Psychologischer Terror
Was war so besonders an diesem
Silent Hill? Dazu muss ich etwas ausholen. Ich war schon 26 Jahre alt und meine zweite Tochter war gerade geboren, als ich mit Harry Mason in diese vernebelte Stadt zog. Ich hatte
Alone in the Dark,
Resident Evil 1 und
2 sowie zig andere Varianten des Survival-Horror gespielt. Obwohl sie alle gruseln und schockieren konnten, schlich sich keines so unheimlich durch die Haut - und: selbst nach dem Ausschalten der PlayStation so ins Hirn. Nicht die Gewalt oder das Blut, sondern Schreie und Schritte, Angst und Ahnungen sowie ein Gefühl des Verlassen-, Ausgeliefert- und Alleinseins sorgten für eine bis dahin fast unbekannte Art des digitalen Unheimlichen. Ich habe von der Geschichte, aber auch von Stimmungen und Geräuschen geträumt.
Silent Hill konnte mich als erwachsenen Mann auf emotionaler Ebene verstören, aber gleichzeitig auf eine düstere melancholische Art so faszinieren wie die besten Kurzgeschichten von E.A. Poe oder
H.P. Lovecraft - es gehört für mich neben
Soul Reaver zu den Spielen, die mich nach dem Finale am längsten beschäftigt haben. Es gab natürlich auch ausgleichende,
Harry Mason sucht in der Kleinstadt Silent Hill nach seiner verschwundenen Tochter.
nostalgische und wenn man so will "glückliche" Momente, die ähnlich wie die Logik- und Schieberätsel für wichtige Ruhephasen sorgten. Aber selbst diese waren im Vergleich zu jenen in Resident Evil, wenn man endlich den Raum mit der Schreibmaschine erreichte und im warmen Licht bei lieblichen Akkorden durchschnaufte, irgendwie trügerisch.
Im Gegensatz zum expliziten Horror wirkte vor allem nach ein paar Stunden die Kraft des paranormalen und psychologischen Terrors, der auch ohne die Fratze des Monsters auf schonungslose Art ins Unterbewusstsein sickerte. Natürlich gab es die auch! Scheiben klirrten und Monster tauchten auf, in Gassen wurde man von Hunden angegriffen. Aber hier flossen Normalität und Grauen besser ineinander. Ein Symbol dafür war auch das Radio, das bei nahender Gefahr zu rauschen begann. Da stand man dann im Nebel und schaute sich nervös um. Während Videospiele eigentlich in andere Welten einluden, war das hier wie eine Warnung, die jede Stunde auf der Couch noch lauter dröhnte: Geh nicht weiter!
Verstörender Strudel
Silent Hill war spielmechanisch nicht revolutionär und trotz der in Echtzeit gerenderten 3D-Kulisse keine Grafikbombe. Aber hinsichtlich der filmisch inszenierten Zwischensequenzen sowie der neuen dynamischen Kamera, die sich plötzlich um den Helden drehte oder in die Höhe stieg, schlug es damals die komplette Konkurrenz - selbst heute ist
der Einstieg stimmungsvoll. Team Silent bediente sich ansonsten weitgehend etablierter Interaktionen und baute auf einem bekannten Fundament à la Resident Evil, auch hinsichtlich Inventar, Waffen, Items & Co - und natürlich gab es auch Schwächen wie die für heutige Verhältnisse statischen und teilweise naiven Dialoge, das steife Bewegungs- und Kampfsystem oder klischeehafte weibliche Nebenfiguren, die wie Ladys ex machina wirken. Aber Director Keiichiro Toyama sowie seine Producer Gozo Kitao und Michael Gallo
präsentierten ein Spieldesign, das wie eine Zwiebel aufgebaut war. Unter der harmlosen Schale eines
Man konnte auch mit diversen Waffen kämpfen, um die zahlreichen Kreaturen zu besiegen - in diesem Fall eines der wenigen humanoiden Monster.
scheinbar typischen Abenteuers in Schultersicht, in dem ein Mann seine verschwundene Tochter in einer Kleinstadt suchte, während er Monstern begegnete und Rätsel löste, verbargen sich mehrere Schichten, die einen visuell, erzählerisch emotional, spielerisch und - ganz wichtig - auch akustisch in einen psychologischen Strudel voller Verstörungen zogen.
Die Regie war ebenso innovativ wie die düstere Vision. Lange vor The Last of Us oder The Walking Dead ging es auch um eine familiäre Beziehung, um Traurigkeit und tragische sowie emotional intensive Momente. Hinzu kam ein doppelter narrativer und spielmechanischer Boden, der mit der Grenze zwischen Realität und Traum spielte sowie einige Wendungen und mehrere Enden zu bieten hatte. Silent Hill ließ sich zwar wunderbar Zeit für seine verwobene Geschichte und die Geheimnisse der Spielwelt, in der man auch "normalen" Leuten begegnete, aber brauchte nicht lange, bis es einen an der Gurgel hatte: Schon der
filmische Einstieg war wie erwähnt klasse, und in der ersten Stunde sorgte die im Nebel lauernde Stadt umgehend für Erinnerungen an den Film "The Fog" aus dem Jahr 1980 von John Carpenter. Apropos: Dass die Japaner reichlich westlichen Horror konsumiert hatten, zeigte sich auch an den Straßennamen wie "Robert Bloch" oder "Richard Bachmann". Obwohl sie wie ausgestorben wirkte, verübte sie eine seltsame Anziehungskraft - in Ansätzen vergleichbar mit so genannten "Lost Places" der Industriegeschichte oder Psychogeografie, die gerade aufgrund des Zerfalls zu sprechen scheinen.