The Witcher 2: Assassins of Kings
18.08.2010 20:45, Jörg Luibl

gc-Eindruck: BioWare war gestern?

Auf der gamescom gibt es einen Teleporter für Rollenspieler: Wer sich zuerst die Präsentation von Arcania: Gothic 4 anschaut und danach direkt zum Hexer geht, fühlt sich in null Komma nichts eine andere Welt versetzt - alles wirkt  professioneller, fortschrittlicher, intensiver. Oder um es anders auszudrücken: Zwischen diesem Gothic und The Witcher 2 liegen qualitative Welten.

Damit meine ich noch nichtmal die ebenso leidenschaftliche wie durchgestylte Präsentation der Polen, sondern die Vision hinter dem Spiel. Das Abenteuer des Hexers wird mit all dem gespickt sein, was Rollenspielerherzen höher schlagen lässt: Viele Entscheidungen mit Konsequenzen, ein Artdesign vom Feinsten, eine Grauzone zwischen Gut und Böse, eine nicht lineare Story mit sechzehn (!) möglichen Enden - im Vorgänger gab es gerade mal drei.

Wer seinen alten Witcher-Spielstand lädt, kann sich übrigens schon zu Beginn auf drei Einstiege freuen. CD Projekt kleckert nicht, man protzt: 150 Minuten Zwischensequenzen will man anbieten und damit all die unterschiedlichen Konsequenzen untermalen, auf die man als Hexer treffen kann. Die Polen sind so selbstbewusst, dass sie BioWare und Bethesda gleich den Kampf ansagen:

"Wir haben die beste RPG-Engine der Welt" und "Unser Rollenspiel wird im Jahr 2011 das grafisch eindrucksvollste sein."

Zu viel Übermut? Schließlich war der Vorgänger zwar ein inhaltlich sehr gutes Rollenspiel, aber technisch sehr wacklig - es gab gefühlte 800 Ladebildschirme und einige Bugs. Aber dank der neuen Streamingtechnik soll es in diesem Witcher kaum noch Wartezeiten geben; mal abwarten.

Das Faszinierende ist jedoch, dass die gezeigten Spielszenen tatsächlich fantastisch aussehen - dagegen wirkt Dragon Age wie Fantasy von gestern: Geralt bewegt sich geschmeidig wie ein Panther, man erkennt seine Muskeln und freut sich über plastische Texturen und markante Lichteffekte, als die Entwickler einen neuen Abschnitt seines Abenteuers spielen. Als man später einen Ausblick auf eine verschachtelte Burg samt windschiefer Hütten bietet, ist das Panorambild perfekt: Das sieht wirklich klasse aus - und zwar genreübergreifend!

Nicht nur grafisch strotzt das Rollenspiel vor Kraft - auch inhaltlich. Denn man demonstriert, wie unterschiedlich man eine Flucht des Hexers aus einem Burgverlies spielen kann. Dabei kann man sogar à la Thief vorgehen: Geralt schleicht dann durch die Korridore, geht in Schulterperspektive in Deckung, löscht Fackeln und macht Wachen leise von hinten nieder. Man kann das Ganze auch brachialer angehen und das Langschwert singen lassen.

Je nachdem, wen man sich vor seiner Inhaftierung zum Freund oder Feind gemacht hat, kann sich die Flucht aus dem Kerker ganz anders gestalten: Wo der eine auf eine gefolterte Frau trifft, die er befreien kann, trifft der andere vielleicht auf ihren Sohn, der sich in den Gängen gut auskennt - all das hängt davon ab, wie man sich vorher in Quests mit den beiden verhalten hat. Da kann es auch um Dialoge gehen, in denen man meist die Qual der Wahl hat. Nicht nur hier wird man angenehm an Bioware erinnert.

Das Kampfsystem wird um Schläge und Tritte bereichert, die auf kurze
Distanz sehr effektiv sind. Allerdings wirkte die Kampfchoreographie
manchmal etwas zu elegant: Zwar sehen die Schwerthiebe sehr gut aus, zumal jetzt auch die Runen auf der Klinge glimmen, aber man vermisst manchmal die Kollision mit dem Feind sowie clevere Gegenwehr - wird der Hexer auch verwundbar sein oder sich wie ein Superheld durch die dummen Wachen schlitzen? Hoffentlich bekommen die Polen eine gute Balance hin, damit der Held nicht übermächtig erscheint.

CD Projekt betonte, dass das Figurenverhalten noch besser wird und dass es auch Blocks mit dem Schild sowie Riposten geben wird. Aber wird es letztlich auch auf die Werte des Hexers ankommen, die man im Laufe des Abenteuers anpassen kann?

Was man jetzt schon sehen konnte, war die Vielfalt der Rüstungen: Mehr als 30 Typen werden Geralt in mehreren Lagen schützen, z.B. Leder über Kette und Wolle - und man erkennt sie alle bis in die letzte Faser. Außerdem wird Geralt mehr Akrobatik zeigen, denn er kann endlich auch hüfthohe Hindernisse überwinden oder Mauern erklettern. Zusammen mit den oben erwähnten Schleichpassagen sowie einem kurz demonstrierten  Bosskampf gegen einen Feuerdämon, der sich mit den
Rüstungen der Gefallenen panzerte, entstand fast ein Action-Adventure-Gefühl.

Nach dieser Präsentation steht jedenfalls fest, dass die talentierten Polen sehr viel dazu gelernt haben - sowohl technisch als auch inhaltlich. Und wenn die  gezeigten Spielszenen repräsentativ für das ganze Spiel sind, dann könnten es 2011 eine Wachablösung an der internationalen Rollenspielspitze geben. Was hat BioWare mit Dragon Age 2 dagegen zu setzen?

gc-Eindruck:
sehr gut

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