Kommentar

hundertprozent subjektiv

KW 24
Freitag, 15.06.2012

Wenn schon Gewalt, dann bitte richtig!


Die Spielewelt braucht mehr Gewalt. Nicht auf dem oberflächlichen Niveau explodierender Köpfe, cooler Takedowns oder multipler Kills - davon hat sie wahrlich genug. Aber wie wenig das bewegt, wie stumpf und belanglos diese Action wirken kann, hat kürzlich nicht nur Max Payne in Endlosschleife demonstriert. Da war die goldene Waffe irgendwann wichtiger als der hunderte Tote oder die nächste Kanonenfutterwelle.

Auf dem Bildschirm wird in der Masse geschossen, geschlitzt und gehackt. Dass man nicht weiter darüber nachdenkt liegt nicht daran, dass die Spieler schon so abgestumpft sind, sondern dass es auf einem unrealistischen, rein kompetitiven Niveau inszeniert wird, und zwar von Bulletstorm bis Killzone, von Borderlands bis Battlefield. Alles Action für kleine Jungs – natürlich im Manne.

Ist das verwerflich? Nö. Auch das simple Wegrotzen macht mal Spaß. Dafür sind all die Waffenpornos auch da: Kopf aus,  Feuer frei. Und was habe ich mich gefreut, wenn sich die Kettensäge im Multiplayer von Gears of War mit lautem Getöse durch den Gegenspieler ackerte – Autsch. Aber Elfmeter versenkt, Spiel gewonnen! Eine unheimlich sportliche Freude. Genauso wie beim Knacken der Highscore von Pixeljunk Eden. All das ist die arcadige Oberfläche, die Spiele seit Rambo (1985) und Rush'n Attack: Green Beret (1986) bis heute abbilden. Über zwei Jahrzehnte so viel Spaß, aber auch so viel dramaturgische Stagnation!

Die Gewalt muss viel öfter in die Tiefe gehen, indem sie die einzelne Situation komplexer darstellt und nicht nur den Akt des Tötens gezielt verlangsamt, sondern auch die grauenhaften Folgen zeigt. Die Kamera muss viel näher ran, das Tempo muss raus und das Bild muss so authentisch sein, dass sich einem der Magen umdreht. Was ist ein Call of Duty oder ein Battlefield anderes als die totale Verharmlosung von Krieg? Selbst der erste Rambo ist dagegen eine gesellschaftskritische Auseinandersetzung!

Als anspruchsvoller Erwachsener wird man von der Action der Spielewelt kaum noch angesprochen. Wie könnte das gehen? Man müsste der explosiven Harmlosigkeit die Maske vom Gesicht reißen, damit uns die schreckliche Fratze dahinter anstarren kann.  Wie ist Gewalt? Brutal, grauenvoll, bedrückend. Die Bildregie in Spielen muss viel öfter mit diesen Konsequenzen schockieren, damit das Reflektieren beginnen kann.

Natürlich nicht zum Selbstzweck, nicht so dämlich um Aufmerksamkeit und Skandale heischend wie in der Flughafenszene von Call of Duty, nicht in einer plumpen Aneinanderreihung von Tötungen, nicht so harmlos wie in Splinter Cell: Blacklist, wo man selbst unter schwerem MG-Beschuss nochmal schnell wie die coole Sau vom Dienst mit dem Messer tötet, sondern als ein kreatives Stilmittel, das zur richtigen Zeit so aufrüttelt und schockiert, dass man tatsächlich inne hält und vielleicht sogar das Gamepad weglegt.

Das Manko der Spielewelt ist nicht, dass sie zu viel Gewalt zeigt. Das Manko ist, dass sie die Gewalt nur als unterhaltsame Effekthascherei einsetzt, dass sie Mord, Krieg und Vernichtung in ihrer explosiven Überzeichnung komplett verharmlost. Keine Frage: Das Spiel soll auch diese fiktive Arena bleiben, wo man genau das ohne Skrupel erleben kann, wo man Kopfschussketten für die Highscore und den Blutrausch nach multiplen Kills im Koop erlebt. Dass es diese Form der plumpen Gewalt gibt, ist überhaupt nicht das Problem. Dass es so wenig darüber hinaus gibt, das ist das Problem!

Man fühlt sich als Actionfan intellektuell und dramaturgisch vollkommen unterfordert, denn das Genre hat sich – bis auf wenige Ausnahmen - lediglich grafisch entwickelt. Was jedoch fehlt ist eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt und Krieg. Es fehlen Drehbücher für Erwachsene. Warren Spector hat vollkommen Recht, wenn er sagt, dass das, was uns wie etwa in Medal of Honor als „erwachsen“ serviert wird, einfach nur pubertär ist. Patriotische Durchhalteparolen und der weltpolitische Status quo regieren die Spielewelt – intellektuelle Beschränkung, digitales Fastfood ohne Kontrapunkte. Es geht mir nicht um mehr Pazifismus oder mehr Moral, sondern um eine Dramaturgie, die den Spieler zum Nachdenken anregt.

Wie viel weiter, wie viel reifer Buch und Film sind, demonstrierte vor ein paar Jahren "No Country for Old Men". Dieser Film, der auf dem Roman von Cormac McCarthy beruht, beginnt mit der brutalsten Strangulierung, die jemals im Kino zu sehen war. Die Coen-Brüder sind nicht unbedingt als Tarnanzug tragende Gewaltjunkies bekannt, die gerne Tom Clancy lesen, sondern als kreative Regisseure. Sie haben nicht nur vier Oscars, sondern zig andere Auszeichnungen wie Golden Globes und British Academy Film Awards für diesen schonungslosen Thriller bekommen, der die Gewalt zwingend als ein Element der Story benötigte. Wo sind die Spiele, die auch nur annähernd dieses Niveau erreichen? Es gibt sie nicht.

Sie sind nicht möglich? Doch, sind sie! Naughty Dog geht mit The Last Of Us den richtigen, den mutigen Weg. Wenn Redakteuren endlich mal mulmig wird, weil ein Mann einen Feind nicht sauber per Knopfdruck erledigt, sondern weil er ihn in diesen Spielszenen schmutzig über mehrere hart erkämpfte Sekunden erwürgt, dann ist das ein sehr gutes Zeichen, denn dann tut sich etwas in der Dramaturgie! Es wurde bisher so viel heroisch glorifiziert, aber so wenig realistisch inszeniert.

Wer jetzt tatsächlich als Redakteur sagt, dass das zu weit geht, sollte zumindest die Doppelmoral der eigenen Zunft erkennen. Denn in jedem Magazin dieser Spielwelt werden Krieg und Kills seit Jahren wie blöde gefeiert. Coole Explosionen! Packendes Mittendrin-Gefühl! Prächtiges Schlachtgemälde! Blutige Schnetzelplatte! Das ist okay. Nur bitte die Gewalt nicht zu genau zeigen, sonst wird uns beim Spielen schlecht? Das ist nicht okay! Dann lasst einfach die Finger davon, ihr erwachsenen Weicheier und Moralapostel!

 Ich habe mich richtig gefreut, dass gerade ein Entwickler wie Naughty Dog dieses Risiko in der Inszenierung eingeht. Sie wollen die Gnadenlosigkeit dieser Endzeit veranschaulichen, in der ein scheinbar skrupelloser Mann mit einem abgestumpften Mädchen unterwegs ist. Aber irgendwann wird sie ihn vermutlich fragen, ob die Welt schon immer so war. Und irgendwann wird diese unmenschliche Gegenwart mit den eiskalten Tötungen vielleicht angezweifelt. Genau so kann ein Reflektieren einsetzen. Ich weiß natürlich nicht, ob es den Entwicklern gelingt, diesen Konflikt und die Entwicklung der Charaktere erzählerisch zu meistern. Und sie haben den Mund sicher zu voll genommen, wenn sie mit diesem Spiel „die verdammte Branche ändern“ wollen.

Aber dass sie mit der Kamera so draufhalten und die Brutalität in ihrer realistischen Langsamkeit einfangen, dass sie ähnlich wie im Film das schockierende Erlebnis und nicht das kompetitive Gewinnen in den Vordergrund stellen wollen, macht Hoffnung auf weniger oberflächliche Glorifizierung, sondern mehr Action für Erwachsene. Natürlich hat die Spielewelt die Gewalt nicht unbedingt nötig, um kulturell zu reifen. Und ich freue mich, dass Hideo Kojima über Spiele nachdenkt, die all die brach liegenden Themen von der Liebe bis zur Familie behandeln. Was könnte man alles ohne einen Schuss, ohne einen Toten erzählen?

Aber wenn schon Gewalt, dann bitte richtig!


Jörg Luibl
Chefredakteur

 

Kommentare

Skarmax schrieb am
Guter Beitrag. Das Problem, dass die Gewalt als kompetetives und nicht als dramaturgisches Mittel benutzt wird, liegt eigentlich auf der Hand: je tiefer das Niveau, desto mehr Leute werden es spielen. Das ist leider die Wahrheit. Aber man kann so viele Geschichten erzählen, auch aus der Geschichte der Menschheit, in denen Gewalt als der allerletzte Ausweg, der tierische Überlebensinstinkt, benutzt wird. Tja, bleibt abzuwarten
dx1 schrieb am
Gut zu wissen. :D
Jörg Luibl schrieb am
Nu weiß ich Bescheid. Aber für eine "neue" Kolumne war der Feind dann doch zu klein. :wink:
dx1 schrieb am
4P|T@xtchef hat geschrieben:Kolumne zur Feindschaft? :Kratz:
Hatred kann nicht nur mit Hass übersetzt werden, sondern auch mit Feindschaft.
schrieb am