Das ist alles per se nicht schlecht, ganz im Gegenteil: Die Umsetzung und das Einbauen all dieser Elemente wird durch den hohen Rockstar-Standard gekennzeichnet. Doch mit dieser Aura des Bekannten (egal, wie hervorragend es umgesetzt wird) geht einher, dass Überraschungen eher selten sind. Dabei ist es immer dieses Überraschungsmoment gewesen, dass die Grand Theft Autos zumindest seit ihrem Sprung in die dritte Dimension so spielenswert machte.
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Blaine County im Norden der Film-Metropole Los Santos bietet idyllische Landschaften, wie man sie auch in Red Dead Redemption genießen konnte.
Vice City schaffte es, die Neon-Zeit der 80er und 90er Jahre des letzten Jahrhunderts akkurat nachzuahmen. Bei San Andreas waren es die schiere Größe sowie die spielerischen Möglichkeiten, die den Kampf der Gangs zu einem definierenden Moment der späten PS2- und Xbox-Phase machten. Und Grand Theft Auto 4 samt Add-Ons zeigte die düstere, ausweglose Seite der ostamerikanischen Metropole Liberty City (New York City), in der ein illegaler Immigrant um sein Überleben kämpfte und versuchte, seine Vergangenheit als Soldat abzuschütteln. Und natürlich bewies Niko Bellic, dass Rockstar auch die aktuellen Konsolen voll im Griff hatte und kein Weg an ihnen vorbei führte, wenn es um die Darstellung einer lebendigen Spielwelt geht. Allerdings hatten sowohl GTA 4 als auch Red Dead Redemption bereits Probleme, diese Illusion aufrecht zu erhalten, wenn man hinter die Kulissen und die Statisten schaute. Aber diese Titel liegen bereits drei bzw. fünf Jahre zurück. Aber auch wenn und gerade weil es in der Zwischenzeit niemand geschafft hat (die Assassin's-Creed-Serie eingeschlossen), Rockstars Vormachtstellung in dieser Hinsicht gefährlich zu werden, hatte ich Hoffnung, dass man hier neue Standards setzen könnte.
Gelungene Erzählstruktur mit strikter Regie
Doch das gelingt abseits der schicken Kulisse (die allerdings auch ihre Macken hat) nur selten. Am ehesten noch hinsichtlich der Geschichte, in der man nicht mit nur einem unfreiwilligen Helden unterwegs ist, sondern mit dreien. Da man zudem über einen Großteil der Spielzeit die freie Wahl hat, wen man gerade steuert (eingeleitet von einem filmreifen Raus- und Reinzoomen) und auch jeder zusätzlich zu den gemeinsamen Missionen eigene Erzählstränge verfolgt, war die Herausforderung für die Drehbuchautoren groß.
Tennis, Golf, Fallschirmspringen, Autorennen: Abseits der Geschichte gibt es zahlreiche Aktivitäten.
Hier zahlt sich aus, dass Dan Houser offensichtlich Fan von moderner Film- und Fernsehkultur ist: Es hagelt nicht nur Anspielungen auf Filme oder TV-Serien wie Lethal Weapon, Ocean's Eleven, Backdraft, Last Boy Scout, Fast and Furious, The Sopranos oder Breaking Bad. Bei den Übergängen und Charakterzeichnungen fällt auf, dass man (zumeist erfolgreich) versucht, cineastische Atmosphäre zu schaffen. So wird z.B. beim Start einer Mission nicht mehr nachgeladen, sondern in der Spielgrafik mit den aktuell ausgewählten Kostümen oder sonstigen Personalisierungen die Szene gestartet. Auch das nahtlos in das Spielgeschehen übergehende Ende jeder Sequenz stellt einen deutlichen Fortschritt zum bisherigen Laden-Missionsbriefing-Laden-Mission-Starten-Ritual dar. Bei der Inszenierung hätte man aber durchaus progressiver sein können. Mit den häufig ruhigen Kameraperspektiven zeigt man sich erstaunlich zurückhaltend. Doch mit etwas mehr Gespür für Einstellungen und Schnitte hätte man mehr Intensität herausholen können. Was auch immer dann gelingt, wenn die Kameraarbeit dynamischer interpretiert wird.
Dafür jedoch funktioniert das Prinzip der unheiligen Dreifaltigkeit der Protagonisten in Form von Michael, Franklin und Trevor erstaunlich gut. Alle haben ihre eigene, mitunter zweifelhafte Motivation, sich auf die schiefe Bahn zu begeben und einzeln oder miteinander krumme Dinger zu drehen. Allerdings wünsche ich mir bei dem Afro-Amerikaner Franklin, der in Tradition von GTA San Andreas aus dem ewigen Kreislauf der Gang-Kriege ausbrechen möchte, mehr Eingriffsoptionen. Jedes Mal, wenn er mit seinem Kumpel Lamar zusammen kommt, ist abzusehen, dass die Sache nicht gut enden wird. Aber man hat keine Wahl. Man wird als Darsteller gezwungen, die Angelegenheit so durchzustehen, wie sie das strikte Drehbuch vorsieht. Die Regie, die an die rigorose Dikatatur erinnert, die man Ridley Scott oder Stanley Kubrick nachsagt, ist in dieser Hinsicht zu gnadenlos, zu eindimensional. Dabei wäre es sehr leicht gewesen, diesem GTA eine Entscheidungsebene hinzuzufügen, selbst wenn sie nur vorgegaukelt wäre. So zieht man in einer Mission z.B. mit Lamar los, um der aus San Andreas bekannten Grove Street einen Besuch abzustatten. Natürlich ahnt man, dass es in einer bleihaltigen Auseinandersetzung enden wird. Und obwohl Franklin nichts mehr damit zu tun haben möchte und ich diese Einstellung teile und unterstützen möchte, muss ich trotzdem mit ihm in den Bandenkrieg ziehen.
Die Dynamik zwischen den drei Protagonisten wird angemessen inszeniert.
Hätte man mir die Option gegeben, mitzugehen oder nicht, wäre das Ende dieser Sequenz (der Bandenkrieg inkl. Lamars Überleben) nicht in Gefahr geraten. Doch ich als Spieler wäre stärker in die Entscheidung über das Schicksal der Figuren involviert - die Immersion wäre noch höher. Und man hätte auf Regieseite die Option gehabt, die ohnehin meist an der Oberfläche bleibenden Konversationen mit eher unwichtigen Nebenfiguren wie Franklins Tante zu vertiefen. So etwa hätte sie ihm eine Nachricht zukommen lassen können, wie abscheulich sie es findet, dass er seinen Kumpel aus Kindertagen so im Stich lässt. Doch Rockstar lässt diese Chance leider zu häufig ungenutzt. Selbst auf die Mails, die man an sein Smartphone gesendet bekommt, kann man nur eine vorgegebene Antwort abschicken.