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18.09.2009 11:27, Julian Dasgupta

Joachim Herrmann über 'Killerspiele'

"Killerspiele" bleiben auch in dieser Woche aktuell: Am Montag hatten mehrere Wissenschaftler der Texas A&M International University eine neue Studie über mögliche Prädiktoren für Jugendgewalt veröffentlicht: Spiele gehörten zu jenen Elementen, die einer Multivarianzanalyse zufolge eher nicht als wirksame Einflussfaktoren gelten können. In hiesigen Gefilden wurden gewaltbeladene Spiele zumindest vereinzelt in Zusammenhang mit dem Vorfall in der Münchener S-Bahn gebracht; das war auch im Fall des Amoklaufs in Ansbach nicht anders .

Vor einiger Zeit hatte 4Players-Leser Pascal Feldmann einen Brief an das bayrische Innenministerium geschickt und den dort zuständigen Minister, Joachim Herrmann, um eine Darlegung seines Standpunkts hinsichtlich des Themas "Killerspiele" gebeten. Der CSU-Mann, der bekanntermaßen zu den stärksten Befürwortern eines Verbreitungs- und Herstellungsverbots für jene Software gehört, sollte sich auch dazu äußern, warum man denn alle Spieler in eine Schublade stecke, und ob man nicht konsequenterweise Spiele wie Need for Speed für Raser im Straßenverkehr verantwortlich machen müsste.

In dieser Woche erhielt Pascal eine ausführliche Antwort aus dem Innenministerium, die wie an dieser Stelle ungekürzt und unkommentiert veröffentlichen wollen.



Sehr geehrter Herr Feldmann,

vielen Dank für Ihre E-Mail zu meiner Forderung, Killerspiele zu verbieten. In den letzten Monaten haben mich zahllose E-Mails zu diesem Thema erreicht. Angesichts der großen Zahl von Meinungsäußerungen möchte ich mit diesem Schreiben auf die wesentlichen Aspekte eingehen. Bitte entschuldigen Sie, dass ich Ihnen erst heute antworte.

Das Thema gewalthaltige Computerspiele ist mir ein ernstes Anliegen. Wer mir Populismus vorwirft, liegt völlig falsch. Anlass war der schreckliche Amoklauf in Winnenden vor wenigen Monaten, der zahllose Fragen aufwirft. Als bekannt wurde, dass auch der Täter von Winnenden im Besitz von gewalthaltigen Computerspielen war, die für sein Alter sogar noch gar nicht freigegeben waren, geriet auch dieses Thema in die öffentliche Diskussion. Da ich mich schon lange mit den problematischen Auswirkungen von Computerspielen auseinandersetze und ich ernsthafte Sorgen um die zunehmende Selbstverständlichkeit von Gewalt in unserer Gesellschaft habe, habe ich zu diesem Thema öffentlich Stellung genommen. Da bei ist mir natürlich bewusst, dass das Thema Killerspiele nur einen Teilaspekt der Gesamtproblematik darstellt. Niemand behauptet im Übrigen, dass Killerspiele zwangsläufig zum Amoklauf führen.

Computerspiele sind heute Bestandteile unseres Alltags. Es gibt viele gute und intelligent gemachte Computerspiele, die ein attraktives Freizeitvergnügen mit viel Spaß und Spannung sind. Es wäre aber unverantwortlich, die von gewalthaltigen Computerspielen für unsere Gesellschaft ausgehenden Gefahren zu verharmlosen oder zu negieren.

Zunächst einmal zu dem Begriff "Killerspiele". Natürlich ist dies kein Fachbegriff. Aber als Politiker muss ich eine Sprache verwenden, die von einer großen Zahl von Menschen verstanden wird, auch wenn sie - zugegebenermaßen - manchmal vereinfachend ist. Wenn ich von Arcade-Games, Beat'em Ups, Shoot'em Ups, Racern, von Ego- oder 3rd-Personen-Shootern sprechen würde, würde mich außerhalb einer relativ kleinen Gruppe von Eingeweihten kaum jemand verstehen. Hinzu kommt, dass keineswegs jeder Ego-Shooter ein Killerspiel ist. Bei vielen der aus meiner Sicht problematischen Spiele wie "Der Pate - Don Edition" oder "GTA IV" handelt es sich vielmehr um einen "Genre-Mix". Meines Erachtens bringt der Begriff Killerspiele sehr gut zum Ausdruck, was gemeint ist: Ein Computerspiel, das beherrscht wird von besonders realistischer, grausamer und reißerischer Gewalt.

Schlichtweg falsch ist die immer wieder zu lesende Behauptung, es gäbe keine wissenschaftlichen Erkenntnisse über die schädliche Wirkung gewalthaltiger Computerspiele. Zwischenzeitlich gibt es zahlreiche Untersuchungen anerkannter Wissenschaftler aus der Medienwirkungsforschung und den Neurowissenschaften,wonach die Gewaltbereitschaft steigt und die Fähigkeit sinkt, Mitleid zu empfinden, je intensiver jemand gewalthaltige Computerspiele spielt. Das Spielen derartiger Spiele, bei dem der Spieler handelnder Akteur ist und in eine mittlerweile fotorealistische virtuelle Welt eintaucht, unterscheidet sich hinsichtlich der schädlichen Auswirkungen dabei ganz deutlich vom bloßen passiven Betrachten vergleichbarer Filme. Der Leiter der Klinik für Psychiatrie am Universitätsklinikum Ulm, Professor Dr. Manfred Spitzer, sagt dazu: "Diese Spiele hinterlassen tiefe Spuren im Gehirn: Es gibt viel Gewalt, es gibt keine Alternativen zu Gewalt, sie tut nicht weh, und ich komme davon. Wenn ich das 200.000 Mal multimedial lerne, dann habe ich das intus."

Sie haben selbst alle Möglichkeiten, im Internet zu recherchieren. Prüfen Sie selbst, wie überzeugend die Studien und Forschungsergebnisse sind, die dort zu finden sind, und vor allem, prüfen Sie kritisch, welchen Interessen sie dienen und welcher Geldgeber dahinter steht. Hier geht es um einen Milliardenmarkt. Einen Einstieg bietet der internationale Kongress "Computerspiele und Gewalt" im November 2008, dessen Ergebnisse unter http://www.hm-medienkongress.de nachgelesen werden können.

Als Politiker und Innenminister, der ich tagtäglich mit der zunehmenden Gewalt ge- rade auch junger Menschen zu tun habe, können mich diese Forschungsergebnisse nicht kalt lassen. Ich trage auch Verantwortung für meine häufig auch noch jungen Polizeibeamten, die bei ihrer täglichen Arbeit selbst Opfer von Gewalt werden.

Ich fordere deshalb schon lange ein gesetzliches Herstellungs- und Verbreitungsverbot für Killerspiele. Ein solches findet sich zwar bereits grundsätzlich in § 131 Strafgesetzbuch (StGB), der Gewaltdarstellungen unter Strafe stellt und über eine Verweisung auch auf Datenspeicher anwendbar ist. Mit Ausnahme weniger Beschlagnahmen läuft dieser Straftatbestand bei Computerspielen aber weitgehend leer. Die Ursache liegt vor allem in der nach meiner Ansicht viel zu großzügigen Kennzeichnungspraxis der Unterhaltungssoftware-Selbstkontrolle (USK). Ein Spiel, das von der USK einmal für den Markt freigegeben worden ist - dazu reicht die Kennzeichnung keine Jugendfreigabe aus -, kann nach der derzeitigen Rechtslage nicht mehr von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert werden. Im Ergebnis entfällt dann auch jede Möglichkeit einer Strafverfolgung nach § 131 StGB, da Herstellern und Verbreitern derartiger Spiele kein strafrechtlich relevanter Vorsatz mehr nachgewiesen werden kann.

Damit zeigt sich, dass auch der Hinweis auf das Jugendschutzrecht nicht weiterführt. Es enthält zwar umfangreiche und komplizierte Regelungen, die aber nicht ausreichend sicherstellen, dass höchst problematische, gewalthaltige Spiele in Deutschland frei verkäuflich sind. Ist ein Spiel erst einmal freigegeben, gelangt es schnell in die Hände von Kindern und Jugendlichen; der Aufdruck "keine Jugendfreigabe" hat hier eher Anreizwirkung. Eltern, das müssen wir leider zur Kenntnis nehmen, sind häufig schon aus Zeitgründen nicht in der Lage, dies zu verhindern.

Indizierung und strafrechtliches Verbot haben, anders als dies manche behaupten, ganz erhebliche Wirkung. Da damit ein Werbeverbot verbunden ist, werden davon betroffene Spiele nur noch sehr schwer bekannt. Außerdem wollen die Hersteller derartiger Spiele mit ihnen Geld verdienen. Dies ist bei einem illegalen Vertrieb auch über das Internet nur schwer möglich; Schwierigkeiten ergeben sich schon beim Geldtransfer. Trotzdem wird es sicher Fälle geben, in denen derartige Spiele zum Beispiel im Ausland erworben werden. Gesetzesverstöße, die nie ganz ausgeschlossen werden können, sind aber kein Grund, von einem strafrechtlichen Verbot abzusehen.

Derzeit bemüht sich die zuständige bayerische Sozialministerin, in Gesprächen mit Bund und Ländern Verbesserungen im Jugendschutz durchzusetzen, wie sie Bayern in seiner Bundesratsinitiative Anfang 2007 bereits vorgeschlagen hatte. Daneben sollen die auf Staatsverträgen beruhenden Grundsätze und die Prüfordnung der USK mit dem Ziel angepasst werden, insgesamt zu einer restriktiveren Freigabepraxis zu gelangen. Dazu soll die Rolle der Länder im Prüfverfahren durch Verbesserung der Appellationsmöglichkeiten gestärkt, die Kriterien für die Alterseinstufung unter Einbeziehung der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die psychischen Auswirkungen und die Abhängigkeitspotenziale angepasst sowie die Zusammenarbeit von USK und Bundesprüfstelle verbessert werden.

Vielleicht ist mein Schreiben doch Anlass für Sie, über die Problematik noch einmal nachzudenken. Wir wollen keine Gesellschaft, in der Gewalt zur Selbstverständlichkeit wird. Deshalb muss Gewalt geächtet werden, auch auf den heimischen Computern. Der Staat allein kann mit Verboten oder durch Erziehung zu Medienkompetenz in den Schulen nur einen Teil beitragen. Gefordert sind wir alle, wenn es darum geht, eine humane Gesellschaft zu verwirklichen, die der Werteordnung des Grundgesetzes und damit in erster Linie der Würde des Menschen entspricht.

Mit freundlichen Grüßen


Ihr Joachim Herrmann


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