Game Developers Conference Europe 2009
18.08.2009 16:55, Julian Dasgupta

"Macht ihr Spielzeug oder Kunst?"

Er dürfe keine neuen Szenen aus Heavy Rain zeigen, ließ David Cage am Anfang seiner Keynote gleich verlauten, um das Erwartungsniveau der Anwesenden entsprechend zu moderieren. Allerdings sei das, was er nun zum Thema "Interaktive Geschichten für ein erwachsenes Publikum schreiben" erzählen wird, grundlegend für die Produktion des Spiels.

In der jüngeren Vergangenheit würden Spieleschöpfer plötzlich über Emotionen reden, die mit einem Spielerlebnis verbunden seien. Das sei lange Zeit nie der Fall gewesen, so der Quantic Dream-Gründer, der dann erläutert, warum das seiner Meinung nach der Fall ist. So sei die Spielerschar insgesamt gealtert. 75 Prozent der Nutzer seien älter als 18, das Durchschnittsalter sei mittlerweile 35. Außerdem gehörten 40 Prozent der Spieler dem weiblichen Geschlecht an.

Und während sich Spiele in den vergangenen 20 Jahren nicht deutlich geändert hätten, so seien doch auch die Spieleentwickler älter. Das zeige sich auch in einem anderen Geschmack, höre er doch auch nicht mehr die Musik, die ihm gefiel, als er zehn Jahre alt war.

Bei Emotionen unterscheidet Cage zwei Kategorien: Grundlegende, ureigene Gefühle wie Angst, Aufregung, Frustration und Aggressivität würden sich vor allem physiologisch niederschlagen, heißt es mit Verweis auf den Adrenalinschub. Hier gehe es vor allem um die Reaktion auf eine Situation. Mit sozialen Emotionen - z.B. Empathie, Freude, Trauer, Neid oder Scham - hingegen teile man sich auch anderen mit.

Kunst würde es zum Ziel haben, Emotionen zu erzeugen. "We like to feel", führt Cage aus und ergänzt, dass dies auch unangenehme Gefühle betreffe. Während Filme, Bücher oder Bilder allerdings das komplette emotionale Spektrum ansprechen würden, seien es bei Spielen vor allem die grundlegenden Kategorien wie Aggression oder der Ehrgeiz bzw. das Konkurrenzempfinden. Der Grund dafür: Diese Gefühle seien wesentlich leichter zu erzeugen. Außerdem würde das gut bei Kindern und Teenagern funktionieren, welche heute ja primär anvisiert würden.

Den meisten Produktionen würde auch der Bedeutungsgehalt fehlen - oft gebe es nur eine simple Geschichte und Gewalt. Eine Botschaft oder andere Informationen im Allgemeinen würden selten vermittelt - man könne kaum etwas lernen.

Auch sei die Erzählweise bei Spielen zerstückelt. Bei den meisten Filmen würde die Action und das Erzählen der Geschichte simultan geschehen, bei Spielen gebe es immer den Wechsel zwischen narrativen und actionreichen Elementen - das sei im Filmbereich eigentlich nur bei Pornos derart ausgeprägt.

Die Hauptprotagonisten von Spielen seien in der Regel eher Karikaturen als glaubhaft, mahnt Cage weiter. Dort gehe es immer darum, auch zu zeigen, was den Charakter ausmacht - starke Figuren seien extrem muskulös, böse Charakter sähen auch immer sehr 'böse' aus. Sie hätten oft klare und einfache Ziele wie beispielsweise das Retten der ganzen Welt und müssten auch noch 'cool' aussehen, um Teenager anzusprechen. Ein Facettenreichtum gebe es da selten.

Filmcharaktere wären oft glaubhafter, hätten eine Hintergrundgeschichte und Beziehungen und würden es so einfacher machen, sich mit ihnen zu identifizieren oder mit ihnen zu fühlen.

Anschließend bietet Cage sein "magisches Rezept" dar und sagt, die Entwickler müssten sich halt entscheiden: Wollen sie Spielzeug oder Kunst machen? Wollen sie nur grundlegende oder auch soziale Emotionen erzeugen? Wollen sie Kinder oder Erwachsene ansprechen? Früher ging es immer um das Erreichen bestimmter Leistungen, um Herausforderungen, die es zu meistern gilt - heute könnten Spiele auch eine Reise sein. Man könne einen Sandkasten anbieten - ein eher offenes, nicht gesteuertes Erlebnis, dass spaßig, aber auch langweilig sein kann. Oder einen Ritt in der Achterbahn, bei dem die Richtung zwar vorgegeben ist, aber auch ganz bewusste Gefühle vermittelt würden.

Man müsse sich fragen, ob man sich an Traditionen hält, oder sich an neue Paradigmen wagt. Warum müsse ein Spiel mit der Dauer stetig schwieriger werden? Das sei in den Spielhallenwurzeln begründet; es ging darum, den Spielern die Münzen aus der Tasche zu ziehen. Die heutige Gültigkeit müsse aber hinterfragt werden, so Cage. Er habe nicht mehr viel Zeit zum Spielen, aber auch keine Lust, 70 Euro für etwas auszugeben, das er irgendwann frustriert in die Ecke feuert, weil es zu schwer geworden ist. Das sei nur ein Beispiel für etablierte Designmerkmale, die oft nicht kritisch betrachtet würden.

Regel 1 der Cage'schen Empfehlung: Free your mind! Die Kreativität sollte im Mittelpunkt stehen. Man solle keine Kompromisse eingehen, Trends vermeiden. Niemals sollte man auf Vorschläge von Marketingleute hören, predigt Cage und lauscht dann dem lauten Beifall des Publikums an dieser Stelle.

Man müsse neue Antworten finden (Regel 2), heißt e weiter. Kontextsensitive Interfaces und vor allem Möglichkeiten, Story und Action zu verbinden, müsste man erörtern. Entwickler sollten eine eigene Grammatik entwickeln. Gamedesigner müssten sich eher als Autoren sehen und auch dementsprechend agieren. Er glaube nicht daran, dass ein Team von 20 Leuten eine persönliche, ergreifende Geschichte erschaffen könne. Auch sei das Schreiben interaktiver Geschichten eine Disziplin, die man schulen müsse. Je mehr Leute involviert seien, desto mehr Kompromisse müsse man eingehen.

Man solle Technologie vergessen (Regel 3) - die sei ein Werkzeug, nicht das Ziel. Charaktere als Vehikel für Emotionen sollten im Mittelpunkt stehen. Irgendwann gebe es vielleicht eine universelle Technologie, hofft Cage. In den frühen Jahren des Films hätten Regisseure noch ihre eigenen Kameras gebaut - heute habe man klare Standards. Im Falle von Heavy Rain hätten 20 Mann knapp vier Jahre an der Engine gearbeitet - er hätte diesen Aufwand lieber in das Erschaffen von Inhalten investiert.

"Seid stolz auf das, was ihr seid!", lautet die vierte Regel. Dafür sollte man auch aufhören, "dumme Spiele" zu machen. Die Wirkung des Hot Coffee-Skandals würde noch bis heute anhalten. So müsse er Texturen an heiklen Stellen bei Charakteren unscharf machen, selbst wenn diese nicht von der Kamera erfasst würden, weil sich irgendwelche Leute theoretisch Zugang zu den reinen Daten verschaffen könnten.

Hersteller müssten allerdings auch stärker ihre eigenen Schöpfungen verteidigen. So hätten Electronic Arts und BioWare richtig reagiert, als das Thema "Sex in Mass Effect" von Fox News betrachtet wurde. Dort hätte man auf die entsprechende Alterseinstufung des Spiels verwiesen und nicht versucht, sich anderweitig dafür zu rechtfertigen.

Auch müsse man dafür kämpfen, die Zensur auf ein 'normales' Niveau zu senken. Es könne nicht sein, dass in Spielen Dinge verboten werden, die in Filmen oder Büchern gemeinhin akzeptiert würden. In Fahrenheit   habe er einer weiblichen Figure in manchen Märkten einen Badeanzug in einer Duschszene verpassen müssen, weil man für eine Sekunde einen Blick auf die Brüste erhaschen konnte. Die oft ins Feld geführte Interaktivität des Mediums Spiel sei ein Pseudoargument, für dass es keine fundierten Beweise gebe.

Entwickler müssten offen für neue Modelle (in geschäftlicher Hinsicht) sein, erläutert Cage seine sechste Regel, um dann fix zu Regel 7 zu schalten: Habt Mut und Ausdauer! Man müsse eben hart arbeiten und Leute bei den Publishern überzeugen. Man müsse Journalisten davon überzeugen, neue Konzepte nicht nach alten Maßstäben wahrzunehmen und zu bewerten. Letztendlich müsse man auch den Markt erreichen - der aber sei nicht so konservativ, wie viele immer behaupten würden. Spieleschöpfer müssten allerdings auch bereit sein, ihr bisheriges Zielpublikum zu verlieren.

All das würden viele Entwickler bis heute aber vermeiden, da es schwierig und risikoreich sei. Die Branche würde aber an einem Scheideweg stehen: Spricht man alle an - oder macht man es sich in der Nische gemütlich.

Letzteres habe man im Falle der Comics beobachten können, die bis heute größtenteils Jugendliche ansprechen würden und mit einem aggressiven Look aufwarten würden. Drei Verlagshäuser würden 80 Prozent des Marktes unter sich ausmachen.

Der Filmbereich habe hingegen einen anderen Weg aufgezeigt und sich zu einem allumfassenden Medium entwickelt, das für jeden etwas bieten kann und alle Emotionen ansprechen würde.

Als Rollenmodell könne Pixar dienen. Dort habe man vor Toy Story alle Empfehlungen Disneys (Gesangseinlagen etc.) ignoriert. Bei Pixar stünden Charaktere, Story und Emotionen im Mittelpunkt. Und obwohl die Produktionen des Studios mit fantastischer Technologie aufwarten würden, so trete diese doch beim Filmkonsum völlig in den Hintergrund.

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