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Spielkultur | Special | 4Sceners

24.10.11, 22:04 Uhr, Bobic

Kraftwerk, die Pioniere der elektronischen Musik, laden noch bis zum 13. November in den Kunstbau des Lehnbachhauses ein. Dort haben sie eine 3D-Video-Installation eingerichtet, auf der sie ihre audiovisuellen Künste aus 40 Jahren Musikgeschichte zum Besten geben. Ein außergewöhnliches Erlebnis für all diejenigen, die der digitalen Kultur offen gegenüber stehen. Wir haben die Ausstellung besucht.









Sie gelten als Pioniere der elektronischen Musik. Vor vier Jahrzehnten hat die Düsseldorfer Band Kraftwerk mit Computersounds Musik gemacht und damit den Grundstein für musikalische Stilrichtungen wie Synth-Pop, Elektro oder Techno gelegt. Eine ganze Generation wurde davon geprägt. Der kalte, Roboter-ähnliche Sprechgesang und ausgefeilte Synthesizer-Melodien wurden das prägende Element in ihren Liedern. Zu den bekanntesten und erfolgreichsten Titeln zählen "Autobahn" (1974), "Das Model" (1978) oder "Computerwelt" (1981). Computereffekte und -grafiken, geometrische Formen, sowie die stylische Anordnung diverser Textelemente finden sich in ihren Videos wieder, mit denen Kraftwerk ebenfalls ein neues Zeitalter einleiteten. Viele, der von Kraftwerk eingesetzten Stilmittel sind heute beispielsweise in der Demoszene zu finden. Effektreiche Echtzeitvideos, deren Objekttänze perfekt auf elektronische Klangkunst abgestimmt sind. Mit ihrer 3D-Video-Installation, die vom 15. Oktober bis 13. November 2011 in München zu sehen, treiben Kraftwerk den Demofaktor sogar auf die Spitze. Am 23. Oktober begab ich mich dorthin.

Am Eingang schnappe ich mir eine der herumliegenden 3D-Brillen. Ein zum Greifen fühlbares, audiovisuelles Erlebnis soll es werden, was mir Kraftwerk zu ihren bekannten, von mir hochgeschätzten Songs bieten möchte. Noch halte ich dir Brille in der Hand, als ich die lange Rampe hinunterschreite, hinein in die immer tiefer werdende Schwärze. Dunkelheit umgibt mich, als ich meinen Blick am Ende des Weges nach rechts schweifen lasse. Vier Figuren sind dort aufgebaut, die in ein Tron-ähnliches Kostüm mit leuchtenden Linien gehüllt sind. Die Ebenbilder der vier Bandmitglieder, wie man sie aus ihren Videos kennt. Manchmal drehen sich die Korpusse sanft, wirken wie eine gespenstische Erscheinung in der alles umschlingenden Dunkelheit.

Lange dauert es nicht, bis der große, der einzige Raum dieser Ausstellung, von etwas Licht erfüllt wird. Vier an der Decke montierte 3D-Projektoren werfen ihre Strahlen an die Wände. Drei an die lange Seite zur Linken, einer an das hintere Ende des Schauraums. Nicht immer zeigen alle das gleiche Bild. Während etwa bei "Autobahn" die beiden äußeren Projektoren das bekannte Autobahnzeichen zeigen, sehen die Zuschauer auf dem mittleren klobige Computergrafiken einer durch hügeliges Gelände führenden, titelgebenden Schnellstraße, auf denen die Fahrzeuge dahinrauschen. Ich ertappe mich dabei, wie ich die alten Elektronikklänge in mich aufsauge und dabei ganz vergessen habe, die 3D-Brille aufzusetzen. Schnell schiebe ich mir den klobigen Sichtapparat auf die Nase - und bin überrascht. Der 3D-Effekt ist gut gelungen. Es scheint, als ob das Auto weit im Vordergrund fahren würde, während im Hintergrund die grob gerenderte Welt vorüberzieht. Noch besser wird es beim Song "Vitamin", ein Spätwerk von Krafwerk aus dem Jahr 2003, den ich lange nicht mehr gehört habe. In ein schlicht gezeichnetes Wasserglas fällt die Vitamintablette und löst sich in einen wahren Regen aus Blubberbläschen auf. Die fliegen mir aus allen Richtungen entgegen. Fast möchte ich die Hand ausstrecken, um die ein oder andere zum Platzen zu bringen. Doch weiß ich spätestens seitdem ich Avatar im Kino gesehen habe, dass die räumliche Simulation mir nur etwas vorgaukelt. Überrascht stelle ich fest, dass der 3D-Effekt aus allen Richtungen erstaunlich gut funktioniert. Selbst bei schrägem Blickwinkel ergibt sich noch ein räumliches Bild.

Meine Füße können inzwischen nicht mehr still halten. Das akkustische Erlebnis ist grandios. "Vitamin" begeistert mich nicht nur mit der hübschen Melodie, sondern auch mit dem perfekten Arrangement der Beats. Ich fühle mich wie auf einer Demo-Party, wo ich in einer Menschenmenge auf dem Boden kauere und auf dem Bigscreen die neuesten Szenedemos verfolge, während die Beschallung bei extremen Beats durchaus mal an der Magengrube kitzelt. Ich blicke mich um und stelle mit Erstaunen fest, dass inzwischen mehr als 100 Besucher den Raum füllen. Sie sitzen auf dem Boden, lehnen an einer der Säulen, die den Raum abstützen, oder einfach hinten an der Wand. Manche schlendern herum, bleiben aber schon nach kurzer Zeit stehen. Vermutlich haben sie festgestellt, dass nicht mehr kommt und sich dieses Erlebnis auf ca. 80qm komprimiert. Ich erkenne im Dämmerlicht des grünen Sinusdiagramms, das gerade von den drei großen Leinwänden in den Raum geworfen wird, viele junge Leute. Aber auch die mittlere Generation, so bis Mitte 40, ist gut vertreten. Sogar Kinder wurden von ihren Eltern mit in diese Höhle der abstrakten, digitalen Kunst gebracht. Manche spielen nur, laufen herum, während der Vater oder die Mutter versuchen sie wieder einzufangen. Andere sitzen am Boden und versuchen Musik und Bilder zu verstehen.

"Radioaktivität" heißt das nun kommende Lied. Die blecherne Roboterstimme erzählt mir von den produzierten Mengen an Plutonium pro Jahr. Ich kriege Gänsehaut. Zum einen, weil die Geschehnisse auf der Welt aus diesem Jahr noch relativ frisch sind. Zum anderen, weil die Stimme bei dieser Lautstärke eine solche Faszination versprüht, der ich mich nicht entziehen kann. Das Lied selbst ist ebenfalls ein ganz starkes Stück elektronischer Klangkunst. Es wird hell. Das gelbe Radioaktivitätslogo flutet den Raum, wird von gelben und roten Tunnelstrahlen umgeben, die ihr grelles Licht auf die Zuschauer werfen. Auf eine Reaktion des Publikums warte ich vergebens. Eigentlich schon seit meinem ersten Schritt runter von der Rampe. Fast alle starren gebannt auf die Bilder, lauschen der Kultmusik. Der ein oder andere spielt aber auch gelangweilt mit seinem iPhone. Vielleicht haben sie mehr erwartet? Vielleicht ist ihnen die Optik zu reduziert? Doch gibt es auch welche, die mit ihren Smartphones und Kameras das Spektakel aufzeichnen. Die Generation Kraftwerk hat, ingesamt gesehen, eindeutig die Oberhand. Als "Man Machine" ausgestrahlt wird und sich die Buchstaben im Vordergrund rhythmisch aneinanderreihen, entdecke ich dann doch ein paar Leute, deren Füße im Takt mitmischen. Ich freue mich.

Ich warte noch ein paar Videos ab, sauge Musik und visuelle Kunst weiter in mich auf. Dann schreite ich die Rampe hinauf, zurück in Richtung der kalten U-Bahn-Wände, die den Kunstbau des Lehnbachhauses, der direkt im Zwischengeschoss des U-Bahnhofs am Königsplatz liegt, umgeben. Als ich nachher mit der Tram zurück ins Hotel fahre, lächle ich glücklich. Ich bin fasziniert von dem, was ich erlebt habe. Kraftwerk haben ein außergewöhnliches Erlebnis geschaffen, das ihre Musik und Videos in ein modernes 3D-Gewand pressen. Obwohl der 3D-Schnickschnack eigentlich nur zweitrangig ist. Vermutlich lockt man so mehr Leute an. Ein Gedanke lässt mich nach diesem Erlebnis dennoch nicht mehr los. Nämlich der, dass man in diesem Rahmen, diesem Ambiente, unbedingt einmal eine Demo-Show machen sollte. Die Münchener Kulturszene scheint bereit für ein solches Fest der digitalen Echtzeitwunderwerke zu sein.

 
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