Kolumne

hundertprozent subjektiv

KW 07
Donnerstag, 12.02.2004

Vom Spiel zur Uni? Aber sicher!


Hertha BSC Berlin geht es ja schon richtig dreckig. So viel Potenzial, so viel Hoffnung auf internationalen Ruhm und jetzt ein verspottetes Kellerkind. Aber was soll die deutsche Jugend sagen? Einer nach dem anderen wird ihr eingeschenkt, Niederlage reiht sich an Niederlage: Amok in Erfurt, Abstieg mit Pisa, Küblböck im Dschungel und jetzt die Barbarei an Schulen. Das Schlagzeilen-Stakkato durchlöchert den Nachwuchs und hinterlässt den konsumgeilen Spaßkonsumenten – charakterlos, gewalttätig, dumm.

Hallo Kids, Teens, Heranwachsende, Volljährige? Dieses Armutszeugnis habt ihr, vor allem ihr jungen Zocker aller Plattformen, nicht verdient. Klar gibt es da draußen brutale Vollidioten zwischen 12 und 25, aber zwischen 35 und 55 sieht`s genau so und im ach so heiligen „früher“ sah`s schon gar nicht anders aus. Gerade jetzt, wo Philosoph Kant zu seinem 200. Todestag Feuilletons und Fernsehsendungen flutet, schwelgt Volkes Stimme im nostalgischen Entsetzen: „So was hätte es damals nicht…“

Unsinn! Erstens hat es kollektive Foltereien und Kulturbanausen schon immer gegeben: Man lese Musils Zögling, um darüber zu erschrecken, wie sich unsere Urgroßväter anno 1900 in Internaten quälten. Man lese Voltaire oder Heine, um darüber zu lachen, wie die Massenverblödung auch ohne Fernseher und Computer grassierte.

Zweitens bemerkt niemand, dass da ein verpöntes Medium so langsam kulturelle Aufgaben übernimmt: die Spiele! Keine Fernsehsendung, kein Nachrichtenmagazin und schon gar kein deutsches Feuilleton scheint es zu interessieren, dass PC und Konsole nicht nur Spaß entfachen, sondern auch die geisteswissenschaftliche Neugier wecken.

Schaut doch mal genau in die Foren! Ich rede nicht von der Masse, nicht vom legasthenischen Geflame. Es geht mir um die tieferen Ebenen: Ich rede vom Streit über die Ursachen des Vietnamkriegs, der mit Zitaten aus Geschichtsbüchern geführt wird. Ich rede von Disputationen zur nordischen oder keltischen Mythologie in Dark Age of Camelot-Kreisen. Ich rede von philosophischen Debatten über Subjektivität und Objektivität, von ernsthaften Gesprächen über das Für und Wider von Kriegsspielen. Einige dieser Diskussionen enden mit der Überzeugung des anderen durch Argumente, manche sogar mit dem Austausch von Literaturhinweisen!

Hallo, ihr lieben Journalistenkollegen von SZ, TAZ und FAZ? Hallo Stern, hallo Spiegel? Hallo ARD, ZDF, Arte - meinetwegen auch hallo RTL2? Klingelt da gar nichts? In den Foren der Computer- und Videospielszene geht es teilweise fruchtbarer zu als im totlangweiligen Frontal-Unterricht. Das ist praktizierte Dialektik, da riecht es nach Sokrates und Platon. Hier tummeln sich bei genauerem Hinschauen zukünftige Akademiker!

Manchmal kann der Weg von einem Spiel direkt an die Uni führen: Von Age of Kings zur Alten Geschichte, vom Afrika Korps zur Militärgeschichte, von Shenmue zur Japanologie, von DAoC zur Nordistik, von einer schlechten Lokalisierung zu den Sprachwissenschaften, von Max Payne zur Philosophie – oder wenigstens zu den Film- & Fernsehwissenschaften. Das Bildungsministerium sollte die Spiele-Entwicklung fördern, bestimmte Games als Unterrichtsmaterial nutzen! War es wirklich so? Was ist wahr, was ist falsch?

Denn woran Eltern und Schulen scheitern, wird immer öfter von Mattscheibe und Monitor geweckt: Die Lust auf Sprache, Geschichte, Literatur und Kultur. Diese Faszination, etwas Neues zu entdecken, ist der Kern, ja die Voraussetzung für Bildung. Schon wenn es damit anfängt, dass man einen der vielen historischen Fehler oder Verfälschungen in Spielen entdeckt, dass man das einseitig westliche Weltbild von C&C: Generäle durchschaut oder sich am liebsten in englische Originale vertieft – das ist die Saat, die irgendwann aufgeht.

Wie lautet gleich der Slogan der europäischen Aufklärung? „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Genau das machen da draußen Heerscharen von Zockern, wenn sie sich über die Propaganda in Americas Army oder die Brutalität in Manhunt streiten. Nicht immer auf hohem sprachlichen Niveau, aber sie tun es!

Und selbst wenn nur ein einziger von hundert Spielern zum Buch, selbst wenn nur eine einzige von tausend Forendebatten konstruktiv geführt wird, selbst wenn nur ein einziger von zehntausend Zockern aufgrund eines Spieles den Weg zur Uni findet, ist das ein kultureller Erfolg! Denn eigentlich sollten Spiele schlicht und einfach rocken, Spaß machen, gute Entertainer sein. Wer hätte vor zwanzig, dreißig Jahren gedacht, dass die Erben von Pong & Mario darüber hinaus mal einen Bildungsauftrag erfüllen?

Also lasst euch die Spiele und eure Jugend nicht vermiesen! Lasst euch nicht vom erhobenen Zeigefinger der Tagespresse runtermachen, sondern feiert die Spiele als kulturell wertvolles, höchst inspirierendes und in letzter Konsequenz bildendes Medium!


Jörg Luibl

4P|Textchef

 

Kommentare

johndoe-freename-47492 schrieb am
Ich finde Wettkämpfe im \"elektronischen\" Sportbereich extrem interessant! Fussball, Tennis und das ganze Zeug im Fernsehen ist stinklangweilig - da ist selber richtigen Sport machen doch allemal besser.
Doch auf der Games Convention 2003 hab ich die Warcraft 3 Duelle auf dem Bildschirm mitverfolgt und ich muss sagen - der erste Sport auf der Mattscheibe, bei dem das Zuschauen Spass macht!
Das interessante daran ist, dass es oft geistige Duelle sind - da steh ich drauf
Ich würde auch ne Runde Schach im Fernsehen einem Tennis-Match vorziehen (Tennis = pitsch-patsch -pitsch- patsch = gähn :) )
HerrSchmidt schrieb am
Ich persönlich denke schon, dass man e-Sport auch ernst nehmen sollte/darf. Guckt mal in den Fernseher...überall Sportvernatslatungen...Riesen Geldgewinne, unzählige Live-Übertragungen, man freut sich doch verdammt auf seinen Lieblingsport und dieser soll auch nur Spaß machen, aber man macht einen Wettkampf draus, wo der beste siegt und der auch Spaß macht und ich sehe da keinen großen Unterschied zum elektronischem Sport.
TheWinnerTakesItAll schrieb am
Zum ersten: Eine klasse Kolumne!
Zum zweiten: Schön das sich ein Redakteur für seine \"Konsumten\" einsetzt. :wink:
Gamebit schrieb am
Gut gebrüllt Löwe ein anderes Thema (nur bezogen auf PC e-sport) ist das der egoismuss gerade bei den jüngeren Spielern extrem gefördert wird.
Bei den 12-16 Jährigen kommt es gerade bei online Shootern hauptsächlich auf die eigene Leistung bzw. stats an und nicht wirkliches Teamplay an.
So passierts dann das sie sagen ich muss gut sein, nur ich alleine, was auch sehr häufig ins reallife übergeht, meist aber eher ins negative, z.B. ganz simpel, dass ist meins meins meins und nur meins...
Wenn das auf 1 VS 1 bezogen war,
dann haste schon irgendwo recht...
Aber spätestens wenn diese \"Kiddis\" einen Clan gründen, lernen die das. Ein Clan kann ohne Teamplay nicht siegen! (bei CS z.B.) Ich denk mal, wenn ein Clan schon 30x verloren hat wird er sich schon einmal überlegen woran es liegen könnte ... Und spätestens da werden die das raffen das nicht der einzelne, sonder das Team für einen Sieg ausschlaggebend ist. Dann gibt es hier nicht mehr, mein Frag mein Frag mein Frag....
Ein Clan ist wie eine Gruppenarbeit in der Schule.
Hier muss man planen, organisieren, Rollen verteilen.
99, 999999% der e-sport-Junkies glauben Sie seien ja so was von Pro-Spieler, dass Sie absolut genial sind. Stimmt aber nicht. Das \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\"ich bin besser als du Syndrom - wenn nicht dann bist du ein Cheater\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\" zeigt eher ein allgemeines Problem der Jugend: zu geringe Selbstreflexion: Das nicht erkennen der eigenen Grenzen und der Anerkennung der eigenen Leistung. Aber das nur am Rande.
Woher weist du das?? Ich glaub du verallgemeinerst hier zu etwas zu schnell.
Wenn du vielleicht 30 Leute gesehen hast die so eine Meinung haben heißt es nicht direkt dass jeder von den Leuten so denkt.
Ok, ich kann jetzt auch nicht sagen: Ich weis wie viele Zocker so denken und so.
Aber ich kann einfach nicht glauben, dass so viele Leute, so verblödet sind und das einfach nicht einsehen wollen...
johndoe-freename-865 schrieb am
Upsala! :oops:
Merke gerade, dass ich Bodo statt Joerg geschrieben habe! Sorry, da war ich zu sehr mit anderen Gedanken beschaeftigt! :roll:
Wo bleibt die Editierfunktion? :evil:
Die ist wichtig fuer Leute wie mich! :!:
schrieb am