Benjamin Schmädig
Emotionslose Spielezukunft?Ein Kommentar von Benjamin Schmädig, 03.08.2012
2K Games: verdammt guter Laden! Seine Plakette klebt auf einem Schwergewicht wie Civilization, auf dem großen BioShock, auf Mafia und dem ersten Darkness.

Es ist  kaum zu übersehen: 2K Games liebt Action. Den Shooter. Die Gewalt. Und so kommt es wohl, dass GamesIndustry vom Präsidenten des Publishers, Christoph Hartmann, wissen will, ob es nicht auch mit weniger Gewalt ginge. Immerhin kritisierte Urgestein Warren Spector zuletzt, dass der Blutdurst vieler Spiele pubertäre Gelüste befriedige, anstatt erwachsene Inhalte zu thematisieren.

"Wir können eigentlich nur Actionspiele und Shooter machen", sagt Hartmann. "Das sind die Spiele, die heutzutage zu den Konsolen passen."

Warum das so sei? Hartmann erklärt: "[...] es ist sehr schwer, starke Empfindungen wie Traurigkeit oder Liebe zu wecken [...]". Weil die Interaktion den Spielraum einschränke. Weil man die Emotionen eines Brokeback Mountain nicht im Spiel erschaffen könne. Weil nur fotorealistische Bilder solche Gefühle vermitteln könnten.

Ich empfinde diese Antwort als erschütternd.

Herr Hartmann, bin ich im falschen Film? Haben Millionen Spieler Aeris' Tod nur geträumt? Haben sie ihr eigenes BioShock 2 je gespielt? Hatten sie in Darkness keine Zeit, mit Jenny auf der Couch zu sitzen? Kennen sie Heavy Rain? Ist To the Moon an ihnen vorbei gegangen?

In keinem dieser Spiele agieren Figuren, die man mit realen Menschen verwechselt. Gerade To the Moon ist ein Paradebeispiel für krude Zeichnungen, die selbst einfach gezeichnete Comics untertreffen. Und gerade To the Moon wurde dafür ausgezeichnet, dass es Etliche mit seinem Humor, seiner Sehnsucht und seiner Liebe zu Tränen gerührt hat.

Nein, Herr Hartmann, es ist schlicht und ergreifend falsch, Gefühle an fotorealistischen Gesichtern festzumachen. Emotionen entstehen auch im Film aus einer Situation heraus. Aus dem Hineinversetzen in eine Figur. Und genau genommen kann ein Spiel dieses Hineinversetzen viel eindringlicher vermitteln als das Beobachten der Leinwand. Denn wo der Film mit Mimik und Gestik nur darstellt, leitet ein Spiel durch eigenhändiges Erleben.

Interaktion schränkt nicht ein - sie bietet unendliche Möglichkeiten. Möglichkeiten, an die wir heute gar nicht denken. Die aber gerade in den vergangenen Jahren deutlich erweitert wurden. Hatte Industrieveteran Hartmann etwa verschlafen, als Dear Esther das Erlebnis Spiel um eine Dimension erweiterte? Als Journey der Freude, der Freundschaft, der Angst und der Trauer eine neue Stimme verlieh?

Das können so nur Spiele leisten. Das sollten Spiele heute leisten. Und das muss im Bestreben eines selbst erklärten Big Players wie 2K Games erkennbar sein!

Hat es vielleicht mit Finanzen, Bilanzen, Investoren zu tun, dass ihm Action und Shooter so wichtig sind? Natürlich: das verkauft sich besser - absolute Einnahmerekorde leisten nur Kracher wie Call of Duty und das quasi hauseigene Grand Theft Auto. Ist Geld etwa der Grund, weshalb er schon vor einigen Monaten sagte: "Strategiespiele sind nicht zeitgemäß"? Ist es der Grund, weshalb heutige Konsolen laut Hartmann nur Blut vergießen können?

Ja, ich finde es erschreckend, wenn der Entscheidungsträger eines der größten Herausgebers von Videospielen öffentlich verkennt, dass einer der zentralen Aspekte des modernen Spiels - Emotionen - auch ohne technisches Feuerwerk seine volle Stärke entfalten kann.

Im besten Fall skizziert Hartmann so die beklemmenden Umrisse des Gefängnisses, in dem große gewinnorientierte Unternehmen festsitzen. Im schlimmsten Fall zeugt es von einer traurigen Ignoranz jenem Medium gegenüber, das ihm am wichtigsten sein sollte.

"Bevor Spiele nicht fotorealistisch aussähen, können keine neuen Genres entstehen", begründet Christoph Hartmann das emotionslose Spiel.

"Ich glaube, die meisten Probleme, die wir lösen müssen, sind kreativer, nicht technischer Natur", sagt Warren Spector.


Benjamin Schmädig
Redakteur
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