Es kann natürlich sein, dass sich hier ein Stimmungswechsel andeutet, wenn ein angesehener Top-Entwickler die Herausforderung anstrebt und den Spaziergang ablehnt. Vielleicht hat sich die Spielewelt ja wirklich satt gefressen. Wer wurde in den letzten Jahren hofiert wie ein Riesenbaby? Der Käschuälgayma, der Klick&Blöd-Konsument, der Schwabbelbauchspieler, der nach Feierabend mal ein bisschen zocken will - aber bitte nicht zu stressig, nicht zu anspruchsvoll. 

Ähnlich wie im Sekundentakt in die Chipstüte zu greifen, will er am liebsten im Minutentakt von Achievements und Trophäen berieselt werden, während die Spielwelt vorbei flimmert und sechs Sicherheitsleinen dafür sorgen, dass er vor Aufregung nicht noch pupsen muss. Einfach mal entspannen und durch hübsche Welten cruisen, ohne dass einem virtuell etwas passieren kann. Er stopft gerne alles an Polygonkalorien in sich hinein, wenn er mit gemütlicher Dauersicherheit im Nacken auf der Couch sitzen kann. Schweiß ist verpönt und gegen Nervenkitzel gibt es vielleicht einen Patch.

Ist das okay? Klar ist das okay! Jeder nach seiner Fasson, denn der Feierabend ist heilig und die Vielfalt wichtig. Außerdem boomt die Branche im Takt der Casualcharts - je mehr Leute zocken, desto besser für alle. Und schließlich sorgen gerade die Spiele für die Masse und Wii dafür, dass das Kulturgut Spiel endlich in gesellschaftlicher Breite akzeptiert wird. Was bis vor ein paar Jahren noch auf Keller und LAN-Hallen beschränkt war, gibt es jetzt auch in vielen Betonsilos und exquisiten Nobelsuiten, in Kinder- und Seniorengärten.

Aber es ist auch ein kreatives Armutszeugnis, was da teilweise über die Mattscheiben flimmert. Denn dieses Medium verdankt seine Erstfaszination der blinkenden Interaktion und seine Entwicklung der immer glaubhafteren Immersion. Nur wenn man fasziniert mitmacht, kann man auch abtauchen. Manche Spiele fühlen sich aber schon so an, als würde man passiv vor der Glotze sitzen und ab und zu die Fernbedienung schwenken müssen - saftlos, kraftlos, anspruchslos. Man soll mitgaffen und ein bisschen an der Oberfläche planschen, bis irgendwann der Abspann oder der neue Downloadinhalt kommt.

Entwickler investieren sehr viel Zeit in kostenpflichtige Zusätze und belanglose Kleinigkeiten, damit man auch nach dem Finale weiter kauft und sammelt. Aber was passiert auf dem Weg dahin? Warum will man immer seltener überhaupt bis zur Ziellinie kommen? Weil das Spiel oftmals nichts anderes als Supersize me, nichts als virtuelles Sightsseeing ist. Es wundert mich, dass manche Spiele nicht schon bei QVC beworben werden wie Schmuck, Bastelpapier oder Werkzeug. Warum wirkt ein junges Medium manchmal so alt wie die Hochglanzverkaufe für Rentner auf der Mattscheibe? Weil es träge und fett geworden ist.

Ein Paradebeispiel für die Entwicklung der letzten Jahre ist Ubisoft, obwohl ich Hochachtung vor der visuellen Leistung des Studios Montreal habe - aber gerade hier ist Spieldesign für möglichst viele vor hübscher Kulisse mit möglichst wenig Frustpotenzial scheinbar ein Leitmotiv. Und das ist schade. Wann haben wir das letzte Mal mit den Franzosen in Platinlautstärke gejubelt? Vor sechs bis acht Jahren? Das erste Splinter Cell, Beyond Good & Evil, Rayman, Rainbow Six? Diese Spiele sahen gut aus und waren fordernd. Aber das ist wirklich verdammt lang her.

Danach ging es immer weiter auf ebenso eleganten wie sicheren Schienen, bis in Prince of Persia ein Kindermädchen namens Elika salonfähig gemacht und das blinde Klettern für Dreifingerfaultiere zum Feature wurde. Das waren gleich mehrere Kniefälle vor dem Mainstream. Natürlich gibt es viele andere Publisher, die man jetzt nennen könnte. Aber das ist ein Entwickler, der so viel anspruchsvolle Tradition hat! Diese Impulse wirken beispielhaft für viele Bereiche der Branche.

Wenn Ezio ein Nachfahre im Geiste eines Prinzen ist, der die Angst vor dem Abgrund mal in der Pionierzeit des Mediums kultivierte, dann ist ein degenerierter Primat mit Automatikschaltung übrig geblieben. Ich habe mit vielen Producern und Lead-Designer von Ubisoft auf Messen und Events über den wichtigen Moment der Spannung gesprochen, der den Spielen in letzter Zeit immer öfter abging. Und immer wieder lief es darauf hinaus, dass man ja auch die Gelegenheitsspieler im Auge behalten müsse...

Haben die keine Lust auf Adrenalinkicks? Und falls nicht, dann baut doch die programmierte Langeweile und Absprungsicherheit wenigstens als Option ein! Denn es wäre sehr wohl möglich, Einsteiger und Veteranen zu begeistern, wenn man kreativ entwickelt. Dass Spiele boomen, in denen man wie ein Dreijähriger versteckte Gegenstände finden oder beliebig herum fuchteln muss, unterstreicht nicht nur das tolle Angebot, sondern auch die stellenweise grassierende Degeneration des Spiels, das sich einfachsten Bedürfnissen anbiedern muss.

Aber es gibt Hoffnung. Und die kommt nicht aus dem Westen, sondern vor allem aus dem Osten. In letzter Zeit mussten sich japanische Entwickler viel Kritik anhören - auch aus den eigenen Reihen, weil sie nicht über den Tellerrand schauen und moderne Tendenzen ignorieren würden. Aber in ihrem Kern sorgen sie mit ihrem außergewöhnlichen Design immer noch dafür, dass die Spielwelt für Veteranen faszinierend bleibt. Mit Demon's Souls und Bayonetta kommen zwei der eindrucksvollsten Abenteuer der letzten Zeit aus Japan. Sie werden keine Chartbreaker, aber könnten dennoch eine Signalwirkung haben, denn ihr Spieldesign setzt Zeichen und könnte wie ein Echo nachwirken.

Capcom hat lange Zeit die Instinkte der Veteranen bedient, die nach Spannung und Anspruch gierten. Jetzt ist auch Sega dabei und wird hoffentlich so manchen bunten Murks in Gedenken an Sonic überdenken. Wenn jetzt noch ein westlicher Entwickler wie BioWare kurz vor dem Release eines Mass Effect 2 mit einem Hinweis auf einen vermeintlichen Nischentitel wie Demon's Souls einen höheren Anspruch ankündigt, dann ist das bezeichnend - nicht nur die Kanadier spüren, dass man mit eleganter Leichtigkeit für die Masse keine Euphorie mehr auslösen kann. Die internationale Spielepresse feiert gerade die harten Granaten, die mit Herzblut entwickelt werden und so richtig auf der Couch zünden.

Und das ist gut so. Es wird nämlich Zeit, dass die Ultras unter den Zockern noch viel öfter vor Freude in die Luft gehen können - denn sie sind der Traditionskern der Branche, sie sind die Magneten für hartes Triple A-Eisen und sie wollen das Spiel nicht als Beruhigungsmittel, sondern als packendes Abenteuer erleben. Es geht nicht um höhere Schwierigkeitsgrade oder weniger Checkpoints als Erfolgsrezept, sondern um den wichtigen Moment der Spannung, der in zu vielen Spielen wegrationalisiert wurde. Wenn die weiche Welle der Komfortkompromisse im Bewusstsein der großen Studios bricht, ist vielleicht auch wieder Platz für frische Impulse.

Spürt man die auch, wenn man mit Shephard kämpft? Ich bin gespannt.


Jörg Luibl
Chefredakteur

 

Kommentare

GermanIdiot schrieb am
Alandarkworld hat geschrieben: Welt 1-1 beim ersten Mal durchzocken. Level-up geht noch nicht, Ausrüstung zu teuer, da MUSS man mit Standard-Equipment durch. In einem finsteren Gang geht man - ohnehin vorsichtig wie immer - eine Treppe hoch, links die harte Steinwand, rechts der tödliche Abgrund und die Treppe ist verdammt SCHMAL. Da rollt auf einmal von oben ein Felsen daher. BAM, zack, *fall* *brüll* tot. Super. xD Selbst beim zweiten Mal durchspielen, als ich WUSSTE, dass der verdammte Fels da kommt, hat er mich erwischt... -.- Gott sei Dank ist das ein "Once per game" Event, selbst wenn man stirbt bleibt der Fels unten liegen.
Anderes Beispiel - ebenfalls Welt 1-1. Vor mir ein schmaler Gang, rechts die Wand, links die Brüstung mit den Zinnen. Es ist stockdunkel, ein Turm verdeckt die Sonne. Ich schleiche den Gang entlang, ZACK hab ich schon das Schwert eines Gegners drin stecken. Egal. Ich lebe ja noch. Ich hau ihn tot - und was sehe ich!? Vor mir, im Schatten verborgen, eine ganze Kompanie Armbrustschützen! Ne, nicht mit mir. Ich drehe mich um, ergreife die Flucht, ein Gegner schießt mir nach und verfehlt mich. Der Bolzen schlägt ein paar Meter vor mir in eine Holzwand und *zerstört* sie. Hinter der Holzwand rollt ein halbes Dutzend Felsbrocken auf mich zu und über mich drüber. Zack, tot.
(OK, hier muss man sagen dass man die "Falle" selbst hätte auslösen und alle Armbrustschützen damit töten hätte können, aber wer AHNT sowas!?)
Zum ersten: Man hätte nur die Treppe hochsehen müssen. Da sieht man den Felsen. Dass der nicht zum Spaß daliegt, wird wohl klar sein. :wink:
Sobald der Soldat den Stein ins Rollen bringt umdrehen und loslaufen.
An der Stelle bin ich nicht gestorben und finde sie auch nicht "unfair".
Man konnte sich ja denken, was passiert. :wink:
Zu dem zweiten kann ich nicht viel sagen, außer, dass ich mich definitiv nicht daran erinnern kann, so etwas in 1-1 erlebt zu haben...
Da gibt es definitiv keine Kompanie an Armbrustschützen.
Kann es sein,...
Ash2X schrieb am
Das Problem vieler Spiele ist auch das sie nicht wirklich schwer sind - sondern einfach nur an der Steuerung gepfuscht wurde,oder an dem einen oder anderen Ende übertrieben wird.
Deshalb hab ich aber auch häufig die Motivation verloren: Fordernd und clever ist gut,übertrieben und verbuggt ist einfach nur Streß.
Alandarkworld schrieb am
Zu 99,99% stimme ich dir wie immer zu, Jörg ;)
Nur an einer einzigen Stelle muss ich dir widersprechen: in Demons Souls stirbt man manchmal wirklich nur deshalb, weil das Spiel fiese Tricks auffährt. Beispiele gefällig?
Welt 1-1 beim ersten Mal durchzocken. Level-up geht noch nicht, Ausrüstung zu teuer, da MUSS man mit Standard-Equipment durch. In einem finsteren Gang geht man - ohnehin vorsichtig wie immer - eine Treppe hoch, links die harte Steinwand, rechts der tödliche Abgrund und die Treppe ist verdammt SCHMAL. Da rollt auf einmal von oben ein Felsen daher. BAM, zack, *fall* *brüll* tot. Super. xD Selbst beim zweiten Mal durchspielen, als ich WUSSTE, dass der verdammte Fels da kommt, hat er mich erwischt... -.- Gott sei Dank ist das ein "Once per game" Event, selbst wenn man stirbt bleibt der Fels unten liegen.
Anderes Beispiel - ebenfalls Welt 1-1. Vor mir ein schmaler Gang, rechts die Wand, links die Brüstung mit den Zinnen. Es ist stockdunkel, ein Turm verdeckt die Sonne. Ich schleiche den Gang entlang, ZACK hab ich schon das Schwert eines Gegners drin stecken. Egal. Ich lebe ja noch. Ich hau ihn tot - und was sehe ich!? Vor mir, im Schatten verborgen, eine ganze Kompanie Armbrustschützen! Ne, nicht mit mir. Ich drehe mich um, ergreife die Flucht, ein Gegner schießt mir nach und verfehlt mich. Der Bolzen schlägt ein paar Meter vor mir in eine Holzwand und *zerstört* sie. Hinter der Holzwand rollt ein halbes Dutzend Felsbrocken auf mich zu und über mich drüber. Zack, tot.
(OK, hier muss man sagen dass man die "Falle" selbst hätte auslösen und alle Armbrustschützen damit töten hätte können, aber wer AHNT sowas!?)
Das waren aber auch die einzigen beiden Stellen in Demons Souls, aber berichtigen musste ich es schon. Es ist ein guter, sogar sehr guter Titel, aber heiligsprechen muss man ihn deshalb noch lange nicht^^
Gruß,
Alan
MadEagLe schrieb am
No Cars Go hat geschrieben:
MadEagLe hat geschrieben:
No Cars Go hat geschrieben:Grundsätzlich stimme ich dem Artikel natürlich voll und ganz zu, nur kann ich mich stellenweise dem Eindruck nicht erwehren, dass er etwas scheinheilig ist:
Mit Verlaub, aber diese Passage lässt sich ja wohl perfekt auf Fallout 3 anwenden, in dem man in kürzester Zeit godlike durch die Einöde schreitet, postnuklearem Sightseeing frönt und alle Monate wieder mit kostenpflichtigem DLC nachgefüttert wurde - kein schlechtes Spiel, nein, aber genau dieses Fastfood, das hier von Jörg angeprangert wird ? und das von ihm mit einem 87-%-Gold-Award gefeiert wurde.
Oberflächlich gesehen ist was dran, an dem was du sagst. Aber nur oberflächlich. Fallout 3 hat weitaus mehr zu bieten als das, was Jörg in seinem Kommentar (nach meinem Verständnis) meinte. Nämlich Charaktere und Story. Ich sage nur: Kannibalen. Als ein Beispiel.
Ich habe es trotzdem nicht allzu lange gespielt - weil es im Kern haargenau Oblivion ( minus Fantasy; plus Science Fiction ) war, und das hatte ich ewig gespielt - aber in ein paar Stunden Fallout 3 waren mehr Tiefe als im kompletten Assassin's Creed. Jörgs Kommentar war denk ich eher auf letzteres gemünzt.
Jörg kritisiert in seinem Kommentar doch ein Prince of Persia, in dem durch die Autopilotenspielmechanik keine Spannung mehr aufkommen kann, weil es kein Scheitern mehr gibt ? insofern also von einem Mangel an Spieltiefe durch Gameplay, nicht durch Story ? und da finde ich Fallout 3 genau in diesem Sinne sehr angreifbar.
Nun ja, ich denke der Kommentar ist nicht so eindeutig geschrieben, dass man erwarten könnte, dass auch nur 5 Leser das gleiche dabei verstehen...
PoP (2008) muss sicher mit diesem Kritikpunkt leben. Ich frage mich, warum sie es nicht optional abschaltbar gemacht haben, wenngleich ich die Antwort ahne...
Was ich aber sagen wollte, hatte nichts mit der Spannung, die aus der Möglichkeit des eigenen Ablebens erwächst, zu tun. Ich wollte darauf hinaus, dass...
Dave1978 schrieb am
Sorry Jörg, aber diesmal kann ich nicht zustimmen. Das Leben bietet mir genug Kicks. Ich zocke um Adrenalin abzubauen, nicht um mich frustrieren zu lassen. Ein Casual-Gamer bin ich wohl kaum. Meine erste Zockmaschine war ein Amiga. Die Anzahl der von mir gespielten Games bewegt sich im vierstelligen Bereich.
Ich halte es für gesund im Laufe des Lebens weniger Tiefe und Herausforderung in Videospielen zu suchen. Alles was man dort immer gesucht und nie gefunden hat, bietet das Leben zuhauf. Aber leider nie auf Knopfdruck.
schrieb am