von Benjamin Schmädig,

GDC Europe 2010: David Cage verkauft seinen Namen



2009 stellte David Cage noch das in Entwicklung befindliche Heavy Rain vor - in diesem Jahr konnte er entspannter auf das abgeschlossene Projekt zurückblicken. Erleichtert war der Quantic Dream-Chef deshalb, weil sich sein Spiel, dem übrigens weder er noch Sony zahlreiche Käufer prophezeit hatten, als kommerzieller Erfolg erwies. Für die Besucher der GDC war sein Vortrag hingegen u.a. deshalb interessant, weil man gerade im Vergleich zu Warren Spectors Keynote heraushören konnte, wie unterschiedlich die beiden Spielemacher ganz grundlegende Fragen beantworten. Wo Spector nämlich betont, dass der Spieler naturgemäß immer und immer wieder die gleichen Handlungen ausführen müsse und dass eine Geschichte im Umfeld dieser Aktionen erzählt werden müsste, wollte der Heavy Rain-Vater genau dieses Paradigma durchbrechen. "Der Markt ist bereit für neue Paradigmen", war einer seiner Überlegungen während der Konzeptphase. Die spielerische Herausforderung nimmt für den Franzosen eine untergeordnete Rolle ein; für ihn zählt, was man beim Spielen erlebt. So sieht er die große Stärke seiner Handlung darin, dass jeder Moment einzigartig sei. Später beschrieb er noch den gewaltigen Aufwand beim Kreieren des weit verzweigten Drehbuchgerüsts - immerhin sei jeder Bewegungsablauf einzigartig, Beleuchtung und Kameraführung stets der Szene entsprechend.

Wichtig war ihm deshalb eine Steuerung, die in jeder Situation die gewünschten Handlungen zuließ, anstatt lediglich allgemeingültige Aktionen zu ermöglichen. Umso überraschender vielleicht, dass er sich lange Zeit ließ, ein entsprechendes Konzept zu entwickeln. Der Grund: Der Aufbau des eigentlichen Spiels hatte Priorität, da die Steuerung ohnehin später hinzugefügt würde. Im Zweifelsfall hätte Cage ein System verwendet, wie es sich in Fahrenheit bereits bewährt hatte. Die als dreidimensionale Elemente ins Bild eingefügten Symbole kamen deshalb erst spät zum Spiel hinzu.

Gesträubt hatte sich der Kreativkopf zunächst gegen Tests, in denen Probespieler ihre Erfahrungen wiedergeben sollten. Es sei ihm schwer gefallen, sein langjähriges Projekt auf diese Weise aus der Hand zu geben. Sony waren die Tests aber wichtig und wie Cage zugibt, sollte der Publisher Recht behalten. Nur so erkannte man nämlich Probleme, die es auszumerzen galt. Als entsprechend wichtig ordnet Alleinherrscher Cage solche Probeläufe deshalb inzwischen ein.

Dass der Studiochef schon seit Jahren so auffällig im Mittelpunkt des Projekts steht, ist übrigens kein Zufall, denn er hat seinen Namen ganz bewusst als eigene Marke aufgebaut. Hybrische Züge? Im Gegenteil - wie Cage betont nonchalant unterstreicht. Vielmehr entschied er sich deshalb zu diesem Schritt, um seine kreativen Freiräume zu wahren. Er erklärt z.B., dass Quantic Dream im Normalfall wohl mehrere Fortsetzungen zu Heavy Rain hätte entwickeln müssen. Dank seiner Bekanntheit ist das Studio hingegen nicht auf die Fortsetzung eines erfolgreichen Titels angewiesen - stattdessen konnte das nächste David Cage-Spiel an die Stelle des nächsten Heavy Rains treten. Zum Vergleich führt er die Musik- und die Filminustrie an: Nicht Sony Music verkaufe ein neues Album, sondern die entsprechenden Künstler. In ähnlicher Weise gehe niemand wegen eines Paramount-Films ins Kino, sondern um einen Spielberg-Streifen zu sehen.

Ein weiteres Marketingproblem umschreibt er auf ausgesprochen unterhaltsame Art: das der Alterseinstufung. Dabei veranschaulicht eine Handvoll Urlaubsbilder seine Einstellung auf witzige und eindringliche Art und Weise. Die Bilder zeigen berühmte Statuen sowie Gemälde, auf denen komplett nackte Männer und Frauen ebenso zu sehen sind wie Darstellungen sexueller Akte. Daneben platziert Cage übliche Begründungen, mit denen die nordamerikanische Alterseinstufung ESRB ähnliche Szenen in Videospielen als "nur für Erwachsene" abstempeln und damit deren kommerziellen Misserfolg besiegeln würde. Cage sei sich aber natürlich darüber bewusst, dass solche Begründungen stets vom inhaltlichen Kontext abhingen - und weil Heavy Rain in Nordamerika frei verkauft werden darf, zeigt er so, wie wichtig es ist, eine erwachsene Geschichte auch mit ausgereiften Stilmitteln zu erzählen.

Für angehende Designer hat David Cage schließlich noch einen interessanten Hinweis parat, denn so lange "Demokratie" innerhalb eines Entwicklerstudios herrsche, könne man kein Projekt wie Heavy Rain verwirklichen. Dafür brauche man eine Art "erleuchteten Diktator", der Einwände und Ideen seiner Mitarbeiter zwar ernst nimmt, Entscheidungen aber letztlich alleine und in Übereinstimmung mit seiner ursprünglichen Vision trifft. Ein großes Projekt müsse schon im Voraus gut geplant sein - so gut, dass sich im Verlauf der Entwicklung nichts an den Grundlagen ändern könne. Im Kleinen seien Abweichungen zwar möglich, aber als Grundgerüst müsse laut Cage eine feste Schablone dienen.



Kommentare

Hank Loose schrieb am
ich stimme cage zu, dass die erfahrung von heavy rain und die gute inszenierung ausschlaggebend dafür war, dass mich das spiel nachhaltig beschäftigt konnte. deswegen kann ich die 4P wertung verstehen. allerdings muss ich auch sagen, dass mir beim grübeln über das spiel gravierende fehler im plot aufgefallen sind und dass dieser retrospektiv sehr zusammenhangslos kosntruiert wurde, nur um die settings zu rechtfertigen ...
catweazel schrieb am
mhh, seitdem ich heavy rain zum dritten mal durchgespielt habe und der hype verflogen war stehe ich herrn cage sehr skeptisch gegenüber.
gegen die spieleindustrie wettern, dann aber sein gameplay konzept aus fahrenheit beinahe 1:1 übernehmen und eklatante macken und clichés in seiner story zu haben, das sollte nicht sein.
4P hat da mehr den mut zur andersartigkeit als das produkt bewertet.
heavy rain hat mir zwar spaß gemacht, aber in zukunft unbeding das 'drehbuch' von profis schreiben lassen. das gameplay kann dann ruhig fahrenheit 3.0 sein solange die inszenierung und die figuren stimmen.
insofern sehe ich nicht wirklich den sinn sich einen vortrag von cage anzuhören solange er kein neues spiel präsentiert.
sonst erläutert er ja auch nur aspekte die eigentlich jedem einleuchten sollten. nur die urlaubsfotos wären also für mich interessant... ;)
Chibiterasu schrieb am
Klingt nach nem netten Vortrag. Die Bilder hätt ich gern gesehen. :)
Ich geb ihm in erster Linie beim Vorrausplanen von Spielen recht und dass es einen kreativen Kopf geben soll, der die Entscheidungen trifft.
Manchen Spielen merkt man es einfach an, dass da mal drauflosgearbeitet wurde, 1000 Ideen reingenommen wurden, kaum eine gut ausgeführt, dann noch auf die Kritik der Community gehört und wieder einiges verändert etc.
Das geht finanziell vielleicht bei Blizzard aber bei anderen Studios kommt dann irgendein halbfertiges Produkt raus, weil der Publisher nicht mehr länger mitmacht.
Wenn es um die Spielerfahrung geht, bin ich eher auf Spectors Seite. Ich brauch keinen grenzenlosen Freiraum und nur einzigartige Spielsituationen (da hab ich immer das Gefühl ich verpass so viel). Ein so ein RPG mal ab und zu ja ok, aber grundsätzlich mag ich gutes Gameplay. Das kann sich dann auch gerne etwas wiederholen.
Wiederholung aber nicht mit Monotonie gleichsetzen! Mario Galaxy zeigt wie sowas geht.
schrieb am