von Benjamin Schmädig,

E3-Eindruck: Epic Mickey



Der Mann besitzt mehr als 30 Mickey Maus-Hemden: »Seine halbe Privatsammlung an Disney-Sammelstücken befindet sich im Spiel!«, beschreibt einer der Produzenten den Mann, der eine etwas in Vergessenheit geratene Ikone zu neuem Leben erwecken soll. Die Rede ist von Warren Spector, dessen Vita ein wichtiges Kapitel in der Geschichte der Videospiele ist. Denn seine Titel - Ultima Underworld, Thief oder Deus Ex - zeichneten sich stets durch eine Offenheit aus, nach der sich viele Spieler sehnen. Seine Werke sind deshalb etwas Besonderes, weil die meisten Entwickler großer Mainstream-Blockbuster ihre Spieler nicht mit spielerischer Offenheit »überfordern« wollen. Darauf sagt dieser Mann nur, dass es »die reinste Form des Mainstream ist, den Spielern die Wahl zu lassen, wie sie eine Herausforderung angehen wollen.« Na bitte! Wird Epic Mickey also ein Action-Adventure mit der Entscheidungsfreiheit eines Deus Ex?



Ein ganz normaler Disney-Trip?

Als mir ein Produzent die E3-Demo in Aktion zeigt, erklärt er, dass man Epic Mickey schlecht in Kategorien pressen könne. Spector sagte im Interview gar, es wäre »das Beste aus Mario, Zelda und Deus Ex«. Tatsächlich ist Epic Mickey zunächst einmal ein Action-Adventure, das auf den ersten Blick am ehesten an Zelda erinnert. Man steuert die ikonischen zwei Ohren mit dem linken Analogstick, schlägt mit einem Ruck an der Remote zu und springt mit einem Druck auf die A-Taste ab. Per C-Knopf justiert man die Kamera hinter der Maus, mit dem Digikreuz darf man sie frei drehen. Die Welt, die Mickey so erkundet, heißt Cartoon Wasteland und wurde von einem Magier namens Yen Sid erschaffen: Sid wollte einen Ort für alle vergessenen Disney-Schöpfungen erschaffen und sein erster Einwohner ist Mickeys Halbbruder Oswald the Lucky Rabbit. Durch ein Ungeschick bringt Mickey allerdings unwissentlich Unheil über das Wasteland und erschafft den Bösewicht Phantom Blot, indem er Farbe und Farbverdünner über den Eingang dieser Welt verschüttet. Blot verwandelt Wasteland daraufhin in ein düsteres Abziehbild seiner selbst und reißt die Macht an sich. Und so ist es viele Jahre nach dem Missgeschick an Mickey, nicht nur Blots Treiben ein Ende zu bereiten, sondern auch das Vertrauen der Bewohner wiederzuerlangen.



Die große Geschichte erzählt die E3-Demo allerdings noch nicht. Disney will zunächst wohl zeigen, um welche Art Spiel es sich handelt. Und so beginnt meine Reise ins Wasteland auf einem kleinen Dorfplatz. Hier kann sich Mickey mit Anwohnern unterhalten, versteckte Schätze finden und Aufträge annehmen - ein Großteil des Abenteuers findet dann in separaten Quest-Gebieten statt. In der Demo soll er etwa das Schiff von Captain Hook wieder flott machen, nachdem dieser in einen bösen Roboter verwandelt wurde. Für die Reise an andere Orte rennt und springt Mickey übrigens vor einer zweidimensionalen, schwarz/weißen Kulisse durch Welten, die jeweils einem alten Disney-Cartoon gewidmet sind. Bei dem Abschnitt in der Demo handelte es sich um Steamboat Willie, einem der ersten Cartoons, in dem Mickey auftrat. Auch in den Reisezonen findet er dabei mal mehr, mal weniger gut verstecktes Geld, von dem er Farbe oder Farbverdünner kaufen kann.



Kumpel oder Houdini?

Farbe und Verdünner? Sind das nicht die »Werkzeuge«, mit denen er Unheil über das Wasteland brachte? Ganz richtig. Sie sind aber auch Waffen im Kampf gegen Phantom Blot und finstere Gegner. Als er in dem Gebiet ankommt, in dem sich in Roboter verwandelte Piraten herumtreiben, kann er sie deshalb mit Farbe oder mit Verdünner besprühen - gezielt wird mit der Remote. Natürlich könnte er sie auch mit dem vertrauten Remoteschwung-Angriff außer Gefecht setzen, aber das ist bedeutend weniger wirkungsvoll als sie mit wenigen Sprühstößen des Verdünners glatt verschwinden zu lassen oder sie mit einigen Sprühern der Farbe zu seinen Freunden zu machen.

Richtig gehört: Im Kern von Epic Mickey steht die Entscheidung, Figuren oder Objekte verschwinden zu lassen oder zum Guten zu bekehren. Entscheidet man sich immer wieder für den Verdünner, erhält Mickey dabei irgendwann bis zu drei so genannte Guardians, die wie kleine grüne Farbkleckse um ihn herum schweben und selbstständig attackieren. Macht er Gegner mit Farbe zu Freunden, erhält er hingegen bis zu drei Guardians, die Mickeys Feinde selbstständig mit Farbe besprühen. So weit hat Mickey seine Gesinnung in der kurzen E3-Demo aber natürlich noch nicht entwickelt. Dafür sehe ich, wie einer in einen Freund verwandelter Pirat seinen eben noch besten Kumpel attackiert - ein witziges Prinzip!



Mickey Ex

Interessant ist die Wahl des Sprühkanisters auch in Rätseln, denn farblich hervorstechende Objekte kann Mickey verschwinden lassen. Sie bleiben anschließend als Silhouetten bestehen - alle so vorgezeichneten Objekte kann er wiederum mit Farbe in solide Felsen, Brücken oder ganze Häuser verwandeln. So entdeckt er etwa Geheimgänge, versteckte Türschlösser oder lässt die Anker verschwinden, mit denen die Schiffe von Hooks Piraten unter Wasser gehalten werden. Als er später Hooks Schiff betritt, muss er hingegen das Steuerrad mit Farbe besprühen - dann erst kann er die Insel verlassen und sein Abenteuer fortsetzen. Er hätte übrigens vorher noch seinen sekundären Auftrag erfüllen und die Maschinen abschalten können, welche die Piraten in Roboter verwandeln. Letztere wären dann für den Rest des Spiels keine Gefahr mehr.

Im Kern ist Epic Mickey also ein vertrautes Action-Abenteuer, das mir aber in jedem Kampf die Wahl zwischen einem gewalttätigen und einem friedlichen Weg lässt. Doch der Handlungsspielraum ist noch größer. »Er ist kurz unter Deus Ex - aber weit, WEIT über dem eines gewöhnlichen Action-Adventures«, beschreibt Warren Spector die Offenheit. Im Detail heißt das u.a., dass sich die Einwohner des Wastelands jede von Mickeys Entscheidungen merken: Sollte er zu oft einen Teil ihrer Häuser verschwinden lassen, etwa um zu stehlen oder geheime Ecken zu erreichen, werden sie bald mit Missmut auf ihn reagieren. Optionale Aufträge erhält er dann vielleicht nicht mehr.



Eine zahnlose Maus

Und wie offen ist Epic Mickey für mich als Spieler, wenn es um das Erledigen von Missionen geht? Spector beschreibt ein Beispiel, in dem Mickey für eine Figur drei Masken aufspüren muss. Er könnte also die Welt durchsuchen und irgendwann alle drei Fundstücke abliefern. Vielleicht findet er ja aber zunächst nur eine Maske, gibt diese dem Auftraggeber und sieht, wie der sie in seinem Haus ablegt. Wenn Mickey genau hinschaut, sieht er vielleicht auch, dass er die Rückwand des Hauses mit dem Verdünner verschwinden lassen kann. Wieso also nicht einfach so ins Haus schleichen, die Maske stehlen und als angebliche zweite Maske vorzeigen? Sollte Spector gerade eine typische Situation beschrieben haben, macht das verdammt viel Lust auf dieses Spiel!

Selbstverständlich ist das Abenteuer dabei kein absolut freier Malkasten, in dem alles einfach verschwinden kann. Denn so groß die Anzahl ausradierbarer Felsen, Brücken oder Felswände auch sein mag, so überschaubar sind die Möglichkeiten letztlich. Und so harmonisch wirkt das düstere Wasteland auch: Krumme Pinselstriche, farbenfrohe Kulissen und ein fröhlicher, wenn auch irgendwie krummer Mickey, von dessen Kopf immer wieder kleine Farbkleckse nach oben hin abzutropfen scheinen. Es ist eine ebenso schöne wie mysteriöse Welt, in die Disneys neuer Mickey da geraten ist. Nur so skurril wie es frühe Konzeptzeichnungen vermuten ließen, fällt das Design nicht aus. Tatsächlich waren die Studien nur wenige von mehreren tausend. Spector wünschte, sie hätten sein Studio nie verlassen, denn so sei ein falscher Eindruck vom Spiel entstanden. Er wollte Disneys Ikone sehr wohl eine neue, durchaus etwas dunklere Dimension verleihen und dafür müssten Grafiker auch extreme Konzepte versuchsweise ausloten. Spector und sein Team hatten übrigens freie Hand. Die einzige Beschränkung seitens Disney: »Er darf keine Zähne haben.«

Das große Versprechen

Hoffentlich kann Epic Mickey das einlösen, was die E3-Demo und Warren Spector versprechen: Ein liebevolles Action-Adventure von Fans für Fans - ein Spiel, in dem jeder der Mickey sein kann, der er sein möchte. Ich hatte Disneys Wiederbelebung zwar auf der Rechnung, habe aber nicht erwartet, dass es mir so viele Freiheiten bieten würde wie es das scheinbar tut. Disneys ganze Charakterriege scheint sich in Spectors Wasteland zu tummeln und ich darf mich im Rahmen eines Action-Adventures frei zwischen ihnen bewegen - wunderbar! Meine einzigen Versuche eines Einwandes sind der Hinweis auf eine häufig unübersichtliche Kamera-Arbeit und die Tatsache, dass die E3-Demo viel zu kurz war, um tiefer in das faszinierende neue Disney-Universum abzutauchen!

E3-Eindruck: sehr gut



Kommentare

Chibiterasu schrieb am
4P|Benjamin hat geschrieben:
Wulgaru hat geschrieben:Ich persönlich habe nur das erste Thief gespielt, mehr gab mein PC jahrelang nicht her.
Ha, dabei nutzt das zweite dieselbe Engine, also ran! :D
Ben
Die Spiele sind aber auf relativ aktuellen Rechnern bzw. XP relativ mühsam zum Laufen zu bringen - auch wenn ich sowieso jedem ununterbrochen alle drei Teile empfehlen könnte und möchte!
Hast du den ersten Teil durch Wulgaru?
Wie fandest du ihn?
4P|Benjamin schrieb am
Wulgaru hat geschrieben:Ich persönlich habe nur das erste Thief gespielt, mehr gab mein PC jahrelang nicht her.
Ha, dabei nutzt das zweite dieselbe Engine, also ran! :D
Ben
catweazel schrieb am
Wulgaru hat geschrieben: Ich persönlich habe nur das erste Thief gespielt, mehr gab mein PC jahrelang nicht her. Ich habe allerdings keinen Zweifel das sein Legendenstatus berechtigt ist.
Meine Skepsis resultiert daraus, dass dies Spectors erstes Spiel unter den neuen Bedingungen ist. Man kann nie wissen wie frei er entwickeln darf, wenn ein Großkonzern wie Disney über die Schulter schaut.
Daher für mich eben ein "Versprechen".
ah, ok. ich muss aber sagen, dass ich es sehr finde, wie spector die "offenheit" beschreibt. er will einem da nichts vom pferd erzählen wie molyneux, sondern gibt ein klares beispiel und sagt auch, dass element mit deus ex vergleichbar sind, dieses aber nicht übertreffen werden, von der komplexität her.
crewmate schrieb am
PallaZ hat geschrieben:
Horror Kid hat geschrieben:
Crewmate hat geschrieben:Vielen Dank für dieses Statement,??? das war Crewmate live aus dem 4players.de Forum, für 4players.de, ich gebe zurück an die Redaktion.
Schönes Interview mit einer spannenden Persönlichkeit!
es war alles so authentisch!
Ich bin völlig aus dem Häuschen!
Das Gefühl wenn die wahrhaft wichtigen Menschen die wahrhaft wichtigen Themen ansprechen!
Da fühle ich mich wie J.B Kerner der einen Schulmassaker Zeugen interviewt!
Wahrhaftig unglaublich!
Wulgaru schrieb am
catweazel hat geschrieben:
Wulgaru hat geschrieben:"Das große Versprechen".
Das ist genau das was ich von dem Spiel auch bisher halte. Es verheißt großartiges, aber man mag sich gar nicht erträumen das alles was Spector beschreibt wirklich möglich ist. Mein Worst-Case Szenario ist dann ein relativ normaler Open-World Plattformer. Wir werden sehen.
hast du denn erfahrung damit, was für versprechnungen spector bei deus ex, thief oder ultima gemacht hat? ich kenne zwar die spiele (vor allem thief und deus ex) aber keinerlei statements von spector.
ist er denn wie molyneux mit seinen "versprechungen"?
Ich persönlich habe nur das erste Thief gespielt, mehr gab mein PC jahrelang nicht her. Ich habe allerdings keinen Zweifel das sein Legendenstatus berechtigt ist.
Meine Skepsis resultiert daraus, dass dies Spectors erstes Spiel unter den neuen Bedingungen ist. Man kann nie wissen wie frei er entwickeln darf, wenn ein Großkonzern wie Disney über die Schulter schaut.
Daher für mich eben ein "Versprechen".
schrieb am