Die Leichenfledderer sind zurück
Konsolen-Besitzer müssen noch unbestimmte Zeit auf die Neuauflage warten (PS4, Switch und Xbox One), aber auf dem PC bietet sie schon jetzt eine leichte optische Überarbeitung und auch inhaltliche Extras. Auf Käufer warten u.a. zusätzliche Musik vom Original-Komponisten Tim Haywood, neue Soundeffekte und Dialoge. Diese Änderung fällt im Direktvergleich am stärksten auf, da alles deutlich klarer und basslastiger klingt als früher auf PC, Dreamcast, PlayStation oder gar der Modul-Konsole N64. Das erstreckt sich glücklicherweise auch auf die Aufnahmen namhafter Sprecher wie Tommi Piper (Alf), der hier die alberne Schlange Jauntie vertont. Ebenfalls dabei sind eine 4K-Unterstützung (Breitbild-Format) und HDR, was ich aufgrund eines defekten HDMI-2.1-Kabels zum TV derzeit leider nicht überprüfen konnte. Die Ankündigung protzt zudem mit dynamischem Schatten-Mapping, dynamischer Beleuchtung pro Pixel, diversen Post-Processing-Effekten wie Anti-Aliasing und einer höhere Dichte der Partikeleffekte (vieles davon lässt sich übrigens für ein originalgetreueres Erlebnis deaktivieren).
Somit liegt die visuelle Qualität zwar weit vor dem Original (
hier ein Vergleichsvideo zur Dreamcast-Fassung), trotzdem sieht das Ergebnis noch schrecklich altbacken aus. Vor allem die arg kantige Geometrie mit gefühlt fünf Polygonen pro geballter Faust sorgt hier schon im Intro für unfreiwillige Lacher. Wenn sich auf dem Mund von Jack the Ripper die aufgemalte Mund-Textur bewegt, erinnert mich das unweigerlich ans Puppentheater, den Youtube-Kanal Surreal Entertainment oder erste Gehversuche in Animations-Programmen. Erstaunlich, wie viel sich seitdem bei der Inszenierung von Videospielen getan hat. Wirklich ernst nehmen konnte ich die theatralischen Monologe von Michael LeRoi (Mike) nicht – und auch nicht die Auftritte von "Legions" Massenmördern. Der ultimative Bösewicht und seine Gehilfen wollen mit Hilfe dunkler Seelen und einer fiesen Maschine im Reich der Toten eine apokalyptische Invasion im Reich der Lebenden heraufbeschwören. Doch Mikes Voodoo-Freundin Nettie hat ihm netterweise eine Schattenmaske mit übermenschlichen Kräften eingepflanzt.
Noch holpriger als früher?
Nicht nur bei From Software machen dunkle Seelen schnell abhängig...
Die Suche nach den dunklen Seelen präsentiert sich in Form eines Action-Adventures, welches im Wesentlichen Elemente eines 3D-Plattformers mit denen eines Shooters vermischt. Mit dem Teddy seines verstorbenen Bruders vermag Mike jederzeit zwischen den Reichen der Lebenden und Toten zu wechseln. Er hüpft und klettert durch die Einöde, durch rotierende Beile und diabolische Folter-Konstruktionen, taucht durch Blutseen, öffnet Sargtore und schießt auf allerlei gequälte Horrorwesen. Nach und nach kommen neue Kräfte und Waffen wie eine Schrotflinte oder im Jenseits aufladbare Schüsse hinzu, zumal verstreute „Cadeaux“ (zu Deutsch: Geschenke) zusätzlich den Sammeltrieb anfachen. Nach wie vor kann das Erkennen von versteckten Objekten, Tor-Schaltern und dergleichen ganz schön knifflig werden. Aufgeweckte Spieler sollten also genügend Zeit und Geduld mitbringen, um sich durchzubeißen. Hier wird man schließlich noch nicht mit Karten oder Markern an die Hand genommen.
Da Shadow Man noch vor der Halo-Ära startete, gab es seinerzeit in der von mir gespielten N64-Fassung noch keine moderne Zweistick-Steuerung. Und selbst im Jahr 2000 kam mir die Handhabung etwas hölzern vor. Wer im Menü zur Original-Steuerung umschaltet, dürfte schnell bemerkten, dass das Problem ganz und gar nicht kleiner geworden ist: Dann zielt der Held einfach in die Laufrichtung – quasi wie ein bewaffnetes Fahrzeug. Glücklicherweise haben die Nightdive Studios eine etwas zeitgemäßere Kamera-Bewegung per rechtem Stick implementiert, die einem das Leben spürbar erleichtert. Auch viele andere altbackene Eigenheiten sorgen zu Beginn für Verwirrung, z.B. die umständliche Inventarbelegung beim Klettern am Seil, fehlende visuelle Hinweise auf wichtige bedienbare Schalter, Mikes seltsames Abbremsen bei seitlichen Bewegungen oder Sprüngen. Oder um es auf den Punkt zu bringen: Trotz kleiner willkommener Änderungen fühlt sich fast jede Bewegung ein wenig hölzern an – vor allem das Tauchen mit sehr knappem Luftvorrat. Speichert also möglichst oft manuell ab, statt euch auf Speicherpunkte zu verlassen!
Verzauberte Stimmung
In den verwinkelten Levels empfiehlt es sich, die Augen nach versteckten Durchgängen, Schaltern und Seilen offen zu halten.
Nicht einmal Maus-Nutzer sind aus dem Schneider: Wirklich gezielt wird hier nur im Stehen beim Heranzoomen - z.B. wenn die entfernte Höllenbrut, flatternde Flederzombies oder untote Piranhas anvisiert werden müssen. In der Schulterkamera beim Laufen dagegen bewege ich die Schussrichtung nur grob nach links und rechts und das Auto-Aim erledigt den Rest – also ähnlich wie in frühen Shootern wie Doom. Die Ähnlichkeit der sich wiederholenden Hintergründe hat mich oft in die Irre geführt, zumal nach einer Teddy-Reise auch noch alle Gegner erneut auftauchen. So sehr alles „Holprige“ und Altbackene zu Beginn auch abschreckt - im Laufe des Spiels empfand ich vieles davon doch noch als Teil der Herausforderung. Irgendwann hatte ich mich einigermaßen darauf eingestellt und empfand fast schon Spaß daran, den Schattenmann erst einmal akribisch auszurichten, um danach einen Sprung erfolgreich zu meistern.
Das Gefühl lässt sich vielleicht mit einer Retro-Session mit dem guten alten
Tomb Raider vergleichen. Irgendwann sorgte die Gewöhnung dafür, dass ich doch noch eingelullt wurde und durchaus Lust dazu bekam, die finstere Welt weiter zu erkunden. Ein Hauptgrund dafür dürfte die einzigartige, düstere Stimmung sein, die trotz aller Ecken und Kanten nach wie vor für Faszination sorgt. Irgendwann war ich einfach wieder drin in der Welt und sah mich gedanklich in der schummrig beleuchteten Studentenbude vorm Nintendo 64 sitzen. Die vom Spiel unterstützte Speichererweiterung fürs N64 erhöhte übrigens schon damals ein wenig die Texturqualität. An ein paar inhaltliche Änderungen gegenüber dem alten Erlebnis haben die Entwickler im Remaster ebenfalls gedacht: Die neue PC-Veröffentlichung umfasst u.a. drei damals gestrichene Levels wie Summer Camp in Florida (Tag & Nacht), Salvage Yard im Mojave Desert (Tag & Nacht), nicht verwendete Animationen sowie die Rücknahme von Zensur-Änderungen (das Blut ist hierzulande nicht mehr grün). Technische Probleme traten im Test nur am Rande auf, z.B. ein paar Abstürze beim Wechsel zwischen dem Spiel und Windows.