Special: Myth - Kreuzzug ins Ungewisse (Taktik & Strategie)

von Jörg Luibl



Myth - Kreuzzug ins Ungewisse (Taktik & Strategie) von Eidos
Myth - Kreuzzug ins Ungewisse
Entwickler:
Publisher: Eidos
Release:
01.01.1997
01.01.1997
Spielinfo Videos  
Wenn das Licht in einer Bochumer Studentenbude des Jahres 1997 bis tief in die Nacht brannte, dann lag das nicht am fleißigen Recherchieren und Exzerpieren. Nein, der kommende Magisterkandidat beschäftigte sich mit Blut und Brocken einer mittelalterlichen Fantasywelt. Er kommandierte Ritter, Bogenschützen und Zwerge in einem Spiel, das ein ganzes Semester in eine Schlacht verwandelte: Prüfung gegen Gefecht, Lektüre gegen Formation, Studium gegen Spiel - wer würde gewinnen?

Im Angesicht der Edda



"Myth - Kreuzzug ins Ungewisse" erschien 1997 bei Eidos für PC und MAC. Nach der Schlacht blieben oftmals nur Blut und Brocken übrig.
Ich war verwundbar. In einer Zeit, als mein Aldi-PC mit 90 Megahertz unter DirectX 5 ratterte und ich mich wie besessen mit Kelten, Germanen und Wikingern, mit alten Gedichten, Legenden und Militärgeschichte beschäftigte, erschien tatsächlich ein Spiel, das von all dem etwas hatte. Da tobte der mythologische Kampf zwischen Gut und Böse, da flackerten altirische und nordische Motive auf dem 15"-Monitor - es gab den dämonischen Anführer Balor samt seiner untoten Horden auf der einen und tapfere Helden sowie Zwerge auf der anderen Seite. Es gab tatsächlich Zitate aus der Edda und aus keltischen Sagen. Die Inszenierung war allerdings nicht kitschig, nicht elfenhaft esoterisch, sondern blutig, böse und urtümlich.

Schon dieser erzählerische Rahmen hat mich neugierig gemacht, aber richtig fasziniert hat mich das darin verborgene, knapp 60 Megabyte schwere Spieldesign: Knallharte Gefechte ohne Kompromisse - kein Aufbau, keine Rohstoffe, kein nerviges Mikromanagement wie in all dem Blizzardkram, der mir damals nicht gefiel. Ich wollte ein reines Schlachtfelderlebnis, ich wollte dieses Kribbeln im Nacken, wenn die letzte Pfeilsalve sitzen und der Schildwall halten muss, damit man nicht aufgerieben wird. Ich wollte nicht anonyme Truppen produzieren, sondern mit wenigen Getreuen gegen eine Übermacht bestehen. Ich wollte Echtzeit-Taktik pur!

Der taktische Kampf in Unterzahl



Clever postierte Bogenschützen reiben die Untoten aus der Höhe auf.
Genau das servierte Myth damals auf einmalige Art und Weise. Die Krieger hatten alle Namen, sie bekamen mit jeder Schlacht Erfahrungspunkte, sie wuchsen mir regelrecht ans Herz und wurden zu immer schlagkräftigeren Veteranen. Außerdem spielten ihre Fähigkeiten und die Formationen eine wesentlich größere Rolle als in klassischen Echtzeitstrategiespielen: Zwar galten auch hier Schere-Stein-Papier, aber man musste die richtige Stellung zur richtigen Zeit beziehen, musste die Krieger die Flanken decken lassen, musste den Sprengstoffwurf der Zwerge (mit dem herrlich fiesen Gelächter!) gut timen und immer wachsam sein.

Selbst subtile Manöver wie das Ausrichten des Schildwalls zum Feind konnten wichtig sein, um keine Männer zu verlieren - denn Heilung war rar gesät! All das in einer epischen Kampagne, die von cleverem Missionsdesign noch aufgewertet wurde: Es ging nicht stupide darum, den Feind bis zum letzten Mann auszurotten, sondern mit seinem kleinen Trupp bestimmte Ziele und Landmarken möglichst ohne fatale Verluste zu erreichen. Man musste langsam das Vorfeld erkunden und clevere Routen planen, um nicht ins offene Messer von Ghulen und Dämonen zu laufen.

Anspruchsvolle Echtzeit-Taktik

Das Besondere für die damalige Zeit war auch die Kulisse: Man kämpfte auf komplett dreidimensionalen Schlachtfeldern inklusive glaubhafter Einflüsse der Landschaft und Physik. Die Krieger wurden in Sümpfen verlangsamt, Sprengstoff-Cocktails rollten bergab, man musste auf dem Marsch auf Hinterhalte achten und Furten suchen, hatte von Hügeln aus eine höhere Reichweite und Pfeile wurden als Geschosse nicht nur von Wind und Hindernissen beeinflusst, sie wurden in der brennenden Variante sogar bei Regen gelöscht! Für mich als Hobbybogenschütze war das wie eine Revolution, denn ich kannte in Spielen bisher nur


Bungie führte die Serie mit Teil 2 fort, sie wurde mit dem dritten und schwächsten Teil im Jahr 2001 von Take 2 beendet, wo auch heute noch die Rechte schlummern.
Skriptprojektile aus Age of Empires & Co. Aber hier? Hier konnte man Tod vom Himmel regnen lassen! Wenn einen die Ghule nicht vorher auffraßen...

Ausblick

Dieses Spiel von Bungie traf mich 1997 wie ein Hammer - lange bevor der Masterchief oder 4Players die (zumindest halbe) Welt eroberten. Hätte ich damals schon getestet, wäre ihm Platin sicher gewesen. Erst vier Jahre später habe ich den schwachen Abschluss Myth 3: The Wolf Age  in meinem ersten Jahr als Tester mit 75% besprochen: "Als alter Myth-Fan fällt es mir sehr schwer, dieses atmosphärisch dichte und grafisch beeindruckende Spiel dermaßen kritisieren zu müssen. Aber wenn Optik und Sound auf Kosten von Missions- und Spieldesign brillieren, haben die Entwickler zu einseitige Prioritäten gesetzt."

Was für ein Abstieg in vier Jahren! Ich habe die Premiere einmal gespielt, es hat einmal gefunkt und danach stand ich für Wochen unter Strom - mit Myth verbinde ich bis heute anspruchsvolle Gefechte und einen kreativen sowie technologischen Schritt nach vorne, was Echtzeit-Taktik angeht. Mein geliebtes Age of Empires oder WarCraft wirkten dagegen wie Skriptrelikte aus der Steinzeit. Denn das hier war Blut und Schweiß, Physik und Wetter, Drama und Spannung im Angesicht des Feindes. Man kämpfte mit einer tapferen Minderheit, musste das Gelände clever nutzen und konnte gegen eine Übermacht gewinnen.

Es fühlte sich in den engen Schluchten und Furten fast so an, als würde man an einer dieser epischen Schlachten teilnehmen, die in den alten Sagen und Legenden besungen werden; Maldon oder die Thermopylen ließen grüßen. Ich würde mich unheimlich freuen, wenn sich ein Entwickler nochmal dieser Marke oder diesem Genre annehmen würde - keine Massengefechte im großen Stil, sondern clevere Taktik im Gelände.

Jörg Luibl

Kommentare

Bluti13 schrieb am
Danke! Schaue ich mir mal an.
:D
Bluti13 schrieb am
Volle Zustimmung Jörg.
Was für ein geniales Spiel damals. Und nicht nur das Gameplay, auch die Story mit den schönen Holzstichen und der traurigen Chello-Musik... Da läuft mir heute noch ein Schauer runter. 8O
Ich warte schon seit Ewigkeiten dass das mal auf Gog kommt.
Habe es auf modernen Betriebssystemen nie zum Laufen gekriegt. :?
Chibiterasu schrieb am
Ja, es war einfach sehr einzigartig. Ich hatte vor der Vollversion glaube ich sogar eine Demo mit nur ein, zwei Level und die habe ich immer wieder gespielt, weil mich die lebensmüden Zwerge so amüsiert haben.
Davon eine Neuauflage wäre in jedem Falle interessant.
Ich fand aber auch die Präsentation super. Die Zwischensequenzen waren ganz nett animiert und die Sprachausgabe in den Missionsbesprechungen habe ich als sehr stimmungsvoll in Erinnerung.
Kajetan schrieb am
Chibiterasu hat geschrieben: ?06.09.2017 14:32 Ich bin ja noch aktiv. Auch wenn ich einen leichten Verwesungsgeruch verströme, stehe ich noch zu meinem Beitrag von vor 7 Jahren :)
Dann machen wir es konsequent, oder?
Mir ist seitdem kein neues Strategie-, sei es Runde oder Echtzeit, begegnet, welches so ... wie kann man "Hilarious" richtig ins Deutsche übersetzen ... welches so grotesk-lustig war wie Myth. Was bin ich am Boden gelegen vor Lachen, wenn die angreifenden Skelette keinen Gegner mehr gefunden haben, weil ein Zwerg mal wieder ... Oder wie ich gelernt hatte, dass es KEINE GUTE IDEE ist Sprengkörper mit brennender Lunte den Hang HOCH zu werfen. Weil so Physik und so. Wie gesagt, sonderlich hilfreich beim Erringen von Missionszielen war das alles nicht, aber es war sooooo lustig beim Scheitern zu zusehen.
schrieb am