Das ist hart: Das Messer kracht nach kurzem Flug mit Schmackes in den Hinterkopf. Der Priester fällt wie ein nasser Sack zu Boden, wurde feige von hinten ermordet. In Star Wars: Knights of the Old Republic , mit seinem klaren Moralsystem, wäre das eine böse Tat gewesen und man hätte sich als Täter einige Punkte für die Seite der dunklen Macht verdient. In
Dragon Age gibt es diese klare Teilung nicht: Hier ist dieser Mord, je nachdem wie man seine Rolle interpretiert, sogar eine gute Tat, denn schließlich hätte dieser Priester dafür gesorgt, dass ein uraltes Geheimnis in die falschen Hände gerät - mit fatalen Folgen für ein ganzes Königreich. Moral ist hier relativ, zumal es in der Story um das Schicksal der Welt geht.
BioWare nennt sein System der Entscheidungen flapsig "Choice 2.0" und betont, dass man seine Rolle ganz individuell ausleben kann. Es gibt keine Fantasy-Correctness in diesem Abenteuer, es geht hart und brutal zur Sache - im Kampf und in den Konsequenzen. Der Ersatz für das mathematische Moralsystem ist das soziale Feedback innerhalb der Party: Denn wenn man den Priester wie im obigen Beispiel einfach so ermordet, kann es durchaus sein, dass das einem rechtschaffenen Mitglied der Gruppe nicht gefällt. Die eigene Reputation sinkt und es kann sogar direkt zu einem offenen Kampf kommen. Natürlich kann man den Tempel auch ganz anders betreten, mit religiösem Respekt und man kann sogar halbnackt durch das schützende Feuer schreiten, um die Gunst der Götter zu gewinnen - wer das tut, wird sogar vom Wächter es Ortes gesalbt.
Was mich an diesem Spiel bisher fasziniert ist nicht die Kulisse, die eher einen spröden Eindruck hinterlässt, weil die Figuren manchmal etwas künstlich vor den Hintergründen und die Rüstungen oder Kleidung nicht immer ganz plastisch wirken. Im direkten Vergleich zu Mass Effect 2, das 2010 erscheint, wirkt diese Fantasy fast schon veraltet. Aber dafür wird diese Welt nicht 20, sondern 100 Stunden unterhalten und die Entscheidungsfreiheit bei der Interpretation meiner Figur geht so weit, wie bisher in keinem anderen Spiel - Fallout 3 hatte dieselben Ansätze, aber hier spielen die Gefährten, spielt die Party eine wesentlich größere Rolle.
Bisher liefen NPCs eher wie Statisten mit, die ab und zu Kommentare abgeben. Aber hier könnte es ähnlich wie in Mass Effect zu echten Verhältnissen und Freundschaften kommen, die knallhart auf die Probe gestellt werden. Das, was BioWare in Köln demonstrierte, hinterließ jedenfalls einen sehr gute Eindruck, weil manches gnadenlose Auswirkungen hat: Zwei gläubige Priesterinnen der eigenen Party, Rhianna und Lynn, stehen ergriffen vor einer Urne, in der sich die heilige Asche befindet, die man für die Heilung eines Königs braucht. Der Held nimmt sich einen Teil der Asche und...
...kann die Urne unbehelligt lassen, weil sie ein Heiligtum ist,
...kann die Urne zerstören, damit nicht auch der Feind die mächtige Heilkraft nutzen kann.
Wer Letzteres wählt, wird nach einigen entsetzten Blicken von den beiden Priesterinnen angegriffen, die sich angesichts dieser Blasphemie verbünden. Die Reputation des Helden ist scheinbar nicht stark genug, als dass die Freundschaft innerhalb der Party über den Glauben siegen könnte.
Zum ersten Mal hat BioWare übrigens einen Kampf gegen einen Hochdrachen gezeigt: Die mächtige Echse wirbelt die Gruppe dabei ordentlich auseinander, beißt zu, spuckt Feuer. Allerdings zeigt sich auch bei diesen spektakulären Gefechten die spröde Seite der Engine - hier wirkt nicht alles wie aus einem Guss und die Blutspritzer haben manchmal etwas Aufgesetztes. Ich bin gespannt, wie sich das bis zum Release entwickelt. Und schon jetzt interessiert mich brennend, wie weit BioWare mit seiner Choice 2.0 geht. Obwohl mir
Mass Effect 2 technisch besser gefällt, freue ich mich derzeit tatsächlich mehr auf diese düstere Fantasy, die endlich ohne D&D-Regelwerk auftritt und hoffentlich klar und deutlich aus dem Herr der Ringe-Nebel treten kann, der sie erzählerisch zu umgeben scheint.
gc-Eindruck: sehr gut