Kolumne

hundertprozent subjektiv

KW 24
Freitag, 11.06.2004

Der Philosoph & der Kriegsspieler


Was hat Heraklit mit der Spielewelt zu schaffen? Gerade jetzt, wo die Sonne draußen hell und laut lacht, wird der dunkle und weinende Philosoph rausgekramt! Da schlummert der Grieche seit fast 2500 Jahren den Schlaf des Gerechten und muss als Aufhänger für eine Kolumne im Zockermilieu des 3. Jahrtausends herhalten!

Aber die akademische Empörung ist unbegründet. Immerhin ist das alte Hellas dank Pitt & Petersen, Spartan & Co gerade wieder en vogue. Und außerdem beseelt der düstere Geist Heraklits auch heute noch jede Wohnhöhle - insbesondere jene, in denen Menschen zusammen mit einschlägigen Spielemaschinen hausen.

Ihr wollt Beweise? Bitteschön: Erstens zeigte der alte Einsiedler und Rätselfreund eine gewisse Seelenverwandtschaft zum gewöhnlichen Zocker. Sich von der Außenwelt abzuschotten und tagelang Quests zu lösen ist nämlich keine Zivilisationskrankheit des MMORPG-Zeitalters, sondern ein Urtrieb, dem Heraklit schon in Ephesos frönte. Zweitens hat der antike Denker während des zurückgezogenen Grübelns ein weises Urteil gefällt, das derzeit ausgesprochen aktuell ist:

"Der Krieg ist der Vater aller Dinge."

Oh, wie wahr! Schmeißt die Glotze an, schlagt die Zeitung auf oder fahrt auf die Autobahn - der Kampf lauert immer und überall. Und da haben wir auch schon den Missing Link zwischen antiker Philosophie und moderner Spielewelt: Heraklits potenter Meister hat sich selbst bis in die heiligsten Tempel der Spaßkultur fortgepflanzt! Denn die logische Schlussfolgerung lautet:

„Der Krieg ist der Vater aller Spiele!“

Egal ob PC, Xbox, PS2 oder GameCube - sie sind alle seine hungrigen Kinder. Der Krieg ist der Big-Daddy aller Games. Er zeugt tagtäglich fleißig Nachwuchs. Was wären die Pixel- und Polygonwelten ohne Armeen, Feldherren und Schlachten? Was wäre die männliche Zockerseele ohne Formationen, Schlachtreihen, Kavallerie und Kanonendonner? Ohne Keil und Phalanx? Ohne Schwert und Nuklear-Rakete?

Gerade jetzt im Strategiesommer boomen historische und fiktive Schlachten: Spartan, Perimeter, Ground Control 2, Codename: Panzers, Soldiers: Heroes of World War II, Goblin Commander, Rise of Nations: Thrones & Patriots. Welch mächtige Releaselisten-Präsenz!

Aber Vorsicht: Heraklits Spruch wird immer wieder von Militaristen als Rechtfertigung für Kriege missbraucht. Dabei meinte der Philosoph nicht, dass blutige Gefechte auf dem Schlachtfeld für irgendeinen Fortschritt notwendig sind. Er meinte den ewigen Widerstreit des Ungleichen und Gegensätzlichen, der alles in einem vibrierenden Gleichgewicht hält.

Und auch hier passen Heraklit und Spielewelt wunderbar zusammen. Was wäre die Branche ohne die Spannung zwischen Publisher und Entwickler, zwischen Taschengeld und Releaseliste, zwischen Verkaufstermin und Verschiebung? Was wäre 4Players ohne die Reibung zwischen Kritiker und Leser, zwischen Geflame und gutem Ton?

Ein stillstehendes Gerüst - leblos, saftlos, langweilig. Also möge der Krieg im Sinne Heraklits weiter andauern! Auf dem virtuellen Schlachtfeld und im Forum.


Jörg Luibl
4P|T@xtchef

 

Kommentare

johndoe-freename-65325 schrieb am
Kann man sehen wie man will, ich denke aber, dass man lieber warten sollte bis mal wieder ein Thema am Horizont auftaucht, das wirklich offensichtlich und nachvollziehbar ist. Lieber wenige sehr gute Kolumnen, als regelmäßig \"auf Teufel komm raus\" etwas aus dem Boden zu stampfen.
Jörg Luibl schrieb am
Mondknallschlumpf hat geschrieben: Ich finde es reichlich übertrieben für ein eigentlich unwichtiges/gewöhnliches Thema (viele Strategieneuerscheinungen und die Rolle der "militärischen Konflikte" in Spielen eine Kolumne zu schreiben, die ihren Textgehalt künstlich durch Verweise auf Heraklit und einige verschachtelte Kunstsätze aufwerten will.
Es gibt gar kein so unwichtiges oder gewöhnliches Thema, dass es nicht für eine Kolumne geeignet wäre. Sogar die verschwitzte Socke eines Dauerzockers kann der Nährboden für einen kleinen Text mit dem ein oder anderen philosophischen Bezug sein.:)
Hey, hier sollen Leser lediglich ein wenig auf andere Gedanken gebracht, amüsiert oder zur Diskussion angeregt werden. Manchmal klappt`s, manchmal nicht. Der "Textgehalt" -was immer du darunter verstehst, ich vermute aber mal die inhaltliche Substanz der Information- ist in Glossen, Streiflichtern & Co jedenfalls nicht das Wesentliche.
Aber ich gebe zu, dass ich meinen philosophischen Tag hatte.:)
Greystation schrieb am
was ich aber bedenklich und traurig finde, ist dass die (auf dem Pc seit jeher dominierenden) militärischen Konfliktthemen durch Weltkriegs-/Vietnam- oder Irakkrieg Shooter jetzt auch auf Konsolen massiv im Dutzend einsickern.
ohja wie wahr. :O
@ kolumne - sacht mein vadder jedesmal in 2 wörtern wenn er sieht was ich spiele :>
johndoe-freename-65325 schrieb am
Ach gottchen, habe wir heute wieder unseren philosophischen Tag? Ich finde es reichlich übertrieben für ein eigentlich unwichtiges/gewöhnliches Thema (viele Strategieneuerscheinungen und die Rolle der \"militärischen Konflikte\" in Spielen eine Kolumne zu schreiben, die ihren Textgehalt künstlich durch Verweise auf Heraklit und einige verschachtelte Kunstsätze aufwerten will.
Wie dem auch sei, Krieg ist für Fortschritt nicht notwendig - er beschleunigt ihn aber deutlich. Das Konflikte in Spielen dominieren ist auch normal, da sie nun mal das spannendste im Leben sind (selbst bei Mario gibt es immer Konflikte mit Bowser) - was ich aber bedenklich und traurig finde, ist dass die (auf dem Pc seit jeher dominierenden) militärischen Konfliktthemen durch Weltkriegs-/Vietnam- oder Irakkrieg Shooter jetzt auch auf Konsolen massiv im Dutzend einsickern.
Jörg Luibl schrieb am
Dream works hat geschrieben:Allerdings glaube ich, Heraklit meint mit seinem Ausdruck lediglich, dass der Krieg fast immer in irgendwelchen Bereichen (kulturell, politisch oder einfach nur maschinell) Fortschritt zur Folge hat, das ist aber bei Spielen leider eher selten der Fall.
Ja, du hast Recht. Heraklit meinte nur nicht, dass man für diesen Fortschritt unbedingt die militärische Schlacht braucht. Die Spannung, die durch das Gegensätzliche entsteht, löst sich allerdings immer irgendwann in etwas Neuem auf. Wie der Pfeil, der ruhig zwischen dem vibrierendem Bogen und der Sehne liegt, um irgendwann sein Ziel zu erreichen.
Ich weiß nur nicht, ob ich deinen Pessimismus hinsichtlich der Zukunft der Spielewelt teilen kann; schon aus beruflichen Gründen muss ich Optimist sein!:)
Auch hier ist ja im Großen und Ganzen ein gewisser Fortschritt im technischen und erzählerischen Sinne zu beobachten. Wahrscheinlich ist die ganze Spielkultur ohnehin erst in ihrem Anfangsstadium. Was ist sie für ein Baby im Vergleich zur Erzähl-, Buch- und Filmkultur! Aber wie der Pfeil ist sie bereits unterwegs...irgendwohin...
schrieb am