Horizontale und vertikale Verzahnung
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Man kann Schläge gezielt blocken, aber keine Konter einleiten. |
Bis zu dieser Stelle wurden viele Kritikpunkte aufgelistet. Bis zu dieser Stelle gäbe es auch genug Gründe, die Wertung niedriger anzusetzen. Es gibt aber trotz allem einen großen, unheimlich wertvollen Unterschied zwischen offenen Welten à la Two Worlds II, Risen oder Arcania und dieser Welt von Bethesda: Skyrim atmet Geschichte. Dieses Spiel ist nicht nur horizontal offen, was die Weite des Landes und die freie Charakterentwicklung angeht, es ist gleichzeitig vertikal verankert in seiner eigenen Mythologie und interaktiven Spielstruktur.
Was heißt das? Das heißt zum einen, dass diese Fantasywelt eine über Jahre gewachsene und glaubwürdigere als viele andere ist. Ihr Putz offenbart keine schnell konstruierte Plastik, wenn man mal etwas unter der Oberfläche kratzt, sondern Knochen – alte Gebeine, die schon etwas länger eine Welt tragen. The Witcher gelang das aufgrund der literarischen Fundamente des polnischen Schriftstellers Andrzej Sapkowski. Skyrim gelingt das aufgrund seiner Vorgänger mit der langen Historie von Kriegen und Katastrophen, von Kaisertum, Unabhängigkeitsbestreben und Geheimorden, von Leid und Vertreibung. Worte wie „Morrowind“, „Dunmer“, „Septim“, „Thalmor“ oder „Oblivion“ haben eine Bedeutung gewonnen, weil sie umgehend Bilder erzeugen.
Integration der Geschichte
Das alleine würde als bloße Erinnerung von Veteranen natürlich noch keinen großen Wert für das Spielerlebnis von Skyrim haben: Aber die Integration der Geschichte in die Spielwelt lässt sie so lebendig, lässt ihre Mythen auch für Einsteiger so greifbar und interessant werden. Bethesda macht die Spuren der Vorzeit nicht nur in der Landschaft sichtbar, in alten Festungen, Ruinen oder eben profanen Mammutknochen, sondern auch in den Biographien der Leute, in Gesetzen wie dem Religionsverbot und Artefakten und vor allem in all den Büchern, die man finden kann. Viele Spiele nutzen derart eingestreute Informationen, um etwas von den Hintergründen zu erzählen. Aber es ist unglaublich, was man hier in welcher Fülle über die Welt, ihre Völker, Intrigen und Herrscher, ihre Pflanzen, Kreaturen und Legenden erfahren kann. Wer sich auf diese Fantasy einlässt, wird mit Tiefe belohnt – Spiele wie Risen oder Two Worlds ermöglichen diese Art der Immersion erst gar nicht, weil sie zu flach konstruiert sind.
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Manchmal hilft je nach Feind eine andere Waffe - hier wäre Feuer angebracht. |
Viel wichtiger als viel Information ist: Bethesda schließt den Kreis von der vertikalen historischen Tiefe mit all ihren Herrschern, Verträgen und Intrigen hin zur horizontalen Weite. Das sind nicht zwei getrennt voneinander gefüllte Bereiche: Man beugt sich über eine taktische Karte, klickt auf eine Fahne und eine Festung wird kartiert. Sobald man etwas über eine Sage liest, in der es um einen interessanten Ort geht, wird dieser auf der Karte vermerkt und man bekommt umgehend Lust, in dem betreffenden Buch zu lesen – nicht einfach eine schnöde Questbeschreibung, sondern vielleicht eine akademische Abhandlung oder ein Tagbuch oder einen Lexikoneintrag! Das geht so weit, dass man selbst belanglose Ausführungen über das Liebesleben finden oder sich über den absolut hanebüchenen mystischen Beweis aus der Feder eines Legasthenikers amüsieren darf. Genau so gibt man Rollenspielwelten mehr als Level und Waffenboni, sondern Seele! Ab und zu hat die Lektüre auch praktischen Wert: Sobald man etwas über einen Dieb liest, der über seine Karriere berichtet, wird umgehend die Fähigkeit des Taschendiebstahls verbessert. So entsteht ein harmonischer Kreislauf aus Vergangenheit und Gegenwart, aus Fakten und spielerischem Nutzen.
Die deutsche Lokalisierung
Ein Rollenspiel lebt auch vom Klang der Stimmen und wie oben beschrieben auch vom geschriebenen Wort. Und Bethesda hat endlich mehr Herzblut in die deutsche Version investiert: Im Gegensatz zum enttäuschenden The Elder Scrolls IV: Oblivion, wo sogar Zauber und Quests falsche Namen und damit zur Verwirrung trugen, überzeugt diesmal sowohl die Übersetzung der Texte als auch die professionelle Sprachausgabe. Neben Wolfgang Jürgen (deutsche Stimme von Dennis Quaid) und Bernd Vollbrecht (Brad Pitt) kommen u.a. Marion von Stengel (Angelina Jolie) und Joseline Gassen (Bette Midler) zu Wort – und diese Klasse zahlt sich aus.
Zwar merkt man einigen Sprechern ab und zu an, dass sie mehrere Rollen einspielen und einige weniger wichtige Charaktere nicht so stark akzentuieren konnten. Aber nicht nur die politischen Protagonisten der Story wie etwa die kernigen Jarle, auch die vielen starken Frauen wie die beschwörend flüsterende Priesterin von Azura, die ruppige Kriegerin Uthgerd und so manche Nebenrollen können sich hören lassen – inklusive markantem Akzent wie etwa bei den Katzenwesen. Sehr schön ist zudem, dass man neben prominenten erwachsenen Schauspielern auch Kinder zu Wort kommen ließ; wenn man mit ihnen spielt oder ihnen zuschaut, hört sich das angenehm natürlich an.
Auch die vielen Texte wurden gewissenhaft übersetzt – und Skyrim bietet viele Schriftstücke von der kleinen Notiz bis zum mehrseitigen Lexikoneintrag. All das liest sich gut, zumal man die Ortsnamen der Spielwelt ohne große Ausrutscher eingedeutscht hat: Statt „Skyrim“ heißt die Provinz der Nord „Himmelsrand“; statt „Whiterun“ heißt die erste größere Stadt „Weißlauf“. Man kann darüber streiten, ob das den etymologischen Aufwand wert war, zumal die Ortsschilder innerhalb der Spielwelt immer noch die englische Schreibweise anzeigen, aber es wirkt an keiner Stelle künstlich aufgesetzt.