Da man sowohl in der Offensive beim Passspiel und dem Annehmen des Balles als auch in der Verteidigung weniger auf Automatismen setzt, sondern dem Spieler noch mehr Kontrollmöglichkeiten in die Hand legt, ist man so aktiv wie noch nie dabei. Der Quarterback hat jetzt fünf Optionen, seine Pässe zu spielen, wobei sogar Modifikationen wie extrem flache oder hohe Anspiele möglich sind. Diese Möglichkeiten gewinnen jedoch erst mit den frischen Fähigkeiten der Receiver an Reiz. So lange der Ball in der Luft ist, kann der Spieler per Tastendruck festlegen, ob das Fangen auf Sicherheit, Risiko oder das schnelle Weiterlaufen konzentriert wird. Dabei ist immer wieder Timing gefragt. Denn wer einen flachen Pass z.B. mit RAC (run-after-catch) annimmt und in der falschen Position ist, riskiert im schlimmsten Fall ein "Fumble" beim sicheren Tackle, muss aber im Bestfall zumindest mit dem Laufen in die falsche Richtung fertig werden, bis sich der Receiver wieder gefangen hat. Auf der anderen Seite können die Risiko-Annahmen allerdings zu enormen Glücksgefühlen führen, wenn ein Hail-Mary-Pass in der Endzone mit einem waghalsigen Sprung einhändig gefangen wird und man durch diesen Touchdown in letzter Sekunde das Spiel gewinnt. Dass zusätzlich die Schiedsrichter den Videobeweis suchen und dadurch das Nervenspiel noch spannender machen, sorgt für weitere Atmosphäre.
Merkwürdige Verrenkungen
Auch das Laufspiel wurde angepasst und mit einigen kleinen Ergänzungen versehen, die zusammen mit den bekannten Funktionen wie Spielanpassungen in letzter Sekunde sowohl für taktische Vielfalt als auch spannende Dynamik auf dem Spielfeld sorgen. Unter dem Strich bleibt zwar das Gefühl zurück, dass die Offensive in diesem Jahr wieder einmal mehr Verbesserungen abbekommen hat als die Defensivabteilungen. Doch dies wird durch eine in vielen Punkten optimierte KI, die besser auf Laufwegänderungen etc. reagiert, einigermaßen wettgemacht. Mitunter kann es zwar vorkommen, dass ein bestimmtes Laufspiel drei oder viermal hintereinander erfolgreich beendet werden kann, bevor die KI sich darauf einstellt. Doch Madden NFL 16 fühlt sich trotzdem auch in dieser Hinsicht deutlich reifer an als die Versionen der letzten Jahre.
American Football ist Emotion - und die vermittelt auch Madden NFL 16 immer wieder.
Und im Duell gegen menschliche Spieler arbeiten die Sportler auf dem Feld ordentlich gegen Mann und Football. Es kommt zu krachenden Tackles, spannenden Versuchen der Laufspieler, sich von den an ihnen hängenden "Kletten" der anderen Mannschaft loszureißen und beeindruckenden Gruppen-Tackles, wenn sich vier Verteidiger auf den Läufer stürzen, der durchgebrochen ist. Wenn der Spielzug beendet ist, kommt es zwar immer wieder zu Clipping-Problemen und mitunter auch zu merkwürdigen Verrenkungen, wenn sich die Spieler wieder erheben. Doch im Großen und Ganzen haben Präsentation, Kulisse, Figuren- sowie die Ballphysik einen entscheidenden Schritt nach vorne gemacht. Das macht auch vor den Kommentaren und der musikalischen Untermalung nicht halt, die dieses Jahr so treibend und abwechslungsreich ist wie selten. Die Probleme der Kommentar-Wiederholungen hat man immer noch nicht im Griff, doch es macht Spaß, den Analysen zuzuhören, die sich dieses Jahr auch öfter auf einzelne Spieler beziehen und nicht in Allgemeinheiten gipfeln. Weniger schön sind dagegen die Ladezeiten, die auf beiden Systemen an den Nerven zehren können.
Spielzug-Chaos?
Bei der Auswahl der Spielzüge hat man wie immer mehrere Basis-Einstellungen zur Auswahl, die vom Durchforsten der übersichtlichen Menüs bis hin zu Vorschlägen reichen, die basierend auf vorherigen Matches, den Playbooks der Gegner oder Empfehlungen der Community reichen. Und wem die Spielzug-Bücher der jeweiligen Teams bzw. Coaches nicht reichen, kann sich sowohl defensiv als auch offensiv individuelle Bücher zusammenstellen und dort sogar die Beliebtheit bestimmter Züge festlegen. Leider gibt es aber immer noch nicht die Möglichkeit, komplett eigene Taktiken auszutüfteln - eine Tafel, auf der man Positionen und Laufwege bestimmen und abspeichern kann, fehlt nach wie vor.
Alte Systeme nur altes Eisen?
Auch in der Verteidigung gibt es spürbare Verbesserungen.
Schade, dass nicht alle Ergänzungen, welche die PS4- und One-Versionen aufwerten, auch auf den alten Systemen Einzug gefunden haben, die der Madden-Serie seit 2005 (sprich Madden NFL 06) ein Zuhause bieten. Zwar darf man auch hier in Draft Champions auf spannende und stets aufs neue motivierende Touchdown-Jagd gehen. Doch bei der Steuerung hat man im Wesentlichen nur die erweiterten Quarterback-Wurfoptionen zur Verfügung. Sowohl die Modifikationen beim Fangen das Balls als auch die darauf abgestimmten Verteidigungsaktionen kommen hier nicht gebührend zu Geltung und hinterlassen entsprechend wenig Eindruck. Ebenfalls kaum Fortschritte gibt es auf visueller Seite oder im Hinblick auf KI. Hier erledigt Tiburon nur das Nötigste - der Fokus lag eindeutig auf den Fassungen für die aktuelle Konsolen-Generation. Auf PS3 und 360 bekommt man NFL 15.5 plus Draft Champions. Aber das reicht, um sich auch hier vor dem letztjährigen Vertreter zu platzieren.