von Jan Wöbbeking,

Devcom 2017 - Falko Löffler: Wie haucht man glaubwürdigen Charakteren Leben ein?

devcom 2017 (Messen) von Aruba Events, BIU, Koelnmesse
devcom 2017 (Messen) von Aruba Events, BIU, Koelnmesse - Bildquelle: Aruba Events, BIU, Koelnmesse
Wie entwickelt man glaubwürdige fiktionale Charaktere – diese Frage stellte sich Falko Löffler auf seinem Respawn-Vortrag "Breathing Life Into Game Characters" im Rahmen der Devcom-Entwicklerkonferenz. Der Absolvent eines Master-Studiengangs in Literatur und Medienwissenschaften verfasste bereits mehrere Romane, übersetzte internationale Bücher und Spiele (z.B. Anno 2205) und beschäftigt sich seit 1996 professionell mit der Entwicklung von Stories in Videospielen. Sein Empfinden dafür, was eine bewegende Geschichte ausmacht, hat sich seit seinen Anfangstagen auf dem C64 allerdings fundamental verändert:

“Als ich vor langer Zeit mit dem Schreiben anfing, dachte ich, dass eine gute Idee zu haben und eine guten Plot voller Twists und Wendungen zu haben – dass das Schreiben ist. Einfach kreativ sein, es sich entwickeln lassen und so verrücktesten Ideen wie möglich einbauen - die Leute werden es lieben!”

Im Laufe der Zeit und nach Gesprächen mit anderen Autoren begegnete ihm allerdings immer wieder ein typischer Satz, der seinen Fokus entscheidend verschob: “Sobald die Charaktere etwas unerwartetes machen müssen, erwacht die Geschichte zum Leben”. Es sei also viel wichtiger, der Erzählung durch die Charakterentwicklung Leben einzuhauchen, damit sie für den Leser glaubwürdig wirkt.

Ein Patentrezept hatte er natürlich nicht parat, Löffler gab aber einen relativ weit gefassten Überblick über gängige Arbeitsabläufe und wichtige Details bei der Entwicklung. Die spielbare Hauptfigur selbst bekomme oft bewusst nur eine überschaubare Anzahl an charakteristischen Eigenheiten verpasst, damit der Spieler sie mit seiner eigenen Persönlichkeit ergänzt und besser in ihr aufgehen kann. Zudem habe man selbst in Rogue-likes die Möglichkeit, notfalls neu anzufangen, wodurch sich fast nie ein Gefühl der Bedrohung für das Alter Ego entwickle.

Umso wichtiger für eine lebendige Geschichte seien daher Nebenfiguren, deren Entwicklung und Schicksal eine entscheidende Bedeutung bekämen. Sie sollen möglichst dafür sorgen, dass der Spieler durch die emotionale Bindung in die Fantasiewelt gesogen wird: “Die beste Figur ist eine, über die man nicht viel nachdenkt, weil sie sich wie ein Freund anfühlt oder weil sie einem derart unsympathisch wird, dass man Rachegelüste entwickelt”.



Klassische Beispiele dafür seien Aerith aus Final Fantasy 7 oder eine Beziehung im Smartphone-Spiel “Lifeline...”. Bei Letzterem kommuniziert man lange Zeit nur über ein Chat-Fenster mit einem gestrandeten Astronaut, bis man schießlich überraschend einen tatsächlichen Anruf von der KI bekommt.

In Thomas Was Alone sorgten der Erzähler, die Beziehungen untereinander sowie die teils sarkastische Handlung dafür, dass ein paar schlichte Rechtecke erstaunlich viel Persönlichkeit entwickelten. Square Enix' modernes Adventure Life is Strange wiederum sei ein Musterbeispiel dafür, wie wichtig es ist, einer Geschichte schon von Beginn an eine passende Bühne zu bereiten und dadurch Figuren angemessen einzuführen: Als ein Mädchen im Klassenraum Visionen bekommt, sei das komplete Drumherum sehr authentisch inszeniert – vom Getuschel der Mitschülerinnen bis hin zum Set-Design mit seinen vielen grafischen Details an den Wänden des Klassenzimmers.

Ein nützlicher Trick sei zudem, Figuren Ecken und Kanten zu verpassen, die ihre Persönlickeit betonen. Das könne ein extravaganter Hut, eine Catchphrase oder ein bestimmter Tick sein, den die Figur gelegentlich wiederholt. Wichtig sei dabei aber, es nicht zu übertreiben, um nicht die Glaubwürdigkeit zu verlieren. Ein bis zwei Besonderheiten seien bereits genug.

Auch auf die Konzeption und den Entwicklungszyklus eines Spiels ging Löffler ein: Dabei gebe es viele Arbeitsbereiche zu beachten, welche die Entwicklung der Charaktere stark beeinflussen. das führe oft dazu, dass der Held mehrmals überarbeitet wird und letztendlich ganz anders aussehen könne als in der ursprünglichen Vision des Autors. Das sei in solch einem vielschichtigen Medium ganz natürlich und man solle sich als ihr Schöpfer nicht dagegen sträuben.

Viele Faktoren aus anderen Bereichen nähmen Einfluss auf die Figurenentwicklung: Wird die Person sprechen oder gibt es nur Text? Sind Zwischensequenzen oder Ingame-Storysequenzen geplant, welche deutlich mehr persönlich geprägte Animationen benötigen? Wie häufig kommt die Person im Spiel vor? Bei einem Händler ohne Story-Relevanz könne man so viel Zeit sparen. Bei wichtigeren Figuren würden dagegen Charakter-Sheets mit Eckdaten ihrer Vita nützlich – und Beziehungs-Diagramme. Archetypen eigneten sich dabei nur, um einen Charakter zu “starten”: Das könnte z.B. ein erfahrener Mentor sein, dem man dann aber noch mehr Persönlichkeit verpassen müsse.

Man dürfe sich aber nicht damit zufrieden geben, die obe erwähnten “Steckbriefe” und Beziehungsdiagramme lediglich auszufüllen und sie an die Grafikdesigner und Questwriter zu weiterzureichen. Stattdessen sei es notwendig, sich immer wieder innerhalb des Teams abzustimmen, damit sich die Geschichte organisch weiterentwickelt und die agierenden Personen nicht wie Abziehbilder wirken.

Zum Abschluss fiel Löffler noch ein Fehler ein, mit dem man auch bei einfachen Nebenfiguren wie Dorfbewohnern gewaltig die Immersion zerstören kann: Nach einer mächtigen Detonation etwa dürften nicht alle synchron mit der gleichen Animation zusammenzucken und danach wieder unberührt ihrem Alltag nachgehen, als wäre nichts passiert. Auch für solche Momente und derart unwichtige Bewohnern der Welt solle man glaubwürdige unterschiedliche Reaktionen entwickeln.


Kommentare

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Thema!
schrieb am