Sind Spiele Kunst?
Nach all den hysterischen Gewaltdiskussionen und spätpubertären Konsolendebatten ist es an der Zeit, unser Hobby mal ganz eitel im Lichte höherer kultureller Sphären zu betrachten. Also stellen wir die ernsthafte Frage: Sind Spiele eigentlich Kunst?
Klar! Quatsch! Auf keinen Fall! Aber sicher!
Halt, halt, halt - wir wollen nicht voreilig sein. Bevor man seine Antwort zu schnell aus der Hüfte schießt, sollte man ein wenig das Gelände erkunden, erst ein wenig um die Begriffe strafen, dann schießen. Schließlich hängt die Antwort von dem ab, was man unter „Kunst“ versteht.
Damit steigt man zwar in eine Debatte ein, die schon in der Antike geführt wurde und bis heute hitzig geführt wird, aber so kann jeder ausloten, welchen persönlichen Kunstbegriff er bei der Beantwortung ansetzt. Und schließlich werden Blizzard, Valve & Co hier vielleicht auf eine Stufe mit anerkannten Größen aus Architektur, Malerei, Musik und Literatur gestellt - Michelangelo, Mozart, Rubens, Goethe!
Doch all zu viel Ehrfurcht ist fehl am Platze. Schaut man in aktuelle Ausstellungen für „moderne“ Kunst, wird einem sogar ein Haufen getrocknete Scheiße vor dem stark vergrößerten Bild eines menschlichen Anus serviert - tiefenpsychologische Deutungen zwischen Dickdarm und Großhirn inklusive. Klar geht dem auch eine schöpferische Leistung voraus. Aber wer seinen Kunstbegriff so weit fächert, müsste selbst Autobahnraser und SuperPower als Kunst bezeichnen.
Wer den sozialistischen Ansatz wählt und Spiele als berauschende Kunst fürs Volk betrachtet, kann die Frage auch ganz einfach beantworten, indem er auf die Verkaufscharts und die aktuellen Media Markt-Regale verweist: Tomb Raider 6 hätte dann sehr gute Chancen; natürlich auch diverse Moorhuhn-Varianten.
Wenn man den Begriff etwas enger und klassischer eingrenzt, und die Herkunft des Wortes von „Können“ mit einbezieht, wird man den extrem unterschiedlichen Erscheinungen der Spielewelt vielleicht gerechter: Demnach würde man eher von Fähigkeiten in hoch spezialisierter Form und überdurchschnittlichem handwerklichen Geschick ausgehen, die in Inhalt und Form zusammenwirken.
Das ist doch die ideale Basis! Denn ein Spiel besteht aus einem Mix aus Grafik, Sound, Story und Gameplay. Allerdings haben wir jetzt wieder ein Problem. Überdurchschnittlich ist vieles, aber ist all das auch Kunst? Also auch FIFA 2003 und Unreal II?
Außerdem ist man bei der Verwendung von überdurchschnittlich, besonders gut oder sehr gut schnell im Bereich von Testwertungen. Dann könnten wir auch einen Prozentwert wie 90 oder den Award in Spielemagazinen als Messlatte nehmen: also aktuell die Erweiterungen zu Warcraft und Neverwinter Nights. Und schließlich müssten wir Redakteure über Kunst richten! Welch ein Graus…
Ein letzter Versuch: Wenn wir bei Können bleiben und noch hinzufügen, dass ein echtes Kunstwerk in irgendeiner Form einzigartig, konzeptionell neu und in seinem Genre stilbildend sein müsste, kommt man der Antwort vielleicht näher. Denn dann müsste nicht irgendein Fan, Käufer, Tester oder Wissenschaftler über Kunst oder Nicht-Kunst entscheiden, sondern ein recht zuverlässiger Kritiker: die Zeit!
Haben nicht alle Kunstwerke ihre historische Zeit bravourös überdauert, Nachfolger inspiriert und ganze Epochen begründet? Wenn wir diesen Maßstab an die Spielwelt anlegen, sind Millionenseller, Awards und kurzfristige Euphorie nichts als Schall und Rauch - dann zählt die Beständigkeit, die Einzigartigkeit und der kreative Einfluss auf die ganze Branche.
Und jetzt ist doch wohl ganz klar, welche Spiele Kunst sind, oder? Da gibt`s doch wohl nur einige erstklassige, unvergessliche Kandidaten, die noch im Jahr 2103 für ein ehrfürchtiges Spielchen gut sind, und zwar...
Jörg Luibl4P|Textchef