Das Absuchen von Tatorten? Man fährt mit dem Cursor so lange umher, bis man einen Beweis anklicken kann. Das Erkunden per Drohne? Man fliegt so lange umher, bis man eine gesuchte Person anklicken kann. Das Aufnehmen von Fotos? Man drückt auf den Auslöser, sobald alle gesuchten Elemente im Bild sind. Die werden in einer Liste am Rand gut sichtbar abgehakt. Das Befragen von Informanten oder Verdächtigen? Man klickt so lange Dialogoptionen an, bis es weitergeht. Anschließend klickt man die restlichen Dialogoptionen durch. Ach, und Verkleidungen? Darf man ausschließlich an dafür vorgesehenen Stellen anlegen – gerne einen halben Meter vor den Personen, von denen man nicht erkannt werden darf.
Macht euch keine Illusionen: Dass Jugdment nicht mit dem Entwicklungsaufwand gestemmt wurde, der einem
Assassin's Creed oder
Grand Theft Auto entspricht, merkt man ihm genauso an wie allen anderen Yakuza-Episoden. Das werfe ich ihm auch gar nicht vor. Aber es wirkt sich nun mal aufs Spielgefühl aus; diese altmodische Starrheit, die auf dynamisch ineinandergreifende Systeme weitgehend verzichtet und stattdessen ein Hingehen-und-Anklicken fordert – oft innerhalb eines eng abgesperrten Areals.
Mit der Schultertaste durch die Stadt
Und hatte ich geschrieben, dass Takayuki Schlägereien aus dem Weg geht? Er betont das häufig, ist genervt, wenn es nicht klappt oder froh darüber, dass ihm sein Partner Masaharu Kaito oder andere Begleiter häufig zur Seite stehen. Nur ist das lediglich eine Fassade, die in zahlreichen Filmszenen aufgebaut wird. Tatsächlich prügelt sich der Detektiv genau wie Mr. Kiryu durch praktisch jeden Konflikt. Extrem selten kann er durch die Auswahl der richtigen Dialogoption mal einen Kampf verhindern. Schon beim gemütlichen Flanieren wollen ihm dermaßen viele Ganoven an den Kragen, dass ich Judgment seine bemühte Eigenständigkeit nie abgenommen habe.
Deutsch oder Englisch?
Nur dem allerersten Yakuza ließ Sega einst eine englische Synchronisation und auch deutsche Untertitel - Judgment ist der erste Ableger, der auf die gleiche Weise lokalisiert wurde.
Mit den englischen Sprechern beweist Sega dabei ein gutes Gefühl: Sie fangen den Tonfall des Originals weitgehend überzeugend ein.
O-Ton-Fans müssen aber nicht verzichten, denn die japanische Sprachausgabe ist enthalten.
Denkt euch ein paar technische Schwächen hinzu, darunter plötzlich verschwindende Personen oder Sammelgegenstände, wenn das Programm vom freien Spiel in eine Dialogszene bzw. zurück wechselt – und stellt euch vor, dass nicht alle Dialoge vertont wurden, Passanten Sprechblasen über den Köpfen tragen, die Verabschiedung beim Verlassen eines Lokals oder Geschäfts als Dialog bestätigt werden muss sowie andere sperrige Reliquien, die Yakuza 6 eigentlich längst ad acta gelegt und u.a. deshalb eine so vereinnahmende Welt erschaffen hatte. Beim gemütlichen Erleben stört nicht zuletzt, dass man durchgehend L2 gedrückt halten muss, damit die Kamera nicht extrem schnell in Takayukis Blickrichtung zurück schwenkt. Warum gibt es dafür in den zwei Jahre später veröffentlichten Umsetzungen noch immer keine Einstellungsmöglichkeit? Wenn mich eine Kulisse so fasziniert wie Kamurocho, schaue ich fast nie strikt geradeaus!
Im Gegenzug läuft Judgment auf Xbox Series und PlayStation 5 dafür mit 60 Bildern pro Sekunde, also der doppelten Bildrate im Vergleich zum PS4-Original, was dem Erlebnis guttut. Yakuza ist keine Serie, die dringend mehr als 30 Sekundenbilder verlangt, trotzdem ist der flüssigere Ablauf spätestens beim Kämpfen natürlich ausgesprochen angenehm. Schade ist nur, dass Spielstände nicht von PS4 übertragen werden können.
Multiple-Choice ohne Konsequenz?
Eine Wahl hat man selten, denn die meisten Auseinandersetzungen laufen auf "Lösung durch Prügeln" hinaus.
So richtig modern, wirklich lebendig und spielerisch überraschend ist Judgment aber auch auf den aktuellen Plattformen eben nicht. Und trotzdem holen die Entwickler unter Yakuza-Schöpfer Toshihiro Nagoshi viel Gutes aus ihrem sowohl technisch als auch inhaltlich beschränkten Fundament heraus. Und das liegt trotz des Ärgers über den überschaubaren Umfang des Detektivspiels auch an diesem selbst. Zum einen ist es selbstverständlich angenehm, dass die bekannte Schleife aus hingehen, Unterhaltung ansehen und prügeln durch andere Tätigkeiten aufgelockert bzw. erweitert wird. Zum anderen sind die Ermittlungen nicht durchgehend so geradlinig wie ich zuvor Extremfälle beschrieben habe. Immerhin gehört zumindest beim Knacken von Schlössern, also dem vorsichtigen Bewegen der Analogsticks, eine Portion Geschick dazu, die man unter Zeitdruck erst mal aufbringen muss.
In manchen Unterhaltungen sollte man zudem für den jeweiligen Fall relevante Namen oder Ereignisse parat haben, um wichtige Fragen zu stellen oder richtige Antworten zu geben. Überhaupt spielen Multiple-Choice-Gespräche eine relativ große Rolle, weil es nicht nur in Ermittlungen, sondern auch beim Flirten mit potentiellen Freundinnen sowie in anderen Situationen auf das Gesagte ankommt. Nun ist Judgment kein erzähllastiges Rollenspiel; meist gelangt man über das sture Anklicken aller Optionen schon zum Ziel. Manchmal führt genau das aber zum Game Over und fast immer gibt es für das frühe Anwählen relevanter Aussagen zusätzliche Erfahrungspunkte.
Verzweigte Handlungsfäden spinnt Jugdment nicht. Es gibt nur Einbahnstraßen mit Belohnungen und Straßensperren. Im Kleinen tut es aber tatsächlich gut, wenn man sich im entscheidenden Moment an einen ausschlaggebenden Hinweis erinnert, ohne dass das Spiel dabei hilft, oder in Befragungen noch einmal die Fakten durchgeht, um gleich beim ersten Mal eine gesuchte Antwort zu finden.