Gewalt ist eine Lösung
Vier düstere Agenten im düsteren Einsatz in einer düsteren Welt - das ist Syndicate!
Da stand ich also, im Juli 1993, und las den folgenden Text auf der Rückseite der giftgrünen Packung:
»In den dunklen und verwinkelten Städten von Morgen kämpfen Syndikate um die weltweite Vorherrschaft. Aber in der Zukunft gibt es keine Hinterzimmergeschäfte mehr. Keine gemeinsamen Machtübernahmen. Keine Politik. Nur die furchtbare Gerechtigkeit einer Maschine, die mit einer Schusswaffe ausgerüstet ist und kein Erbarmen kennt...« - und dachte mir: Welcher Schimpanse hat das bitte geschrieben? Furchtbar! Erst am Tag davor hatte ich in der Power Play 7/93
den dazu gehörigen Test gelesen, in dem das Spiel in den allerhöchsten Tönen gelobt wurde und eine glatte 90 kassierte. Das war damals noch die absolute, irrsinnig selten gesehene Ausnahme, nicht der
»Waaaaaaas, wie könnt ihr das nur so verreißen, inkompetentes Pack!!1«-Standard von heute. Am Ende des Fazitkastens stand
»Vielleicht das intelligenteste und beste Spiel aller Zeiten« - und dann so ein hohler Packungstext? Hab’s mir trotzdem geholt. Und nie bereut. Ich liebe Syndicate bis heute.
Warum? Zum einen dafür, dass es die Blaupause für das heute so allgegenwärtige Open-World-Genre lieferte - ich bin fest davon überzeugt, dass es ohne Syndicate niemals ein Grand Theft Auto gegeben hätte, jedenfalls nicht in der heute bekannten Form. Die Parallelen sind offensichtlich: Zwar spielt man keinen Baseballschläger
Mit dem Überzeugungsstrahler kann man die meisten Bewohner einer Stadt zu seinen willenlosen Ballersklaven machen.
schwingenden Schweigefan, aber man durchstreift große, offene Levels, in denen die Bewohner ihrem Tagwerk nachgehen, vor gezückten Waffen davon rennen und an Straßen halten, wenn Autos nahen. Und dann war da natürlich noch die Gewalt: Während sich der größte Teil der Nicht-Spielepresse mit ungläubigen Augen geifernd auf die heraus gerissenen Rückgrate in Mortal Kombat stürzte, präsentierte Syndicate zynische Tötungsaufträge, kreischende menschliche Fackeln und die Möglichkeit, eine ganz private
»Operation Human Shield« auszuführen. Denn man hatte mit dem »Persuadertron« (dt. »Überzeugungsstrahl«) ein Gerät dabei, mit dem man Zivilisten durch bloße Annäherung hirnwaschen konnte. Diese Zombies folgten einem danach überall hin, lasen selbständig Waffen von gefallenen Gegnern auf und kämpften kräftig mit. Wenn man Lust hatte, konnte man Rattenfänger in der ganzen Stadt spielen und dann seine willenlosen Ballersklaven den Gegnern zum Fraß vorwerfen. Syndicate mag simpel ausgesehen haben, aber es war eines der wenigen Spiele, in denen sich brutales, skrupelloses Vorgehen tatsächlich ausgezahlt hat.
Die 100-Millionen-Dollar-Männer
Kein Bewerbungsgespräch nötig: Im Intro wird gezeigt, wie Agenten-Rekrutierungsverfahren in der Zukunft aussehen.
Worum geht es? Das aus heutiger Sicht krude, aber damals sehr beeindruckende, deutlich von Blade Runner inspirierte Intro klärt auf: Im 22. Jahrhundert haben Syndikate, sieben an der Zahl, ihren eisernen Griff an der Gurgel der Welt. Kleine schlagkräftige Truppen hochtrainierter Agenten führen alle schmutzigen Jobs aus, die man für die Herrschaft braucht - Anschläge, Entführungen, Raub. Diese Agenten schließen sich der »guten Sache« nicht ganz freiwillig an, potenzielle Rekruten werden auf der Straße betäubt, in die Labore verschleppt, per Hirnchip auf willenlose Höchstleistungen getrimmt - und sämtliche laschen Extremitäten durch makellose Cyber-Implantate ersetzt. Man selbst spielt einen Anführer einer solchen Truppe, der rund um den Globus Geheimoperationen durchführt. Man beginnt auf einer Weltkarte, auf der 50 Staaten, farblich getrennt nach Syndikaten, dargestellt sind. Um diese Karte nach und nach mit der eigenen Farbe zu tönen, gibt es viel zu tun: Gezielte Tötung von Zielpersonen (besonders Zivilisten, korrupte Polizisten, gegnerische Agenten - meist eine Mischung aus allem), Entführung von Wissenschaftlern oder sonstigen wichtigen Persönlichkeiten, Diebstahl von mächtiger Technologie.