Faszinierend?
Opfer gefordert: In diesem Level konnte z.B. nur mit einem Bomber der Pfad zum Ausgang geöffnet werden.
Dabei offenbarte sich manchen die Faszination nicht von Anfang an - und ich war einer von ihnen. Ich weiß noch genau, als mich ein Klassenkamerad damals fragte, ob er sich lieber The Secret of Monkey Island oder Lemmings für seinen Amiga kaufen sollte. Für mich war die Antwort klar: Wie kann man überhaupt darüber nachdenken, diese seltsamen grünhaarigen "Wühlmäuse" einem Guybrush Threepwood vorzuziehen? Aber er legte sich Lemmings zu. Und mittlerweile würde es mir auch deutlich schwerer fallen als damals, mich zwischen diesen beiden Klassikern zu entscheiden. Wer das Spiel aus dem Hause
Psygnosis so wie ich zunächst nur aus Testberichten kannte, konnte die Begeisterung nicht so richtig nachvollziehen: Klar, die kleinen Pixel-Nager sehen irgendwie putzig aus, aber der Rest? Grafisch konnten mich die Lemminge auf Bildern nicht gerade überzeugen...
Die Bekehrung
Erst als ich selbst die Maus in die Hand nahm, um die Horde nach ihrem freudigen "Let's go" sicher und möglichst ohne Verluste zum Ausgang zu geleiten, konnte ich nicht mehr widerstehen. Am unteren Bildschirmrand stehen maximal acht Fähigkeiten zur Auswahl, die man in einer begrenzten Anzahl auf die Nager übertragen kann: So ist es z.B. möglich, einen Kletter-Lemming zunächst einen unüberwindbaren Berg erklimmen zu lassen, ihn anschließend mit Hilfe der Fallschirm-Fähigkeit sicher auf die andere Seite zu befördern und danach als Buddelmeister einzusetzen, der für die restlichen Lemminge auf der anderen Seite einen Tunnel gräbt. Das war jetzt nur ein einfaches Beispiel. Die späteren der insgesamt 100 Levels, die auch mehrere Bildschirme sowie diverse Ein- und Ausgänge umfassen, trumpfen mit echten Kopfnüssen auf und verlangen dem Spieler viel ab.
Sind sie nicht süß?
Einmal nicht richtig aufgepasst, stürzen die Lemminge in den kollektiven Tod, doch auch eine falsch eingesetzte Fähigkeit kann schon das frühe Aus bedeuten und den Abschnitt unlösbar machen. Nicht zu vergessen das Zeitlimit, das einem in den ersten Stufen kaum, aber danach immer mehr im Nacken klebt. Erst wenn ein bestimmter Prozentsatz der Lemminge den Ausgang erreicht, gilt das Level als gemeistert. Und
die Stopper wurden im Anschluss meist zu Opfern, die sich nach einem Doppelklick auf den Atompilz und dem anschließenden Countdown mit einem herzerweichenden "Oh no" verabschiedeten.
Gefährliche Gegend
Nicht nur große Höhen stellen für die Lemminge ein Problem dar - ohne Fallschirme klatschen sie hart auf dem Boden auf und werden zermatscht. Auch die Kulissen sind mit tödlichen Fallen nur so gespickt: Flammenwerfer, Lava-Flüsse, Wasser, Schleim, Stampfer, Bärenfallen sowie weitere fiese Vorrichtungen hauchen den Tierchen im Nullkommanichts ihr Leben aus. Zu den 100 Levels für Solo-Retter gesellten sich noch weitere 20 für den Mehrspielermodus im Splitscreen, bei dem zwei Spieler gleichzeitig gegeneinander antreten konnten. Das Ziel bestand darin, so viele Lemminge wie möglich zum eigenen Ausgang zu dirigieren. Folglich hat man versucht, seinen Gegenspieler die farblich veränderten Nager anzuzwacken und ebenfalls zum eigenen Ausgang zu lotsen. Das alles war zwar enorm chaotisch, aber trotzdem sehr spaßig - vor allem am Amiga, wo es im Gegensatz zum Atari ST auch möglich war, zwei Mäuse gleichzeitig zu benutzen.
Klassik mal anders
Der Zweispieler-Modus sorgte für viel Chaos und Hektik.
Um Copyright-Problemen vorzubeugen, entschied man sich bei Psygnosis für die Verwendung klassischer Werke und Volkslieder, die man entsprechend aufpeppte: Diese reichen von modernisierten Versionen der Nussknacker Suite über den Schwanensee bis hin zum karnevalistischen Can-Can - insgesamt besteht der Soundtrack aus 21 Stücken, der mit elektronischen
und jazzigen Arrangements bunt gemischt wurde . Daneben bediente man sich auch beim eigenen Portfolio, denn in einem Level wuseln die Lemminge durch die Kulisse von Shadow of the Beast, begleitet vom Original-Soundtrack aus der Feder von David Whittaker.
Ein Meilenstein
Lemmings ist ohne Zweifel ein Meilenstein in der Geschichte der Computer- und Videospiele. Vor allem die Tatsache, die niedlichen Geschöpfe nicht aktiv zu steuern, sorgte für ein völlig neues Spielgefühl, das Jung und Alt begeistern konnte. Entsprechend setzten die niedlichen Wühlmäuse ihren Siegeszug vom Amiga fort und breiteten sich auch auf allen gängigen Heimcomputern und Konsolen wie dem PC, Mega Drive oder SNES aus. Selbst Handhelds wie die PSP waren vor den Nagern nicht sicher. Ihre Popularität hat sich bis heute gehalten, obwohl sich am Spielprinzip bis auf ein paar weitere Fähigkeiten nicht viel verändert hat. Lemmings ist einfach einer dieser zeitlosen Klassiker, die auch 20 Jahre nach ihrer Premiere noch genau so viel Spaß machen wie damals.
Michael Krosta