Kein Code Vein 2
Als Scarlet Nexus im Mai auf Microsofts
Inside-Xbox-Show enthüllt wurde, dachten nicht wenige an einen Nachfolger zu
Code Vein - erinnern doch die Gestaltung der Figuren und die vielen Schwarz- und Rot-Töne an das „Anime-Dark-Souls“, das sich bei uns 77 Spielspaßpunkte verdiente. Und durchaus geht Scarlet Nexus in eine prinzipiell ähnliche Richtung: In dem Action-Rollenspiel zieht ihr mit wählbaren KI-Partnern in die Schlacht, traktiert Monster in dynamischen Echtzeitgefechten und lenkt etwas beliebig aussehende Manga-Menschen; allerdings gibt es statt Fellmützen und Riesenbrüsten einen Mix aus Street Fashion und roten Tentakelröhren, die aus dem Rücken ragen.
Konzept-Artwork von Masakazu Yamashiru - schon ein bisschen grotesk, dieses Monster!
Viel spannender als die spielbaren Figuren finde ich aber die Antagonisten, im Spiel „Others“ genannt. Sie entstammen der Feder des Illustrators
Masakazu Yamashiru: Der aus Kioto stammende Künstler arbeitete bislang nicht für die Videospielbranche und wurde wegen seiner stimmungsvollen Werke extra angeworben. Yamashirus Entwürfe sind voller morbider Ästhetik - groteske Chimären aus menschlichen Gliedern, Apparaturen und Blütenpracht. Hier ein Hauch
Silent Hill, dort ein Schuss Hieronymus Bosch - auch an das absurde Künstlerbuch Codex Seraphinianus fühle ich mich beim Betrachten der Konzeptzeichnungen erinnert. Im Spiel trifft man auf allerlei monströse Others - darunter laufende Corsagen mit Bocksbeinen und einem Blumenbukett als Oberkörper, ein riesiger Widder mit Skelettschädel oder fleischfressende Pflanzen samt einer Art Straßenlaterne als Kopf. Das wird nur noch getoppt von einem Alligator-Miniboss: Das Wesen hat einen kantigen Stahlhelm auf, der an den Pyramid Head erinnert, aus seinem Kopf ragt eine Dampfmaschine, auf dem Rücken trägt es einen Schildkrötenpanzer und auf den Armen sprießen Blümchen - beim Angriff bahnt sich ein meterdicker Laserstrahl den Ausgang aus einem zahnbewerten Maul. Wow!
Bunte Mischung
Mangels echter gamescom und demzufolge mangels Presseterminen in Köln muss ich mit einer Online-Präsentation von Scarlet Nexus Vorlieb nehmen - die ist dafür richtig gut gemacht: Drei gut gekleidete, junge japanische Entwickler stellen sich als Producer Keita Iizuka, Game Director Kenji Anabuki und Art Director Kota Ochiai vor und erzählen von ihrem Projekt. Ich erfahre, dass sich das Scarlet-Nexus-Team bereits vor fünf Jahren, damals noch in einer sehr überschaubaren Größe, zusammenschloss, um etwas komplett Neues auszuprobieren. Natürlich mit der Erfahrung im Rücken, welche die Arbeit an mehreren Tales-Episoden,
SoulCalibur 5, God Eater,
Code Vein & Co. mit sich bringt.
Urbane Hintergründe, ein dynamischer junger Held und eine Vielzahl an schrulligen Feinden.
„Brainpunk“ nennen die drei ihre Art der Zukunftsvision, die in einer alternativen Realität spielt, in der die Gehirne aller Menschen in einer großen Cloud miteinander verbunden sind: Also nicht Cyberpunk, nicht Steampunk, nicht Dieselpunk - sondern Brainpunk, so mit totaler neuronaler Vernetzung und allen daraus entstehenden Konsequenzen. In den Kämpfen profitiert Hauptcharakter Yuito davon, kann er so doch auf Spezialfähigkeiten seiner Begleiterin Hanabi zurückgreifen. Andererseits will das Team auch ernste, gesellschaftskritische Themen ansprechen: Gibt es überhaupt noch eine Privatsphäre, wenn die Gehirne aller Menschen miteinander verbunden sind? Können Individuen trotzdem noch einsam sein?
Auch bei der Weltkonzeption finde ich die Herangehensweise von Iizuka und Anabuki interessant: Scarlet Nexus spielt im Land New Himuka, das für sich selbst genommen „so groß ist, dass Begriffe wie 'Ausland' oder 'Übersee' nicht relevant sind“ und mit den Städten Suoh und Seiran zwei futuristische Metropolen aufweist. Die Vernetzung der Gehirne über das sogenannte Psynet ist wesentlich für den Fortschritt der Gesellschaft - und in New Himuka ist der Zugriff darauf so alltäglich wie bei uns der Strom aus der Steckdose. Für die Nutzung der Psynet-Dienste braucht es selbstverständlich keine Spracheingabe oder gar Tastatur - man kontrolliert und handelt direkt per neuronalem Befehl!