Die weiche Welle bricht?
Habt ihr das heute in den
News gelesen?
Mass Effect 2 "soll herausfordernd werden". Das ist doch irgendwie komisch - als wäre das etwas Besonderes oder gar Wichtiges. Okay, es ist ja scheinbar nur eine Stimme. Aber mal genauer hinhören, was Producer Adrian Cho von BioWare sagte:
"Manchmal nehmen wir die Spieler zu sehr an die Hand. Ein Spiel wie Demon's Souls ist fantastisch, denn wenn du stirbst, wenn du scheiterst, dann nicht, weil das Spiel einen billigen Trick aufgefahren hat, sondern weil du etwas nicht richtig gemacht hast."
Ist das Statement jetzt nur gute PR oder bezeichnend für den Zustand einer Branche? Es kann natürlich sein, dass sich hier ein Stimmungswechsel andeutet, wenn ein angesehener Top-Entwickler die Herausforderung anstrebt und den Spaziergang ablehnt. Vielleicht hat sich die Spielewelt ja wirklich satt gefressen. Wer wurde in den letzten Jahren hofiert wie ein Riesenbaby? Der
Käschuälgayma, der
Klick&Blöd-Konsument, der Schwabbelbauchspieler, der nach Feierabend mal ein bisschen zocken will - aber bitte nicht zu stressig, nicht zu anspruchsvoll.
Ähnlich wie im Sekundentakt in die Chipstüte zu greifen, will er am liebsten im Minutentakt von Achievements und Trophäen berieselt werden, während die Spielwelt vorbei flimmert und sechs Sicherheitsleinen dafür sorgen, dass er vor Aufregung nicht noch pupsen muss. Einfach mal entspannen und durch hübsche Welten cruisen, ohne dass einem virtuell etwas passieren kann. Er stopft gerne alles an Polygonkalorien in sich hinein, wenn er mit gemütlicher Dauersicherheit im Nacken auf der Couch sitzen kann. Schweiß ist verpönt und gegen Nervenkitzel gibt es vielleicht einen Patch.
Ist das okay? Klar ist das okay! Jeder nach seiner Fasson, denn der Feierabend ist heilig und die Vielfalt wichtig. Außerdem boomt die Branche im Takt der Casualcharts - je mehr Leute zocken, desto besser für alle. Und schließlich sorgen gerade die Spiele für die Masse und Wii dafür, dass das Kulturgut Spiel endlich in gesellschaftlicher Breite akzeptiert wird. Was bis vor ein paar Jahren noch auf Keller und LAN-Hallen beschränkt war, gibt es jetzt auch in vielen Betonsilos und exquisiten Nobelsuiten, in Kinder- und Seniorengärten.
Aber es ist auch ein kreatives Armutszeugnis, was da teilweise über die Mattscheiben flimmert. Denn dieses Medium verdankt seine Erstfaszination der blinkenden Interaktion und seine Entwicklung der immer glaubhafteren Immersion. Nur wenn man fasziniert mitmacht, kann man auch abtauchen. Manche Spiele fühlen sich aber schon so an, als würde man passiv vor der Glotze sitzen und ab und zu die Fernbedienung schwenken müssen - saftlos, kraftlos, anspruchslos. Man soll mitgaffen und ein bisschen an der Oberfläche planschen, bis irgendwann der Abspann oder der neue Downloadinhalt kommt.
Entwickler investieren sehr viel Zeit in kostenpflichtige Zusätze und belanglose Kleinigkeiten, damit man auch nach dem Finale weiter kauft und sammelt. Aber was passiert auf dem Weg dahin? Warum will man immer seltener überhaupt bis zur Ziellinie kommen? Weil das Spiel oftmals nichts anderes als Supersize me, nichts als virtuelles Sightsseeing ist. Es wundert mich, dass manche Spiele nicht schon bei QVC beworben werden wie Schmuck, Bastelpapier oder Werkzeug. Warum wirkt ein junges Medium manchmal so alt wie die Hochglanzverkaufe für Rentner auf der Mattscheibe? Weil es träge und fett geworden ist.
Ein Paradebeispiel für die Entwicklung der letzten Jahre ist Ubisoft, obwohl ich Hochachtung vor der visuellen Leistung des Studios Montreal habe - aber gerade hier ist Spieldesign für möglichst viele vor hübscher Kulisse mit möglichst wenig Frustpotenzial scheinbar ein Leitmotiv. Und das ist schade. Wann haben wir das letzte Mal mit den Franzosen in Platinlautstärke gejubelt? Vor sechs bis acht Jahren? Das erste Splinter Cell, Beyond Good & Evil, Rayman, Rainbow Six? Diese Spiele sahen gut aus und waren fordernd. Aber das ist wirklich verdammt lang her.
Danach ging es immer weiter auf ebenso eleganten wie sicheren Schienen, bis in
Prince of Persia ein Kindermädchen namens Elika salonfähig gemacht und das blinde Klettern für Dreifingerfaultiere zum Feature wurde. Das waren gleich mehrere Kniefälle vor dem Mainstream. Natürlich gibt es viele andere Publisher, die man jetzt nennen könnte. Aber das ist ein Entwickler, der so viel anspruchsvolle Tradition hat! Diese Impulse wirken beispielhaft für viele Bereiche der Branche.
Wenn Ezio ein Nachfahre im Geiste eines Prinzen ist, der die Angst vor dem Abgrund mal in der Pionierzeit des Mediums kultivierte, dann ist ein degenerierter Primat mit Automatikschaltung übrig geblieben. Ich habe mit vielen Producern und Lead-Designer von Ubisoft auf Messen und Events über den wichtigen Moment der Spannung gesprochen, der den Spielen in letzter Zeit immer öfter abging. Und immer wieder lief es darauf hinaus, dass man ja auch die Gelegenheitsspieler im Auge behalten müsse...
Haben die keine Lust auf Adrenalinkicks? Und falls nicht, dann baut doch die programmierte Langeweile und Absprungsicherheit wenigstens als Option ein! Denn es wäre sehr wohl möglich, Einsteiger und Veteranen zu begeistern, wenn man kreativ entwickelt. Dass Spiele boomen, in denen man wie ein Dreijähriger versteckte Gegenstände finden oder beliebig herum fuchteln muss, unterstreicht nicht nur das tolle Angebot, sondern auch die stellenweise grassierende Degeneration des Spiels, das sich einfachsten Bedürfnissen anbiedern muss.
Aber es gibt Hoffnung. Und die kommt nicht aus dem Westen, sondern vor allem aus dem Osten. In letzter Zeit mussten sich japanische Entwickler viel Kritik anhören - auch aus den eigenen Reihen, weil sie nicht über den Tellerrand schauen und moderne Tendenzen ignorieren würden. Aber in ihrem Kern sorgen sie mit ihrem außergewöhnlichen Design immer noch dafür, dass die Spielwelt für Veteranen faszinierend bleibt. Mit
Demon's Souls und
Bayonetta kommen zwei der eindrucksvollsten Abenteuer der letzten Zeit aus Japan. Sie werden keine Chartbreaker, aber könnten dennoch eine Signalwirkung haben, denn ihr Spieldesign setzt Zeichen und könnte wie ein Echo nachwirken.
Capcom hat lange Zeit die Instinkte der Veteranen bedient, die nach Spannung und Anspruch gierten. Jetzt ist auch Sega dabei und wird hoffentlich so manchen bunten Murks in Gedenken an Sonic überdenken. Wenn jetzt noch ein westlicher Entwickler wie BioWare kurz vor dem Release eines Mass Effect 2 mit einem Hinweis auf einen vermeintlichen Nischentitel wie Demon's Souls einen höheren Anspruch ankündigt, dann ist das bezeichnend - nicht nur die Kanadier spüren, dass man mit eleganter Leichtigkeit für die Masse keine Euphorie mehr auslösen kann. Die internationale Spielepresse feiert gerade die harten Granaten, die mit Herzblut entwickelt werden und so richtig auf der Couch zünden.
Und das ist gut so. Es wird nämlich Zeit, dass die Ultras unter den Zockern noch viel öfter vor Freude in die Luft gehen können - denn sie sind der Traditionskern der Branche, sie sind die Magneten für hartes Triple A-Eisen und sie wollen das Spiel nicht als Beruhigungsmittel, sondern als packendes Abenteuer erleben. Es geht nicht um höhere Schwierigkeitsgrade oder weniger Checkpoints als Erfolgsrezept, sondern um den wichtigen Moment der Spannung, der in zu vielen Spielen wegrationalisiert wurde. Wenn die weiche Welle der Komfortkompromisse im Bewusstsein der großen Studios bricht, ist vielleicht auch wieder Platz für frische Impulse.
Spürt man die auch, wenn man mit Shephard kämpft? Ich bin gespannt.
Jörg LuiblChefredakteur