Test: Dragon Age: Origins (Rollenspiel)

von Jörg Luibl



Entwickler:
Publisher: Electronic Arts
Release:
05.11.2009
10.11.2009
19.11.2009
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Verloren in Ferelden

Die Weltkarte bietet euch freie Routenwahl: Wohin soll es gehen? Im Laufe des Abenteuers öffnen sich immer mehr Orte...
Wenn man den linearen Einstieg hinter sich hat, dann öffnet sich irgendwann die Karte. Das ist ein erster magischer Moment, der für ein angenehmes Kribbeln sorgt: Denn ich bekomme zum ersten Mal ein Gespür für die Größe und Offenheit der Welt, ich darf zum ersten Mal in das Lager, um mich dort um meine Gefährten zu kümmern und sie auszurüsten, ich erfahre zum ersten Mal etwas über die Beziehungen. Und ab hier gibt es kein Zurück mehr, ab hier werde ich trotz der technischen Schwächen zum Vampir und will die Allianz schmieden, um die dunkle Brut abzuwehren. Und das soll ich in der Rolle eines "grauen Wächters" erreichen - einer verschworenen Elite, die diesen Feind schon vor Jahrhunderten besiegte, aber dann in Vergessenheit geriet.

Aber das ist leichter gesagt als getan, denn nicht nur innerhalb der menschlichen Fraktionen herrscht Zwist - die Elfen haben Probleme mit Werwölfen, die Zwerge streiten um die Thronfolge und die Magier sind nicht mehr Herr im eigenen Turm. Wohin soll ich als Erstes gehen? Nach Redcliffe, um Arl Eamon zu überzeugen? Zum Turm, wo es angeblich ein Massaker gab? Egal für welche Seite man sich entscheidet: Es wird anspruchsvoll, dramatisch und knifflig. Man gelangt an Wendepunkte, die der Party und dem eigenen Gewissen alles abverlangen. Und man hat das schöne Gefühl, dass man nicht gehetzt wird, sondern im Zweifelsfall erstmal fünf Dämonen gerade sein lassen kann, um sich leichteren Aufgaben wie vermissten Verwandten, marodierenden Söldnern oder lukrativen Drogendeals mit dem magischen Stoff Lyrium zu widmen.

Rüstungs-Sets und Waffenboni

Die Templer treten in schwerer Plattenrüstung samt Topfhelm auf.
Oder vielleicht erstmal ganz klein anfangen und die Ausrüstung auf Vordermann bringen? Schließlich gibt es Boni, wenn ich Stiefel, Rüstung und Handschuhe aus identischem Material anlege - und ich kann ja jeden Charakter einzeln ausstatten. Wie viel da auf Tüftler und Sammler wartet: Eisen, Stahl, roter Stahl, Eisenborke, Eibe, Weißborke etc. Außerdem kann ich Gifte aus zig Kräutern brauen, fiese Fallen entwerfen und die Waffen mit Runen aufwerten - was es alles gibt: Verlangsamungen, zusätzlichen Feuer-, Elektro-, Natur- oder Eisschaden, Mittel gegen Untote und die dunkle Brut. In Sachen Waffenvielfalt kommt man fast auf Walmart-Niveau! Habe ich die Ringe und Amulette erwähnt, mit denen man taktisch klug Defizite in Stärke oder Klugheit ausgleichen kann? Wenn ich diesen schönen Dolch benutzen will, dann brauche ich noch einen Punkt Geschicklichkeit, also lege ich den Ring an, damit...

Der Rücken knarzt. Die Familie flucht. Die Texturen sind vergessen. Und dieses Abenteuer saugt weiter so gnadenlos an meiner Lebenszeit, dass mich der goldene Herbst da draußen nicht interessiert. Nur das virtuelle Ferelden zieht mich magisch an, lässt mich immer wieder nachladen, klicken, kämpfen, reden, rauben, retten, rächen, schlichten, sammeln, versprechen, brechen, grübeln. Ich versinke für Tage blass und brütend in wirren Gedanken: Töte ich das Schwein, das mich umbringen sollte? Soll ich das Schwert aus rotem Stahl oder den Zwergenstreithammer benutzen? Ist Sten wirklich ein Massenmörder? Freut sich Morrigan über ein Diadem? Die Geschicklichkeit oder besser die Klugheit aufwerten? Was bringt mir der Hund wohl diesmal zurück, wenn ich ihn suchen lasse? Lieber brachiale Zweihandwaffen trainieren oder den betäubenden Schildeinsatz? Als nächstes nach Redcliffe, in den Brecilianwald, in das Frostgebirge, zum Calenhadsee oder wieder in die Hauptstadt zurück? Ist die Urne mit der heiligen Asche nur eine Legende? Gibt es Drachen? Kann ich die dunkle Brut aufhalten? Wie spät ist es überhaupt?

Der Geist von Baldur's Gate

Ein Massenmörder im Käfig? Ihr könnt diesen Riesen vom Volk der Qunari befreien und als Gefährten begrüßen.
Egal ob Charakterentwicklung, Party-Management, Reiseroute, Story oder Politik: Alles ist offen. Viel offener als etwa in Mass Effect oder irgendeinem anderen aktuellen Rollenspiel. Also gibt es Fragen über Fragen. Und es ist immer ein sehr gutes Zeichen, wenn man ähnlich wie in Fallout 3 selbst nach dreißig oder vierzig Stunden über die nächsten Schritte nachdenkt, wenn man die Pausetaste drückt, sich seufzend zurücklehnt und darüber grübelt, welche Konsequenzen die eigenen Aktionen nach sich ziehen könnten. Denn alles hat in Dragon Age seinen Preis. Und das macht es so wertvoll. Ich fühle mich wie ein Junkie auf Fantasy, den Kopf voller Gespenster aus einem nostalgischen Früher: Die Qual der Wahl der Gefährten, die köstlichen Zickereien innerhalb der Party, die schrägen Charaktere. Wer vor einem Jahrzehnt mit BioWares D&D-Epos seine langen Tage und angenehmen Nächte verbrachte, wird hier alte Helden wie Minsc, Khalid & Co in modernem Gewand spuken sehen. Kann man also den Geist der Baldur's Gate-Reihe beschwören? Oh ja. Die Kanadier haben Wort gehalten.

Was mich sofort an ihren Klassiker erinnert hat, ist auch die lebendige Geräuschkulisse in den Siedlungen: Man hört Gesprächsfetzen und das Hallen von Alltagsarbeit. Meist ist es so, dass man dann nur mit den Leuten sprechen kann, die als Hauptfiguren mit einem Namen gekennzeichnet sind und Quests anbieten. Aber BioWare überrascht auch hier: Selbst
In der Parallelwelt des Nichts erlebt man eine der besten Quests und trifft auf den Dämon der Wollust...
Nebenfiguren, die z.B. nur als "Flüchtling" oder "Minenarbeiter" auftauchen, geben erstens immer individuelle Kommentare ab, wenn man sie anklickt, und zweitens können auch sie sich, wenn auch nur selten, als Questgeber entpuppen. Das sorgt dafür, dass man diese Leute nicht einfach umgeht, sondern dass sie als Teil der Spielwelt wahrgenommen und beachtet werden.

Und sie setzen hinsichtlich der Partyinteraktion sogar noch eins drauf, denn nicht nur die hervorragenden deutschen (!) Dialoge, die fast durch die Bank mit  emotionalen Sprechern glänzen, gehören zu den Highlights des Spiels: Es gibt eine Szene (hier im Video), in der ein von einem Dämon besessener Junge vor den Gefährten spricht, die schauspielerisch hervorragend inszeniert wird - da passen Mimik und vor allem die Stimmlage zu jeder Textzeile; das ist ein großer Moment. Wenn die skrupellose Hexe Morrigan auf die gutmütige Magierin Wynne trifft, dann rappelt es auch im kleinen moralischen Karton - Egoismus gegen Aufopferung, Darwinismus gegen Nächstenliebe. In seiner Ansprache ist dieses Dragon Age wesentlich vielfältiger als seine Ahnen. Es geht je nach Herkunft und Charakter des Gesprächspartners mal pathetisch, naiv, arrogant oder derb zur Sache: "Muss ich dir auch sagen, dass du dir nach dem Scheißen den Arsch abwischen musst?" Es gibt Angeber und Aufschneider, Träumer und Tyrannen. Ist das also doch der große Wurf des Rollenspielgenres?                

Kommentare

WOOM schrieb am
Habe es gerade als PS+ bekommen und ausprobiert. Hat mich gleich gefesselt! Obwohl das Kampfsystem mich nicht anspricht.
FuerstderSchatten schrieb am
RIP Gracjanski, du warst mir wirklich der liebste der Frauenhasser hier, kein Thema um deine ultrakonservativen an den Salafisten (die du vermutlich seltsamerweise verabscheust) grenzenden Meinung herauszuposaunen, hast du ausgelassen. Du wirst mir fehlen, irgendwie.
Die ersten Beiträge des langjährigen und auch verdienten 4Players Veteran, die noch wie erste tapsige Gehversuche anmuten zu lesen, ist lohnenswert. Der spätere selbsternannte RPG Oldschool Guru, der BG 2 verehrte, nennt Vampire the Masquerade langweilig und hätte den Preis fürs beste RPG 2004 lieber Everquest 2 gegeben. Far Cry 1statt Half Life 2 sollte seiner Meinung nach Spiel des Jahres 2004 sein. Wie man daran sehen kann: Ja seine Expertise wird hier fehlen. Von seinem späteren Hass auf Schwule und Frauen ist in diesen noch unschuldigeren Tagen noch nichts zu lesen. Zum Glück! Im Geheimen (also hier in einer seiner Posts) gab er mir zu verstehen, dass ich noch zu jung um zu begreifen, was Frauen den Männern alles antuen und das sie Luzifer persönlich seien. Oder so ähnlich jedenfalls. Vermutlich eine postraumatische Störung.
Sorry Leute, der Nachruf musste sein. Katta fehlt übrigens auch, kann keiner eine Petition einreichen oder so?
Achja fast vergessen, das hier ist nur für dich: "Nur die besten sterben jung, du warst der beste." Sayonara, alter Freund.
-=Ramirez=- schrieb am
Gib es noch bis zum 14. Oktober 2014 KOSTENLOS auf Origin
gracjanski schrieb am
Das Game ist wirklich top. Und mit den Mods wird es fast perfekt. Fehlt nur eine Log um Kämpfe nachzuvollziehen. Habe vorgestern durch, dann noch alle Origins gemacht und das DLC Hexenjagd. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich echt das Game zum zweiten mal spielen, denn Ideen hätte ich viele, aber nun reicht es. Ich glaube, ich habe 160-190 Stunden mit dem Game verbracht, nur Baldurs Gate 2, Morrowind und Everquest 2 haben mich länger gefesselt.
Awakening habe ich aber nicht angefasst, soll nicht sooo super genial sein. Habe eh genug das Gameplay genossen, nun sollte ich mal was anderes machen.
Dzharek schrieb am
Ich muss mich langsam aufraffen mit meinem Zwergenkrieger das Spiel zum 2. mal durchzuspielen, dann kann ich endlich Awakening anfangen. Teil 2 werde ich wohl etwas auf die lange Bank schieben, die demo war zwar nett, aber nichts was ich sofort haben müsste.
schrieb am