Test: Dragon Age: Origins (Rollenspiel)

von Jörg Luibl



Entwickler:
Publisher: Electronic Arts
Release:
05.11.2009
10.11.2009
19.11.2009
Jetzt kaufen
ab 1,00€
Spielinfo Bilder Videos
Adel oder Abschaum

Dieser Zwerg sieht nicht nur irre aus - er ist es auch. Wer ins Zwergenreich Orzammar reist, wird ihn kennen lernen...
Die Verteilung von Punkten auf sechs Attribute wie Stärke, Geschicklichkeit, Klugheit & Co ist ja nur der klassische Anfang. Nicht nur der Startort, die Story und die Herausforderungen ändern sich, wenn ich mich als Mensch, Zwerg oder Elf für eine Karriere als Kämpfer, Magier oder Schurke entscheide, auch die gesellschaftliche Perspektive: Ich kann als wohl geborener Adeliger oder als Abschaum aus der Unterschicht inklusive Hass auf "die da oben" loslegen. Man kann sich so richtig als Malocher oder Snob ausleben.

Später löst diese Herkunft genau so viele Reaktionen hervor wie das eigene Geschlecht - ich werde als Elf angepöbelt, als Frau angemacht, als Magier angefeindet. Man wird herum geschubst oder verflucht. Und in einer Szene müssen Zwerge, ich spiel sie ja so gerne die Durins, Dvalins und Regins, besonders stark sein. Da sagt so ein Rotzlöffel von Menschenjunge doch in etwa: "Mama, wer ist das da? Ich erkenne ihn so schlecht..."

Man kann den Bengel übrigens auf verschiedene Arten töten, was ich BioWare ganz hoch anrechne - das dürfte auch in Australien keinen Ärger geben, denn er ist im strengen Sinne kein Zivilist. Auch innerhalb der Gruppe gibt es Reibereien: Zu Beginn ist man noch alleine unterwegs, aber es gesellen sich im Laufe des Abenteuers bis zu neun skurrile Gefährten mit Vorlieben und Abneigungen hinzu, von denen man drei mitnehmen kann. Und diese Gefährten haben es in sich: BioWare hat nicht nur unheimlich gute Biografien erstellt, sondern hervorragende Dialoge - ein Gespräch im Spiel ist schon wesentlich unterhaltsamer als hundert Seiten im oben erwähnten Buch (dann reichen rein mathematisch übrigens fünf Gespräche in Dragon Age, um der gedruckten Literatur von Panini Paroli zu bieten). Ach ja: Wer sich als Waldläufer spezialisiert, kann auch wilde Tiere herbei rufen.

Erwachsene Fantasy

Der Gesichtseditor ermöglicht Anpassungen von der Haarfarbe bis zur Nasenbreite - nur an der Statur könnt ihr nichts ändern.
Und wo die ausgefeilte Charaktererschaffung mit ihren Attributen, Fähigkeiten sowie Talenten nostalgische Erinnerungen an Bard's Tale, & Co wach ruft, wirkt die Spielwelt gleichzeitig angenehm modern: Ich werde nicht durch Märchenfolklore oder Kinderfantasy à la Drakensang geschleift, nicht zum hundertsten Mal durch die überlaufenen D&D-Reiche, sondern in eine knallharte und erwachsene Welt entführt, die BioWare als "dark heroic fantasy" bezeichnet - und das passt. Man trifft auf Magier und Hexen, Templer und Werwölfe, Oger und Dämonen, Spinnen und Drachen. Es entsteht nicht unbedingt ein kreativer, aber ein vielfältiger Kreaturenmix.

Schon The Witcher hat mich sehr gut unterhalten, weil es sich zwar bekannter Traditionen bediente, aber die Welt erwachsener und kerniger darstellte. Auch in Ferelden herrschen Verrat und Intrigen, es gibt Ghettos und soziale Konflikte, Homos und Heteros, Liebe und Sex, hier rollen Köpfe und vor allen Dingen spritzt Blut. Der rote Lebenssaft fließt wie ein Leitmotiv durch dieses Dragon Age. Was zu Beginn noch etwas aufgesetzt, ja fast albern wirkt, wenn Helden von Kopf bis Fuß besprenkelt werden, sorgt später nach langen Kämpfen für martialische Freude im Abschluss. Wenn drei von vier Gefährten gefallen sind, wenn man zwanzig Feinde bis auf einen unter Nutzung aller Heiltränke, Zauber und Bomben endlich aufgerieben hat,  dann denkt man sich nur noch: Zieh deinen Bidenhänder durch, Sten - ich will die Klinge schmatzen hören! Wer die Flecken auf Rüstung und Gesicht nicht mag, kann das ja auch abschalten. Aber dann kann der treue Kampfhund das Blut wiederum nicht ablecken...

Distanzierter Einstieg

Die Orks...ähm...die dunkle Brut: Grenlocks und Hurlocks könnten auch in Peter Jacksons Ringverfilmung marschieren - das Artdesign des Spiels orientiert sich stark daran.
Aber spritzendes Blut, mögliche Romanzen und intensive Schwertkämpfe alleine lösen noch keinen Jubel aus. In den ersten drei bis fünf Stunden ist das Abenteuer auch nicht der hochprozentige Selbstläufer, den ich von BioWare erwartet hatte - nach der Vorschau gab es "nur" eine gute Einschätzung.

Warum? Ich wurde an enger Leine geführt, die Kämpfe waren zu einfach, es gab unsichtbare Grenzen statt freier Welt, die Kulisse enttäuschte selbst in diesen kleinen Bereichen mit ihrer kargen Landschaft und den matschigen Texturen, es gab harte Brüche zwischen konturlosen Waffen und ausdrucksstarker Mimik. Im Auswahlmenü sehen die Gefährten in ihrem Leder, den Kettenrüstungen und Umhängen noch klasse aus, aber in der Spielwelt bewegen sie sich auch später über konturlose Böden und statisches Gras. Wer à la The Elder Scrolls IV: Oblivion in tiefe Wälder oder à la Risen in exotische Landschaften abtauchen will, liegt hier falsch. Das ist keine offene Welt, das ist kein Fantasytourismus mit Sightseeing. Die Technik der Eclipse-Engine ist trotz der modularen Gebiete alles andere als begeisternd und bietet selbst in ihren besten Momenten höchstens so solide Ausblicke wie in einem gewöhnlichen Online-Rollenspiel auf mittleren Details. Ist es komisch oder ein Armutszeugnis, dass die netzgebundenen Guild Wars und Aions  deutlich besser aussehen als ihre Offline-Brüder?

Obwohl sich BioWare beim üblichen Bestiarium der Fantasy bedient, setzen die Kanadier auch genug eigene Akzente.
Und viele Elemente dieser Fantasywelt wirken zunächst wie ein Abklatsch aus Peter Jacksons Filmversion von Mittelerde: Grenlocks und Hurlocks zeigen nahezu identische Fratzen wie Orks und Uruk-hai, die erste große Schlacht erinnert frappierend an Helms Klamm, hinzu kommen die altnordisch bzw. keltisch anmutenden Namen und Titel wie Arl Eamon oder Mac Tir. Das muss per se noch nichts Schlechtes sein, denn auch große Visionäre und Schöpfer der Fantasy bedienten sich immer an vorhandenen Traditionen, griffen sie auf und führten sie weiter. Es gäbe kein Mittelerde ohne die Edda. Aber hat BioWare zu wenig Eigenes angepflanzt, zu viel Tolkien hinein gepanscht? Schließlich kommt einem auch die Hauptquest bekannt vor: Ziel ist es, eine schlagkräftige Allianz aus Zwergen, Elfen und Menschen zu schmieden, um der dunklen Brut, also den Orks, entgegen zu treten. Es fehlt eigentlich nur noch Sauron. Und ein Ring. Nein, besonders kreativ ist das alles auf den ersten Blick nicht. Nein, das Spiel müsste sich schon enorm steigern, um diese Motivationsbremsen zu lockern. Kann BioWare auf lange Sicht die Kurve kriegen? Vielleicht ist Dragon Age ja ein Spätzünder? Auch Tolkien hat bekanntlich ein paar hundert Seiten Anlauf gebraucht, bevor der Lektürefunke übersprang. Aber dann brannte es lichterloh bis Mordor...                    

Kommentare

WOOM schrieb am
Habe es gerade als PS+ bekommen und ausprobiert. Hat mich gleich gefesselt! Obwohl das Kampfsystem mich nicht anspricht.
FuerstderSchatten schrieb am
RIP Gracjanski, du warst mir wirklich der liebste der Frauenhasser hier, kein Thema um deine ultrakonservativen an den Salafisten (die du vermutlich seltsamerweise verabscheust) grenzenden Meinung herauszuposaunen, hast du ausgelassen. Du wirst mir fehlen, irgendwie.
Die ersten Beiträge des langjährigen und auch verdienten 4Players Veteran, die noch wie erste tapsige Gehversuche anmuten zu lesen, ist lohnenswert. Der spätere selbsternannte RPG Oldschool Guru, der BG 2 verehrte, nennt Vampire the Masquerade langweilig und hätte den Preis fürs beste RPG 2004 lieber Everquest 2 gegeben. Far Cry 1statt Half Life 2 sollte seiner Meinung nach Spiel des Jahres 2004 sein. Wie man daran sehen kann: Ja seine Expertise wird hier fehlen. Von seinem späteren Hass auf Schwule und Frauen ist in diesen noch unschuldigeren Tagen noch nichts zu lesen. Zum Glück! Im Geheimen (also hier in einer seiner Posts) gab er mir zu verstehen, dass ich noch zu jung um zu begreifen, was Frauen den Männern alles antuen und das sie Luzifer persönlich seien. Oder so ähnlich jedenfalls. Vermutlich eine postraumatische Störung.
Sorry Leute, der Nachruf musste sein. Katta fehlt übrigens auch, kann keiner eine Petition einreichen oder so?
Achja fast vergessen, das hier ist nur für dich: "Nur die besten sterben jung, du warst der beste." Sayonara, alter Freund.
-=Ramirez=- schrieb am
Gib es noch bis zum 14. Oktober 2014 KOSTENLOS auf Origin
gracjanski schrieb am
Das Game ist wirklich top. Und mit den Mods wird es fast perfekt. Fehlt nur eine Log um Kämpfe nachzuvollziehen. Habe vorgestern durch, dann noch alle Origins gemacht und das DLC Hexenjagd. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich echt das Game zum zweiten mal spielen, denn Ideen hätte ich viele, aber nun reicht es. Ich glaube, ich habe 160-190 Stunden mit dem Game verbracht, nur Baldurs Gate 2, Morrowind und Everquest 2 haben mich länger gefesselt.
Awakening habe ich aber nicht angefasst, soll nicht sooo super genial sein. Habe eh genug das Gameplay genossen, nun sollte ich mal was anderes machen.
Dzharek schrieb am
Ich muss mich langsam aufraffen mit meinem Zwergenkrieger das Spiel zum 2. mal durchzuspielen, dann kann ich endlich Awakening anfangen. Teil 2 werde ich wohl etwas auf die lange Bank schieben, die demo war zwar nett, aber nichts was ich sofort haben müsste.
schrieb am