Vive XR Suite
Warum also nicht gleich ein komplettes Office-Paket für VR veröffentlichen - nach dem Vorbild von Microsoft? Genau dieses Projekt hat sich HTC derzeit mit der
Vive XR Suite vorgenommen, die im Laufe des Herbstes zunächst in China und dann nach und nach in anderen Regionen veröffentlicht werden soll. Der Hersteller der Vive-Headsets konzentriert sich in den vergangenen Jahren immer stärker auf den professionellen B2B-Bereich. Gerade da aktuell persönliche internationale Meetings schwer werden, dürfte das Konzept auf wachsendes Interesse stoßen. Statt komplett neu zu starten und lediglich eigens entwickelte Apps anzubieten, umfasst das Paket fünf bereits etablierte Programme für Meetings, gemeinsames Arbeiten und Lernen, teils von anderen Studios. Einige der Projekte hatte HTC allerdings bereits seit langem finanziell unterstützt, erklärte uns Graham Wheeler, President & General Managar von HTC EMEA.
Wir haben uns bereits testweise mit ihm per in einem VR-Meeting getroffen – in der Beta des Programms „Sync“, einem Kern-Bestandteile des Bundles. Mit ihm kann man sich relativ einfach und in einer aufgeräumten Umgebung kleinere persönliche Meetings starten. Und tatsächlich fühlte ich mich hier am Konferenztisch auf Anhieb viel stärker einbezogen als in einer echten Gesprächssituation à la Zoom und anderen Video-Apps. Wheeler war wie ich zwar nur als 3D-Avatar präsent, doch seine Gestik beim Sprechen, mit den Bewegungscontrollern und seine Augenbewegungen bei bestimmten Sätzen und Denkpausen, ließen ihn deutlich lebendiger wirken als ich es aus Videokonferenzen gewohnt bin: „Das wichtigste ist die Nutzung der Körpersprache, die Unterschiede erkennbar macht. Das macht uns sehr anders im Vergleich zu jeglichen anderen Präsentationen“, erklärte Wheeler. Er trug das VR-Headset
Vive Pro Eye mit Augentracking – ich dagegen die
Vive Cosmos Elite, in dem die Augenbewegungen nicht erfasst wurden. „Um mit dir zu sprechen, drehe ich mich zu dir hin. In einem Video-Chat schaue ich vermutlich einfach geradeaus, schaue dorthin und habe nicht dieses Gefühl einer persönlichen Verbindung“, erläutert Wheeler und berichtet, dass später auch Tracking-Unterstützung für die Mundbewegungen geplant ist, sofern man die passende Erweiterung unters Headset flanscht.
Telepräsenz für Arbeit, Lehre, Events und Kooperation
Im Meeting mit Sync. Nebenan saß auch jemand von der deutschen PR - allerdings ohne Headset und dementsprechend ohne getrackte Körpersprache.
Ein weiterer wichtiger Faktor für die persönliche Gesprächs-Atmosphäre ist der Rahmen des virtuellen Konferenzraums. Statt vieler ablenkender Faktoren im realen Zimmer vor einem Computermonitor sieht man hier nur seine Gesprächspartner und einen beruhigenden wählbaren Hintergrund wie die Skyline von San Francisco. Durch diese Fokussierung fühlte ich mich intuitiv viel stärker verpflichtet, mich voll und ganz dem Gespräch zu widmen. Für private Sprach-Notizen kann man sich zwischendurch auch stumm schalten – der diktierte Text wird dabei direkt privat oder für die Gruppe in Text umgewandelt. Problemlos lief das Treffen im Beta-Stadium aber noch nicht ab: Erst nach meiner zweiten Einladung erschien wie geplant das 3D-Modell eines Autos auf dem Konferenztisch, wo ich es inspizieren oder mit Stiften markieren konnte. Außerdem streikte der umständlich in eine Smartphone-App ausgelagerte Charakter-Editor mit Foto-Erkennung. Also wählte ich stattdessen irgendwann einfach eine Standard-Figur, um mich nicht zu verspäten.
Die übrigen Einbindungen (z.B. per OneDrive oder OneDrive for Business) wirken aber sinnvoll und überschaubar organisiert. Sync unterstützt die Nutzung gängiger Dateiformate von PowerPoint, PDF, FBX- und OBJ-Dateien bis hin zu Unity-Asset-Bundles, Videos und Streaming. Die Konferenz-App wurde vom 2 Bears Studio entwickelt, damit sich die Zentrale in San Francisco möglichst effektiv mit ihrem Kollegen im chinesischen Studio austauschen konnten, so Wheeler. Später wurde aus dem internen Tool das auch in der XR Suite enthaltene Programm Sync.
Bunte Mischung
Ein etwas anderer "Hörsaal" in Engage bzw. Sessions.
Für größere Vortrags-, Lehr- oder Hörsaal-Umgebungen stehen „Campus“ (alias
Virbela Open Campus für bis zu 2.500 Teilnehmer gleichzeitig) oder „Sessions“ zur Verfügung. Bei Letzterem handelt es sich im Wesentlichen um die eigenständige App „
Engage“, HTC hat sich im Mai aber Aktien im Wert von 3 Mio. Euro gesichert, um die Entwicklung voranzutreiben. Das Tool kam in diesem Jahr u.a. bei HTCs eigenen Events wie dem „V2EC 2020“ zum Einsatz, an dem bis zu 5.000 Personen teilnahmen. Theoretisch zumindest, in der Praxis gab es offenbar noch bei einigen Nutzern technische Probleme beim Beitritt oder dem Sound. Die App war ursprünglich nämlich nur für bis zu 50 Teilnehmer gedacht. Teile der deutschen VR-Szene treffen sich ebenfalls in Engage, z.B. im Rahmen des „
Virtual Germany VR & AR Meetup“. Der 2014 gegründete irische Hersteller „Immersive VR Education“ nennt seine App eine „Virtual Training & Education Platform“. Die Avatare aus Sync sollen übrigens nach und nach auch in den übrigen Programmen zum Einsatz kommen. Für den Schutz der Daten und Gesprächsinhalte sei in der Software-Suite ebenfalls gesorgt, bekräftigt Wheeler:
„Wir nutzen AWS-Protokolle, um sicherzustellen, dass alles darin verschlüsselt ist. Und als du z.B. in deinem Raum warst, haben wir dich dorthin eingeladen. Wir haben eine Benachrichtigung bekommen, dass du beigetreten bist. Die Uhr zeigt die verschiedenen Zeiten der Teilnehmer an. Du kannst also keine Leute dort haben, die quasi einfach beitreten, ohne dass es den Leuten nicht auffällt, dass sie sich ebenfalls in der Umgebung befinden. All die Module werden mit den ordentlichen Verschlüsselungs-Protokollen gesichert - per AWS - und direkt nach der Beendung des Raums gelöscht. Unsere Malereien von eben werden also nur gesichert, wenn du auf Speichern klickst und sie hinterher auf deinen Computer ziehst. In unserem System selbst werden sie nicht aufbewahrt.“
Virtueller Museumsbesuch
Es wird bunt und lebendig im Museum!
Eine positive Überraschung erlebte ich im
Museum of Other Realities, das u.a. für Steam und im Oculus-Store erhältlich ist und das in der XR Suite schlicht „Museum“ heißt. Vorm Start hätte nicht gedacht, dass der Gang durch ein virtuelles Museum ähnlich faszinierend sein kann wie eine echte Kunstausstellung. Die Navigation klappt zwar nur per Teleportation, doch ihre durchdachte Aufmachung sorgte für eine entspannte Erkundung diverser Ausstellungen, in denen vor allem räumliche Objekte gut zur Geltung kamen. Oft beamt man sich auf Knopfdruck direkt ins Werk, um sich durch seine bunt animierten Ausläufer zu bewegen. Für eher lockere Treffen ist auch das beliebte
VRChat an Bord. Das Programm kam jüngst etwa
bei den der 77. Filmfestspielen von Venedig zum Einsatz – z.B. für Backstage-Treffen mit Entwicklern der VR-Ausstellung.