Schadenfreude
Hat man das optionale Schadensmodell aktiviert, wird man sich dagegen schnell von Rowdy-Attitüden verabschieden, denn hier ziehen Unfälle nicht nur visuelle Verunstaltungen wie fiese Kratzer und Beulen bis hin zu abfallenden Teilen wie Heckspoilern oder Stoßstangen nach sich, sondern wirken sich auch negativ auf das Fahrverhalten aus. Da zieht der Wagen z.B. zur Seite oder die Leistung des Motors wird massiv beeinträchtigt. Ein Totalschaden ist aber selbst dann nicht drin, wenn man sich ordentlich Mühe gibt, die Karre komplett zu zerlegen. Ein komplett realistisches Schadensmodell darf man hier also nicht erwarten. Das gilt sowohl für die Auswirkungen als auch die Darstellung. Die Frontscheibe zerfällt z.B. selbst nach heftigen Kollisionen nicht in ihre Einzelteile und auch die Karosserie steckt viele starke Einschläge überraschend gut weg. Insbesondere beim Kartfahren fällt das Schadensmodell viel zu sensibel aus: Hier reichen teilweise schon kleinste Berührungen mit anderen Karts oder das Streifen von Pylonen am Streckenrand aus, um sich eine schwere Beschädigung einzufangen. Man kann es auch übertreiben...
Da es keine Rückspulfunktion gibt, bleibt nach fatalen Unfällen oft nur die vorzeitige Aufgabe oder ein Neustart. Bei letzterer Wahl wird man allerdings über den nächsten Bug stolpern, denn bei einem Neustart werden zwar die mechanischen Schäden,
Die Physik und das Fahrgefühl sind die große Stärke von Project Cars 2.
nicht aber die visuelle Darstellung zurückgesetzt. Das ist vor allem dann suboptimal, wenn man bei der Rückkehr ins Cockpit erneut hinter einer komplett zersplitterten Frontscheibe sitzt und kaum etwas erkennen kann.
Ein traumhaftes Fahrgefühl
Project Cars 2 ist in seinem jetzigen Zustand weit von der angestrebten Perfektion entfernt und muss zurecht viel Kritik einstecken. Aber die Simulation überzeugt dort, worauf es in erster Linie ankommt: Die Fahrphysik ist der absolute Hammer, das Gefühl hinter dem Steuer ein Traum! Selten habe ich mich in einer Rennsimulation so wohl und gleichzeitig so gefordert gefühlt wie hier. Das neue Reifenmodell ist großartig und man spürt, wie die Pneus mit steigender Betriebstemperatur an Bodenhaftung gewinnen und sich nach ein paar Runden zunehmend abnutzen. Lastwechsel werden überzeugend eingefangen und nach etwas Eingewöhnungszeit lernt man, die einzelnen Modelle mit ihrem individuellen Fahrverhalten immer besser einzuschätzen und sich vorsichtig ans Limit heran zu tasten. Im Gegensatz zum Vorgänger werden jetzt selbst kleine Bodenwellen viel überzeugender vom Fahrwerk erfasst und die Unterschiede zwischen den Modellen sind teilweise gravierend. Ein verhältnismäßig stark motorisiertes Leichtgewicht wie der BAC Mono erfordert z.B. extrem viel Gefühl am Gaspedal und reagiert äußerst sensibel auf harsche Lenkbewegungen oder Unebenheiten, während ein Le-Mans-Prototyp dank seiner ausgefeilten Aerodynamik regelrecht am Asphalt klebt.
Mangels Lizenz kommen in vielen Formel-Serien fiktive Modelle zum Einsatz.
Schön auch, wie sich die wechselnden Witterungsbedingungen auf das Fahrverhalten und insbesondere die Bodenhaftung auswirken. Mit zunehmender Nässe lässt das Grip-Niveau der Pneus spürbar nach. Rast man bei seiner Fahrt durch die aufgewirbelte Gischt mit ihren feinen Partikeleffekten durch eine der dynamisch gebildeten Pfützen, macht man außerdem die fatale Bekanntschaft mit Aquaplaning und verliert die Kontrolle. Zwar neigen die Boliden auch ohne Wetterkapriolen generell recht stark zum Rutschen auf der Hinterachse und damit zum Übersteuern, aber man schafft es häufig, ein gutes Gefühl für den Grenzbereich entwickeln und das ausbrechende Heck noch rechtzeitig abfangen. Diese Fähigkeit ist besonders bei den neuen Rallycross-Events gefragt, wenn man auf den staubigen Pisten möglichst kontrolliert durch die Kurven driftet und völlig neue Anforderungen an den Fahrer gestellt werden als auf den gewohnten Asphalt-Strecken. Schade, dass es nicht auch klassische Rallye-Veranstaltungen im Stil der WRC gibt.