2009 stellte David Cage noch das in Entwicklung befindliche Heavy Rain vor - in diesem Jahr konnte er entspannter auf das abgeschlossene Projekt zurückblicken. Erleichtert war der Quantic Dream-Chef deshalb, weil sich sein Spiel, dem übrigens weder er noch Sony zahlreiche Käufer prophezeit hatten, als kommerzieller Erfolg erwies. Für die Besucher der GDC war sein Vortrag hingegen u.a. deshalb interessant, weil man gerade im Vergleich zu Warren Spectors Keynote heraushören konnte, wie unterschiedlich die beiden Spielemacher ganz grundlegende Fragen beantworten. Wo Spector nämlich betont, dass der Spieler naturgemäß immer und immer wieder die gleichen Handlungen ausführen müsse und dass eine Geschichte im Umfeld dieser Aktionen erzählt werden müsste, wollte der Heavy Rain-Vater genau dieses Paradigma durchbrechen. "Der Markt ist bereit für neue Paradigmen", war einer seiner Überlegungen während der Konzeptphase. Die spielerische Herausforderung nimmt für den Franzosen eine untergeordnete Rolle ein; für ihn zählt, was man beim Spielen erlebt. So sieht er die große Stärke seiner Handlung darin, dass jeder Moment einzigartig sei. Später beschrieb er noch den gewaltigen Aufwand beim Kreieren des weit verzweigten Drehbuchgerüsts - immerhin sei jeder Bewegungsablauf einzigartig, Beleuchtung und Kameraführung stets der Szene entsprechend.
Wichtig war ihm deshalb eine Steuerung, die in jeder Situation die gewünschten Handlungen zuließ, anstatt lediglich allgemeingültige Aktionen zu ermöglichen. Umso überraschender vielleicht, dass er sich lange Zeit ließ, ein entsprechendes Konzept zu entwickeln. Der Grund: Der Aufbau des eigentlichen Spiels hatte Priorität, da die Steuerung ohnehin später hinzugefügt würde. Im Zweifelsfall hätte Cage ein System verwendet, wie es sich in Fahrenheit bereits bewährt hatte. Die als dreidimensionale Elemente ins Bild eingefügten Symbole kamen deshalb erst spät zum Spiel hinzu.
Gesträubt hatte sich der Kreativkopf zunächst gegen Tests, in denen Probespieler ihre Erfahrungen wiedergeben sollten. Es sei ihm schwer gefallen, sein langjähriges Projekt auf diese Weise aus der Hand zu geben. Sony waren die Tests aber wichtig und wie Cage zugibt, sollte der Publisher Recht behalten. Nur so erkannte man nämlich Probleme, die es auszumerzen galt. Als entsprechend wichtig ordnet Alleinherrscher Cage solche Probeläufe deshalb inzwischen ein.
Dass der Studiochef schon seit Jahren so auffällig im Mittelpunkt des Projekts steht, ist übrigens kein Zufall, denn er hat seinen Namen ganz bewusst als eigene Marke aufgebaut. Hybrische Züge? Im Gegenteil - wie Cage betont nonchalant unterstreicht. Vielmehr entschied er sich deshalb zu diesem Schritt, um seine kreativen Freiräume zu wahren. Er erklärt z.B., dass Quantic Dream im Normalfall wohl mehrere Fortsetzungen zu Heavy Rain hätte entwickeln müssen. Dank seiner Bekanntheit ist das Studio hingegen nicht auf die Fortsetzung eines erfolgreichen Titels angewiesen - stattdessen konnte das nächste David Cage-Spiel an die Stelle des nächsten Heavy Rains treten. Zum Vergleich führt er die Musik- und die Filminustrie an: Nicht Sony Music verkaufe ein neues Album, sondern die entsprechenden Künstler. In ähnlicher Weise gehe niemand wegen eines Paramount-Films ins Kino, sondern um einen Spielberg-Streifen zu sehen.
Ein weiteres Marketingproblem umschreibt er auf ausgesprochen unterhaltsame Art: das der Alterseinstufung. Dabei veranschaulicht eine Handvoll Urlaubsbilder seine Einstellung auf witzige und eindringliche Art und Weise. Die Bilder zeigen berühmte Statuen sowie Gemälde, auf denen komplett nackte Männer und Frauen ebenso zu sehen sind wie Darstellungen sexueller Akte. Daneben platziert Cage übliche Begründungen, mit denen die nordamerikanische Alterseinstufung ESRB ähnliche Szenen in Videospielen als "nur für Erwachsene" abstempeln und damit deren kommerziellen Misserfolg besiegeln würde. Cage sei sich aber natürlich darüber bewusst, dass solche Begründungen stets vom inhaltlichen Kontext abhingen - und weil Heavy Rain in Nordamerika frei verkauft werden darf, zeigt er so, wie wichtig es ist, eine erwachsene Geschichte auch mit ausgereiften Stilmitteln zu erzählen.
Für angehende Designer hat David Cage schließlich noch einen interessanten Hinweis parat, denn so lange "Demokratie" innerhalb eines Entwicklerstudios herrsche, könne man kein Projekt wie Heavy Rain verwirklichen. Dafür brauche man eine Art "erleuchteten Diktator", der Einwände und Ideen seiner Mitarbeiter zwar ernst nimmt, Entscheidungen aber letztlich alleine und in Übereinstimmung mit seiner ursprünglichen Vision trifft. Ein großes Projekt müsse schon im Voraus gut geplant sein - so gut, dass sich im Verlauf der Entwicklung nichts an den Grundlagen ändern könne. Im Kleinen seien Abweichungen zwar möglich, aber als Grundgerüst müsse laut Cage eine feste Schablone dienen.
von
Benjamin Schmädig,