Kolumne

hundertprozent subjektiv

KW 42
Freitag, 15.10.2004

Der Mainstream-Kniefall


Molyneux. Fable. Forum. Welch eine News, welch ein Bild: Da kniet ein Gott nieder und entschuldigt sich öffentlich für seine Fehler. Für die enttäuschten Hoffnungen, für all die fehlenden innovativen Elemente, die vielleicht für ein großartiges Rollenspielerlebnis hätten sorgen können, aber gestrichen wurden.

Wir Tester bewerten bekanntlich nicht die erste Idee, sondern das fertige Produkt. Und am Ende haben wir einem innovativen Action-Rollenspiel sogar einen Award gegeben. Einem, das die Masse befriedigt und im Verkaufserfolg schwimmt. Wohlgemerkt: einem. Fable wurde aus künstlerischer Sicht nicht das Epos, das Erlebnis, das Ausnahmespiel.

Aber unterschlägt unsere Wertung nicht die Ursache für diese Ernüchterung? Lasst uns doch mal abseits vom Hype nach den Gründen suchen, die dafür sorgen, dass Wunsch und Wirklichkeit so weit auseinander liegen. Dass von der üppigen Idee des Designers am Ende so wenig übrig bleibt. Fable ist ja kein Einzelfall; man denke an Anno 1503, Lionheart, Tomb Raider 6 oder Deus Ex 2.

Wir testen jedoch keine coolen Ideen, sondern voll entwickelte Titel - manchmal sind das allerdings nur noch voll zerstückelte Leichen. Wir testen oftmals Spiele, denen im Laufe ihres Entwicklungsprozesses die faszinierende Seele aus dem Leib gerissen wurde, die mausetot und ausgeschlachtet auf unserem Schreibtisch landen. Wir testen Spiele, die in der Anfangsphase noch grandios erschienen und dann klitzeklein geschrumpft sind. Nicht vom Designer, nicht von Fans, sondern von M&M`s.

Wer sind denn die größten Henker genialer Games? Nicht die Bugs, nicht die kurze Spielzeit, nicht die KI-Macken. Auch nicht die schlechte Konjunktur, die sinkende Nachfrage oder die kritischen Reviews. Nein, die beiden Killer heißen M&M, Marktforschung & Marketing. Und sie erledigen ihren Job so professionell, dass sie in keinem Wertungskasten erscheinen. Oder wurde schon mal das Versagen eines Produkt-Managers in einem Test kritisiert? Wie auch? Sie hinterlassen weniger Spuren als Meisterdieb Garret und sind trotzdem tödlicher als der Hitman.

Warum? Weil sie ihre scharfen Klingen sehr früh an der Wurzel möglicher Top-Titel ansetzen: an der Idee, an der Spielspaß-Quelle. Noch vor der ersten Alpha-Fassung eines Spieles, noch bevor die erste Programmzeile geschrieben ist, werden Konzepte vom Geld gebenden Publisher aufs Korn genommen, Gewinnchancen diskutiert - von Analysten, von Beratern, vom Marketing. Wissen wir, wie viele fehlende Fable-Features auf Microsoft-Kosten gehen?

So läuft das Geschäft, ist schon klar. Das Blöde ist nur, dass die richtenden Herrschaften nicht das fehlerhafte Beiwerk einer Idee ins Visier nehmen, damit mehr Spielspaß entsteht - das erledigen später die Patch-Kommandos. Fatal ist vielmehr, dass sie oftmals die kreativen Wurzeln einer Idee herausreißen, damit die große Masse bedient wird. Im ekelhaften PR-Deutsch ist das die "breiteste Zielgruppe", der "Casual Gamer".

Man will möglichst viele Genres abdecken. Man will die grobkörnige Streuung, die die Masse trifft. Denn die feiert in der Regel lieber das Mittelmaß als das Besondere. Das war schon immer so: Van Goghs Bilder wurden noch 1905 vom Amsterdamer Museum abgelehnt, Ibsens heutzutage geschätzte Dramen wurden damals ausgebuht, FIFA Football verkauft sich besser als Pro Evolution Soccer. Stellt euch vor, dass wir per Volksabstimmung über kommende Spiele entscheiden dürften - Pikmin, ICO oder Rez wären nie erschienen.

Aber die M&Ms wollen genau dieses Volk aka Casual Gamer füttern. Deshalb wird über Vermischungen diskutiert, die jedem echten Zocker und Games-Gourmet die Haare zu Berge steigen lassen. Jüngstes Beispiel: Dungeon Lords. Ziel ist hier der "Spagat" zwischen "Diablo und Gothic". Spürt ihr auch diesen Würgereflex tief im Hals? Ziel ist ein Spiel, das sowohl Morrowind- als auch Sacred-Spieler füttern soll…

Rollenspieler, hört ihr die Signale? Wird sich als nächstes Fantasy-Altmeister D.W. Bradley in Foren entschuldigen? Wird man seine persönliche Handschrift, die Seele, den Charakter überhaupt noch wahrnehmen? Wird Dungeon Lords nichts weiter als eine aufgeblähte Skizze der M&Ms, die mal schnell archetypische Bedürfnisse befriedigt: geile Grafik, geile Items, geile Monster. Eine Peepshow für schnelle Level-Orgasmen oder ein Rollenspiel mit intimer Tiefe?

Warten wir`s ab. Aber Molyneux´ Kniefall vor dem Mainstream war ein dramatischer Akt auf der Bühne der Spielewelt. Der Designer ist meist nur eine schillernde Figur mit einer jungfräulich zerbrechlichen Idee. Die Fäden werden hinter den Kulissen gezogen, das Drehbuch entsteht im undurchsichtigen Nebel zwischen Publisher und Entwickler. Schade, dass wir das nicht bewerten können…


Jörg Luibl
4P|Textchef

 

Kommentare

-Hammer- schrieb am
niemand kann jedem alles recht machen
Max Headroom schrieb am
@jedimindtricks:
ich kenne viele spiele von molyneux und weiss, dass er seit nes zeiten in der videospielindustrie tätig ist und einige bekannte spiele geschaffen hat, doch langsam sollte er sich in rente setzen denn seine spiele braucht die welt nicht mehr.
Tut mir leid, aber da stimme ich dir zu 100% *nicht* zu. Molyneux hat in meinen Ohren seit seinem 16-Bit Meisterwerk Populous einen Platz im Olymp der Entwickler. Klar, nicht alles was er anfasst wird zu Gold, aber das beeuted noch lange nicht das sein Hirn aufgeweicht und matschig ist. Er hat immer noch die besten Gott-Ideen. Die Ausführung seiner Ideen ist leider aber immer hier und da an eben genau den Punkten gescheitert, die man hier in der Kollumne auflistet. Und wenn ein Herr X oder Frau Y weiterhin Autobahnraser, Tetris Pro und 0/8/15 Shooter verkauft, dann hat ein Ideen-Lieferant wie Peter Molyneux weiterhin mindestens 3 Schritte vorsprung vor allen. Es muss ja nicht immer wirklich *jeden* Geschmack treffen...
(..) von molyneux gibt es weltweit programmierer die auf seinem niedrigen niveau spiele entwickeln.
Und welche bitte ?
also fühlt euch mal nicht so angepisst ihr kleinkinder, ich habe nur geschrieben, dass seine billigen werke zu unrecht gehypt werden.
Wer einen Künstler beleidigt, darf auch selbst Kritik einstecken, nicht wahr ? (^,-)
Auch wenn Fable voll und ganz den Vorstellungen entsprechen würde... ein 100% Megaseller, den wirklich JEDER kaufen würde, wäre er auch nicht. Ich bezweifle ebenfalls, dass das angeblich meistverkaufte PC-Spiel \"The Sims\" bei JEDEM Counter-Striker im Regal steht und umgekehrt (^,-).
-=MAX HEADROOM=- - Der Virus der Gesellschaft
johndoe-freename-65424 schrieb am
für meinen geschmack etwas kitschige designerüberhöhung... wie im titel angemerkt kann ich das gejammer nicht mehr hören!
man kann mainstream machen der auch selbsternannten \\\"hardcore\\\" gamern spass macht. jüngstes beispiel ist wow. da haben sich die entwickler (und weniger die \\\"m&m\\\"s wie du sie etwas infantil nennst) einfach mal hingesetzt und sich eine riesen liste gemacht: \\\"was ist eigentlich an den bisherigen mmorpgs so richtig scheisse?\\\" und mit dieser herangehensweise haben sie etwas geschaffen, dass einfach nur spass macht und mich die ganze zeit grübeln lässt \\\"warum habe ich mir den ganzen mist wie downtime, gruppenzwang und todesfrust all die jahre angetan?\\\".
gute spiele sind gute spiel. und um beim beispiel wow zu bleiben: mir kommen die tränen, wenn ständig irgendwelche alternden fanboys das völlig innovationsarme und fragwürdig designte EQ2 als das \\\"erwachsenere\\\" oder \\\"komplexere\\\" bezeichnen... es ist schlicht schlechter und macht weniger spaß. um ganz kurz ein bisschen detail zu gehen: es ist sogar simpler als wow da man seinen charakter gar nicht individuell skillen kann und warum renne ich bei einem 2004 erscheinenden spiel alle 150 meter in eine neue zone, die ich laden muss?
was will ich damit sagen? die diskussion ist so lächerlich wie die unvermeidliche debatte wann immer eine band berühmt wird (\\\"die alten sachen waren aber cooler, nicht so kommerziell\\\").
ps: ich hab beide als beispiel angeführten spiele ausreichend lange gespielt und fass hier keine internetforen zusammen :)
-Hammer- schrieb am
heutzutage gibt es wirklich leider nur noch ausnahmsweise wirklich gute games(z.b. Soldiers,CoD) wo es richtig spass macht den lvl noch ma zu zocken um nen besseren, oder einfach nur nen anderen lösungsweeg zu suchen und man einfach nur vorm monitor hängt und die zeit vergisst beim zocken, egal ob das an der story oder der idee selbst liegt, das wichtigste is das es einem selbst spass macht, und das is halt bei jedem anders!
bei cod und dem add-on dazu war es die story und die \"perpherie\" die ein altgedients konzept etwas von der masse abhob. anders bei doom3 wo die xte wiedergolung von deep space nine interessanter war als das game. als ich mir den andgegner angesehen ab dachte ich nur geile grafik und feierabend und habs deinstalliert.
bei soldiers hab ich an manchen punkten fehler gemacht, die mission neu angefangen und das wie oft und wenn ich dann gepennt hab, hab ich meist noch überlegt wie ich die mission am besten schaffe!!
wenn mich ein game so fesselt, weiß ich:
das war sein geld wert!!!!
Jörg Luibl schrieb am
Treverer hat geschrieben:wer greift denn bitte das marketing der hersteller, publisher und entwickler auf um es unter die massen zu streuen?? spielezeitschriften und internetseiten die sich darum prügeln eine exklusiv preview von fable, halo2, mgs3 etc. zu bekommen. das marketing funktioniert doch nur über die presse...
Wer greift denn bitte die Spiele der Publisher auf, um sie einem kritischen Test zu unterziehen? Wer greift denn Themen wie den Hype, den Militarismus, den Mainstream-Ramsch auf, um sie kritisch zu beleuchten? Die Spielepresse.
Tut mir Leid, aber dein Doppelmoral-Vorwurf prallt an unserem Selbstverständnis ab. Lies unsere Tests, lies unsere Previews oder die Kolumnen und du müsstest erkennen, dass die Redaktion hier kein Marketing macht.
Ich gebe dir nur insofern Recht, als dass sich das Marketing immer geschickter in die Spielepresse einschleicht (News-Streuung etc.) und dass wir natürlich auch Banner und Gewinnspiele von Publishern anbieten - aber dieses Marketing und die Redaktion sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Schlag mal GameStar auf, und du wirst ebenfalls Werbung finden - so läuft das Geschäft. Aber wenn es guter unabhängiger Journalimsus ist, dann hat das keinen Einfluss auf die Berichte.
Bis denne
schrieb am