Kolumne

hundertprozent subjektiv

KW 28
Mittwoch, 09.07.2003

Sind Spiele Kunst?


Nach all den hysterischen Gewaltdiskussionen und spätpubertären Konsolendebatten ist es an der Zeit, unser Hobby mal ganz eitel im Lichte höherer kultureller Sphären zu betrachten. Also stellen wir die ernsthafte Frage: Sind Spiele eigentlich Kunst?

Klar! Quatsch! Auf keinen Fall! Aber sicher!

Halt, halt, halt - wir wollen nicht voreilig sein. Bevor man seine Antwort zu schnell aus der Hüfte schießt, sollte man ein wenig das Gelände erkunden, erst ein wenig um die Begriffe strafen, dann schießen. Schließlich hängt die Antwort von dem ab, was man unter „Kunst“ versteht.

Damit steigt man zwar in eine Debatte ein, die schon in der Antike geführt wurde und bis heute hitzig geführt wird, aber so kann jeder ausloten, welchen persönlichen Kunstbegriff er bei der Beantwortung ansetzt. Und schließlich werden Blizzard, Valve & Co hier vielleicht auf eine Stufe mit anerkannten Größen aus Architektur, Malerei, Musik und Literatur gestellt - Michelangelo, Mozart, Rubens, Goethe!

Doch all zu viel Ehrfurcht ist fehl am Platze. Schaut man in aktuelle Ausstellungen für „moderne“ Kunst, wird einem sogar ein Haufen getrocknete Scheiße vor dem stark vergrößerten Bild eines menschlichen Anus serviert - tiefenpsychologische Deutungen zwischen Dickdarm und Großhirn inklusive. Klar geht dem auch eine schöpferische Leistung voraus. Aber wer seinen Kunstbegriff so weit fächert, müsste selbst Autobahnraser und SuperPower als Kunst bezeichnen.

Wer den sozialistischen Ansatz wählt und Spiele als berauschende Kunst fürs Volk betrachtet, kann die Frage auch ganz einfach beantworten, indem er auf die Verkaufscharts und die aktuellen Media Markt-Regale verweist: Tomb Raider 6 hätte dann sehr gute Chancen; natürlich auch diverse Moorhuhn-Varianten.

Wenn man den Begriff etwas enger und klassischer eingrenzt, und die Herkunft des Wortes von „Können“ mit einbezieht, wird man den extrem unterschiedlichen Erscheinungen der Spielewelt vielleicht gerechter: Demnach würde man eher von Fähigkeiten in hoch spezialisierter Form und überdurchschnittlichem handwerklichen Geschick ausgehen, die in Inhalt und Form zusammenwirken.

Das ist doch die ideale Basis! Denn ein Spiel besteht aus einem Mix aus Grafik, Sound, Story und Gameplay. Allerdings haben wir jetzt wieder ein Problem. Überdurchschnittlich ist vieles, aber ist all das auch Kunst? Also auch FIFA 2003 und Unreal II?

Außerdem ist man bei der Verwendung von überdurchschnittlich, besonders gut oder sehr gut schnell im Bereich von Testwertungen. Dann könnten wir auch einen Prozentwert wie 90 oder den Award in Spielemagazinen als Messlatte nehmen: also aktuell die Erweiterungen zu Warcraft und Neverwinter Nights. Und schließlich müssten wir Redakteure über Kunst richten! Welch ein Graus…

Ein letzter Versuch: Wenn wir bei Können bleiben und noch hinzufügen, dass ein echtes Kunstwerk in irgendeiner Form einzigartig, konzeptionell neu und in seinem Genre stilbildend sein müsste, kommt man der Antwort vielleicht näher. Denn dann müsste nicht irgendein Fan, Käufer, Tester oder Wissenschaftler über Kunst oder Nicht-Kunst entscheiden, sondern ein recht zuverlässiger Kritiker: die Zeit!

Haben nicht alle Kunstwerke ihre historische Zeit bravourös überdauert, Nachfolger inspiriert und ganze Epochen begründet? Wenn wir diesen Maßstab an die Spielwelt anlegen, sind Millionenseller, Awards und kurzfristige Euphorie nichts als Schall und Rauch - dann zählt die Beständigkeit, die Einzigartigkeit und der kreative Einfluss auf die ganze Branche.

Und jetzt ist doch wohl ganz klar, welche Spiele Kunst sind, oder? Da gibt`s doch wohl nur einige erstklassige, unvergessliche Kandidaten, die noch im Jahr 2103 für ein ehrfürchtiges Spielchen gut sind, und zwar...


Jörg Luibl
4P|Textchef

 

Kommentare

X~Plode~Junkman schrieb am
Jedes Videospiel (egal ob gut oder schlecht) ist ein Kunstwerk!!!! So verhält es sich auch bei Filmen!!!! Und überhaupt sollte man schlechtes Spiel besser definieren, d.h. wenn jemand ein spiel grottig findet kann es sein dass es ein anderer gut findet oder ein ganz anderer vergöttert!! Nur bei wenigen Spielen geht die Meinung der meisten Zocker auf Sehr Gut oder Göttlich!! Das sind dann die richtigen Kunstwerke!! Ich wurde zum Zocker, weil ich dass glück hatte, von Spielgeneration zu Spielgeneration nur das beste zu zocken!! Angefangen mit Spielen wie Pitfall 2 über ZakMcKracken über die SuperMarioBros. Spiele bis hin zu Super Metroid!!!! So hab ich mir ein Bild über die Firmen gemacht wo ich echt gemerkt hab, dass sie qualitativ hochwertige Kunstwerke erschaffen!!! Solche Firmen haben mein respekt!! Nintendo konnte z.B. dass geniale Zelda in die dritte Dimension portieren und im gegensatz zu anderen Firmen gleich perfekt ohne anlaufprobleme genau wie Metroid Prime!!! Aber auch Rare hat sowas geschafft, die haben das Egoshooter Genre revolutioniert, egal ob die leute jetzt behaupten es wäre Half-Life gewesen, nein es war Goldeneye und der nachfolger Perfect Dark! Jetzt gibt es bereits jeden Monat tausende neue Egoshooter, das ist echt als würde man ein Gemälde immer wieder retuschieren und versuchen zu verbessern!! Square hat auch mein respekt, weil die es immerwieder verstehen perfekte Stories in Rollenspielen zu erfinden (siehe Finalfantasy7 oder auch secretofmana)! Naja sogar die ensemble studios von Microsoft haben mich mit Age of Empires 2 beeindruckt! Mich beeindruckt einfach wenn es eine Firma scxhaft neue Ideen in ein Videospiel einzubringen und so ein neues Genre schaft oder ein vorhandenes verbessert!! In sachen Egoshooter merk ich sowas nicht mehr so alles nur updates!!!!
Max Headroom schrieb am
Halllöchen Jörg...
Trotzdem sind wir, denke ich, nicht so weit voneinander entfernt. Nur bei der Moral & Gewalt will ich hart bleiben und sie ganz rauslassen. Krass gesagt: Meiner Meinung nach kommt es nicht darauf an, WAS virtuell zerstört oder getötet wird, sondern WIE es umgesetzt wird.
Tja, normalerweise ist es ganz im Sinne der Künstler, dass ihr Werk so verstanden wird wie es auch geplant war. Manchmal WOLLEN Künstler provozieren und erschaffen dabei ein Werk, welches vollkommen gegen dem allgemeinen Geist kämpft. Der eine schreibt ein Buch über brutale Kampfgeschehen im dritten Reich, der andere singt über die Misshandlung von kleinen Kindern. Der andere dreht ein Film über das KZ-Regime und ein anderer integriert den \"Zuschauer\" in einer interaktiven Umgebung und überlässt dem Zuschauer eine begrenzte Kontrolle über das Geschehen. So geschehen in Medal of Honor, welches nicht gerade friedlich über Plüschteddys handelt, sondern IMHO eine interaktive Version eines WW2-Dokumentarfilmes ist. Eine Organisation wie die BPjM kann dabei das Spielgeschehen dahin deuten, dass der Spieler eben die Wahrheit des 2. Weltkrieges \"am eigenem Leibe\" spürt und mitkriegt, dass bei der Landung an der Normandie keinesfalls ein \"Infinity Lives\" Cheat benutzt wurde und die Leute um einen massenhaft starben. Auf der anderen Seite kann man aber auch den Spieler als ein mordlüsternes Objekt sehen, der eine virtuelle - und somit nicht fassbare - Welt ohne Gefahren gegenübersteht und seiner Fantasie der Mordgedanken freien Lauf lassen kann.
Ich denke, ein Spiel - ein Film - ein Kunstobjekt an sich - sollte dabei GENAU dieses Herbeiführen. Es soll den Spieler bzw. Zuschauer, Besucher oder Zuhörer dazu bringen, über den Titel - das Kunstobjekt an sich - nachzudenken. Wie schonmal gut geschrieben ist es besonders \"bewunderswert\", wenn sich der Spieler auch nach einer längeren Zeit an den Titel (positiv ;)) erinnern kann.
Ein Spiel an sich ist vom Grunde her seltenst ein Kunstwerk,...
Max Headroom schrieb am
Halllöchen Jörg...
Trotzdem sind wir, denke ich, nicht so weit voneinander entfernt. Nur bei der Moral & Gewalt will ich hart bleiben und sie ganz rauslassen. Krass gesagt: Meiner Meinung nach kommt es nicht darauf an, WAS virtuell zerstört oder getötet wird, sondern WIE es umgesetzt wird.
Tja, normalerweise ist es ganz im Sinne der Künstler, dass ihr Werk so verstanden wird wie es auch geplant war. Manchmal WOLLEN Künstler provozieren und erschaffen dabei ein Werk, welches vollkommen gegen dem allgemeinen Geist kämpft. Der eine schreibt ein Buch über brutale Kampfgeschehen im dritten Reich, der andere singt über die Misshandlung von kleinen Kindern. Der andere dreht ein Film über das KZ-Regime und ein anderer integriert den \"Zuschauer\" in einer interaktiven Umgebung und überlässt dem Zuschauer eine begrenzte Kontrolle über das Geschehen. So geschehen in Medal of Honor, welches nicht gerade friedlich über Plüschteddys handelt, sondern IMHO eine interaktive Version eines WW2-Dokumentarfilmes ist. Eine Organisation wie die BPjM kann dabei das Spielgeschehen dahin deuten, dass der Spieler eben die Wahrheit des 2. Weltkrieges \"am eigenem Leibe\" spürt und mitkriegt, dass bei der Landung an der Normandie keinesfalls ein \"Infinity Lives\" Cheat benutzt wurde und die Leute um einen massenhaft starben. Auf der anderen Seite kann man aber auch den Spieler als ein mordlüsternes Objekt sehen, der eine virtuelle - und somit nicht fassbare - Welt ohne Gefahren gegenübersteht und seiner Fantasie der Mordgedanken freien Lauf lassen kann.
Ich denke, ein Spiel - ein Film - ein Kunstobjekt an sich - sollte dabei GENAU dieses Herbeiführen. Es soll den Spieler bzw. Zuschauer, Besucher oder Zuhörer dazu bringen, über den Titel - das Kunstobjekt an sich - nachzudenken. Wie schonmal gut geschrieben ist es besonders \"bewunderswert\", wenn sich der Spieler auch nach einer längeren Zeit an den Titel (positiv ;)) erinnern kann.
Ein Spiel an sich ist vom Grunde her seltenst ein Kunstwerk,...
Jörg Luibl schrieb am
Hi Max,
wir werden wohl auch keine allgemeingültige Definition von Kunst auf die Beine stellen - da haben sich ganze Philosophen-Generationen die Zähne ausgebissen.
Trotzdem sind wir, denke ich, nicht so weit voneinander entfernt. Nur bei der Moral & Gewalt will ich hart bleiben und sie ganz rauslassen. Krass gesagt: Meiner Meinung nach kommt es nicht darauf an, WAS virtuell zerstört oder getötet wird, sondern WIE es umgesetzt wird. Mein Lieblingsbeispiel ist hier immer Max Payne, das brutal und blutig war, aber neue Zeichen im Shooter-Genre setzen und mit der Zeitlupe Dutzende Nachfolger inspirieren konnte...das könnte auch 2013 noch Erwähnung finden. :wink:
Schade ist nur, dass der hier diskutierte Blickwinkel in der öffentlichen Diskussion gar nicht bzw. zu wenig berücksichtigt wird. Dabei beeinflussen Spiele Kinder, Jugendliche und Erwachsene mindestens genau so wie Bücher, Filme oder Musik. Immerhin wächst ein Großteil mit Videospielen auf, wird mit Konsolen & Hardware älter etc. - es ist definitiv ein Teil der Mentalitätsgeschichte! Schaut man in den Blätterwald der Tages- und Kulturzeitungen findet man fast gar nichts. Und was auf GIGA und RTL2 abläuft ist eine dermaßen verkitschte Anbiederung, dass einem schlecht wird. Aber ich schweife ab...
...dabei wollte ich gerade Feierabend machen!
Bis demnächst!
4P|Jörg
Max Headroom schrieb am
@Jörg:
(..Deja-vu..)
hey, hey, hey - diese Kolumne schlummert in Skizzen schon seit über einem halben Jahr auf meinem Rechner! Und der anale Ausflug ist direkt TV-inspiriert, und zwar von einer arte-Reportage zum Thema Kunst, wo das betreffende Berliner Museum besucht wurde. Vielleicht machen wir uns einfach die gleichen Gedanken?
Keine Angst, ich habe auch per Smileys klargestellt, dass ich es schmunzelnd sehe ;)
Als ich damals über den Künstler schrieb, der mit menschlichen Fäkalien (politisch korrekt ?;)) \"Kunst\" erstellt, habe ich auch wenige Tage vorher den Bericht über ihn auf einem dritten gesehen.
Aber dies beweist mal wieder ... Gedankenübetragung existiert !! Damit wäre es wohl klar... telekinetische Fähigkeiten wie in Parasite Eve schlummern in jedem von uns ;)
Zum Nachfolger sehen wir\'s anscheinend gleich. Passt der Nachfolger thematisch und von der Tiefe her hervorragend zum Vorgänger, dann verschmelzen beide in einem Gesammtkunstwerk. Wichtig ist hierbei, dass der Künstler (Filmemacher, Buchauthor, Musiker, ...) das ganze auch als EIN ganzes geplant hatte und nicht erst nachträglich die Storyline rumwurstelt, nur um z.Bsp. 2 neue Charaktere einzubauen. Zum Beispiel merkt man bei den meisten Filmvortsetzungen, dass eigentlich schon im erstem Teil alles eingebaut und zu einem Ende gebracht wurde. Damit haben viele Filmemacher eigentlich schon im vorhinein klargestellt, dass ihr Werk wohl keine \"offizielle\" Fortsetzung haben wird. Steven Spielberg sagte mal auch in einem Interview, dass er niemals eine Fortsetzung zu \"E.T.\" drehen, geschweige sein O.K. dazu geben würde. Das Werk sei für ihn schon vollständig beendet. Damit sprach er mir aus der Seele ;) Manche Produzenten lassen das Ende nachträglich editieren, um es als offenes Ende darzustellen. Der Director\'s Cut allerdings stellt zumeist klar, dass das \"Werk\" an sich anders geplant war. Dies ist eben mit Terminator 2 der Fall gewesen.
Projizieren wir dies auf die Spiele, finden wir ebenfalls...
schrieb am