Mehr Spaß für (fast) alle
Doch ungeachtet der technischen Probleme und der Hardware-Knappheit, die hoffentlich nicht von Publisher Mad Catz künstlich herbeigeführt wurde, um mehr Komplettpakete zu verkaufen, zeigt Rock Band 4 bekannte Stärken. Die Erkennung der Eingaben ist nach erfolgreicher Kalibrierung hochakkurat. Gesang wird ebenfalls so gut wie eh und je erkannt - es kam nicht von ungefähr, dass das hierzulande leider nie offiziell veröffentlichte BandFuse für die Gesangsspuren die Technik von Harmonix lizenzierte. Und hat man mehrere Spieler beisammen, stellt sich der Spaß ebenso schnell ein wie früher - zumal Vokalisten und vor allem Gitarristen sich über neue Freiheiten freuen können, die aber optional auch ausgeschaltet werden dürfen. Auf den Schwierigkeitsstufen "Hart" und "Extrem" müssen sich die Sänger zwar im Wesentlichen weiter an den Vorgaben entlang hangeln, doch so lange man in der Tonart bleibt, darf man nun auch improvisieren und höher oder tiefer singen als vom Spiel verlangt.
Die Bandauftritte werden gekonnt inszeniert. Die Kulisse ist aber nicht immer zeitgemäß.
Und an der Plastikklampfe bekommt "Freestyle" eine bislang ungeahnte Dimension. Denn in Rock Band 4 ist es möglich, statt der Original-Soli seine eigenen Kreationen zum Besten zu geben. Je nachdem, welche der farbigen Bund-Tasten man einzeln oder in Kombination drückt (es macht auch einen Unterschied, ob man oben oder unten am Hals greift), während man den „Saitenschalter“ betätigt, werden zum Song passende Licks und Riffs erzeugt. Spielt man auf Punkte bzw. um eine Sternwertung, wird diese Mechanik sogar abgefragt und man muss mal oben, mal unten Einzelnoten, im Viertel- oder Sechzehnteltakt spielen. Es dürfen aber auch hier Improvisation eingestreut werden, für die man benotet wird. Da das Ganze Harmonix-typisch akustisch sehr gut umgesetzt wird, fühlt man sich schnell wie ein Joe Satriani, Tommy Iomi oder Ritchie Blackmore. Schade ist zwar, dass die Übergänge von Soli zu den "normalen" Akkord- oder Saitenanforderungen sehr abrupt sein können, so dass eine gewisse Songkenntnis vonnöten ist, wenn man seinen Multiplikator nach dem Solo nicht verlieren möchte. Dafür allerdings kann man die Songs, die "Freestyle Solo" unterstützen, auch losgelöst von irgendwelchen Kompetitiv-Modi spielen und seiner kreativen Fantasie freien Lauf lassen. Und: Das "Freestylen" sowohl bei Gesang als auch für Gitarre ist nicht nur auf Songs von Rock Band 4 und zukünftige Veröffentlichungen beschränkt. Viele Legacy Songs bieten entweder eine oder beide Varianten an - sorgsam im Store gekennzeichnet. Ein klasse Service, denn diese beiden Mechaniken geben dem Spiel eine neue Dynamik und eine frische Dimension.
Keine Setlisten mehr?
Beim Gesang sollte man allerdings den durchgeschleiften Mikrofon-Sound auf null reduzieren. Denn bei allen Fortschritten, die Musikspiele in den letzten Jahren gemacht haben, gibt es hier immer noch ein Lag von etwa einer viertel bis einer halben Sekunde, bis das gesungene Wort aus den Laustprechern schallt. Und damit ist man in einem Bereich, in dem es nicht nur stört, sondern den Rhythmus aller Bandmitglieder empfindlich beeinflussen kann. Dieses Problem hatten auch alte Serienableger, nur dass dort auch die Drum-Fill-Ins entsprechend verzögert übertragen wurden und zu Rhythmus-Irritationen führen konnten. Immerhin: Das ist jetzt auskuriert. Allerdings nicht, weil die Übertragung schneller geht, sondern weil Fill-Ins zwar vom Drummer initiiert werden können, aber das Spiel sie in einer Art Automatismus besser auf den Takt
Auch die Sänger dürfen improvisieren - müssen aber natürlich in der Tonart bleiben.
setzt. Dass es anders gehen kann, hat Rocksmith 2014 bewiesen. Hat man die Konsole dort über den optischen Ausgang angeschlossen, wurde das Lag massiv reduziert. Schade, dass Harmonix offensichtlich mit dem Status Quo zufrieden ist und sich auch nicht anschaute, was die Konkurrenz in der Zwischenzeit angestellt hat.
Im Zusammenhang mit dem Gesang wird ein weiteres Manko deutlich, das ich anfänglich nicht wahrhaben wollte. Denn während ich als Gitarrist, Bassist oder Drummer mehr oder weniger problemlos mit dem fertig werde, was im Lied gefordert wird, nimmt Gesang eine Sonderstellung ein. Es ergibt wenig Sinn und macht noch weniger Spaß, wenn man genötigt wird, einen Song zum Besten zu geben, den man nicht kann oder der außerhalb der stimmlichen Fähigkeiten liegt. Für solche Fälle hat man sich eine Setlist gemacht, dort seine Favoriten versammelt und konnte diesen Gig dann am Stück spielen. In Rock Band 4 gibt es diese Option schlichtweg nicht. Hier muss man nach jedem Song im "Schnellen Spiel" wieder in die Songauswahl, bevor es weitergeht. Oder aber man spielt eine Show und hat nach jedem Song die Wahl, wie es weitergehen soll, wobei demokratisch vorgegangen wird und jeder in der Band eine Stimme hat. Das ist zwar eine nette Idee und fördert die Kommunikation innerhalb der Band, doch für den Sänger kann hier schnell Frust aufkommen, weil es unter Umständen sein kann, dass hier partout nichts in dem Quintett angeboten wird, auf das man Lust hat oder das man tatsächlich singen kann. Hier ist Harmonix definitiv am Ziel vorbeigeschossen. Denn einerseits möchte man ein "echtes" Banderlebnis schaffen. Andererseits bietet man nicht mal die Möglichkeit, sich als Band immer weiter zu perfektionieren, weil man ständig mit "irgendwelchen" Songs konfrontiert wird - das Problem wird proportional größer, je mehr Songs sich in der Bibliothek befinden. Abgesehen davon, dass die meisten Bands mit einer Setlist unterwegs sind, die nur minimal von Gig zu Gig variiert. Im Übrigen wurde auch die Option entfernt, Songs zu üben. Diese Entscheidung ist für mich gleichsam unverständlich.