Test: Geheimakte: Tunguska (Adventure)

von Jörg Luibl



Geheimakte: Tunguska (Adventure) von Deep Silver
Geheimakte: Tunguska
Publisher: Deep Silver
Release:
25.04.2008
30.08.2006
30.11.2018
25.04.2008
15.10.2015
Jetzt kaufen
ab 9,50€
Spielinfo Bilder Videos
Wer hat heutzutage noch Lust, ein weiteres Mystery-Adventure in Point&Click-Manier zu spielen? Davon gibt es doch Dutzende. Oder sind es Hunderte? Alle wollen diesen zauberhaften Charme alter Zeiten einfangen, die meisten bleiben irgendwo zwischen erzählerischer Belanglosigkeit und altbekannter Rätselmotorik stecken. Aber es geschehen noch Zeichen und Geheimakten…

Herrlich logisch!

Wasser fließt. Butter schmiert. Klebeband klebt. Katzen mögen Thunfisch. Hunde mögen Fleisch. Salziges macht durstig. Gelb und Blau ergeben Grün. Magnete ziehen Eisen an. Männer mögen Frauen. Glühbirnen platzen bei Überhitzung. Rizinusöl macht den Magen frei. Die Zwille schießt die Lampe aus. Der Muskelprotz biegt das Eisen um...

Wo ist der Wissenschaftler Kalenkow? Nina erzählt Kommissar Kanski vom Verschwinden ihres Vaters.
Keine Bange - ich will hier keine Ode der Selbstverständlichkeiten singen. Aber das sind einige der herrlich logischen Auswirkungen in Geheimakte: Tunguska . Selbst wenn euer Inventar rappelvoll ist, werdet ihr mit ein wenig Überlegung den passenden Gegenstand für euer Problem finden. Und das selbst bei mehrstufigen Kombinationen: Da liegt ein fragiles Mobiltelefon auf einem hohen Ast - was tun? Mülltüte raus, mit dem Eimergriff verstärken, dann beides an den Besenstiel und schon hat man einen Auffangbehälter!

Überraschung in Sibirien

Warum ich mich darüber so freue? Weil es sich durch das ganze Spiel zieht. Weil es endlich wieder Unterhaltung mit kreativen Rätseln gibt. Weil das Ganze auch noch von einem kleinen deutschen Team ohne großes Tamtam entwickelt wurde.  Puzzledesigner Jörg Beilschmidt und die Jungs von Animation Arts tauchen ebenso überraschend auf der Adventure-Bühne auf wie im Frühling 2004 die unbekannten Tschechen von Unknown Identity mit Black Mirror .

Sie lösen keinen Sturm der Innovation aus, der das Genre umwälzt, aber sie bringen so angenehm frischen Wind in die verstaubte Statik: Die Lösung ist immer zum Greifen nah, die Belohnung der nächste Schritt in einer Story, die Happen für Happen mehr Appetit macht. Die Probleme sind mal augenscheinlich, mal knifflig, mal komplex, aber nie unfair oder künstlich schwer. So muss es in jedem Adventure sein. Ich will Probleme nicht über sieben abstruse Ecken lösen, sondern über den logischen Weg. Und dann meinetwegen auch über drei oder vier Ecken - es muss nur nachvollziehbar sein. Wie habe ich Scratches atmosphärisch geliebt, aber in den Sackgassen verflucht...

Natürlich muss man auch in Tunguska mal über Hürden knobeln und Inkonsequenzen in Kauf nehmen, aber das gehört dazu. Insgesamt bietet das Spiel im Genrevergleich aber kaum Frustmomente und dazu noch eine unheimlich gute Mischung an Kopfnüssen, die alles von der einfachen Schlüsselsuche über die Itemkombination bis hin zum recherchierten Codewort oder Verschieberätseln abdecken. Mal muss man die Umgebung gut beobachten und ihre Zeichen deuten oder einfach Gespräche aufmerksam verfolgen. Damit ist es sowohl für Einsteiger als auch Veteranen interessant, falls sie das Mysterium um Tunguska lösen wollen. Und dafür brauchen sie keinen Walkthrough, keine Google-Tipps, denn das Spiel bietet genug interne Unterstützung.

Kampf den Sackgassen

Ihre ersten Ermittlungen führen Nina durch das Naturkunde-Museum in Berlin. Gab es da Geräusche unter dem Saurier?
Ich hasse es, wenn ich irgendwo eine Kleinigkeit übersehen habe und deshalb durch ein Adventure irren muss. Sackgassen ohne den Hauch eines Hinweises oder zeitlich bzw. regulierte Itemaufnahmen, die mich zwar Gegenstände sehen, sie aber erst dann ins Inventar stopfen lassen, wenn man sie braucht - dieses restriktive Korsett will ich nicht immer wieder anlegen müssen. In Tunguska könnt ihr alles mitnehmen, auch wenn es erst zwei, drei Bildschirme später notwendig ist. Und hier bekommt ihr auf Wunsch alle Gegenstände eines Bildschirms angezeigt: Space drücken und Lupensymbole zeigen an, wo ihr interagieren könnt - sehr schön! Und: Die Fraktion der eisernen Pixelsuchfetischisten darf dieses Feature mit dem Hauch des Weicheierdunstes ganz abschalten.

Der Hilfekomfort geht noch weiter: Zum einen notiert euer Tagebuch wichtige Ereignisse, so dass ihr in Ruhe alles nachschlagen könnt. Zum anderen könnt ihr euch auf Wunsch sogar Tipps anzeigen lassen, falls ihr mit Nina nicht weiter kommt. Es gibt an einer Stelle ein sehr kniffliges Verschiebe-Rätsel: Ihr müsst alle leuchtenden Punkte auf einem Spielbrett ausschalten. Hier kann man sich einen Wolf klicken. Hier kann man zum ersten Mal frustriert sein. Und hier könnte man das Spiel verfluchen. Aber wer in der Rätselhilfe hinten nachschlägt bekommt einen Tipp für die ersten drei Züge - danach sollte es klappen. So sieht guter Service aus! Ich entscheide als Spieler, ob ich zwei Wochen Gehirnjogging betreiben will oder sofort in der Story weiter kommen möchte. Letzteres ist bei Tunguska übrigens sehr wahrscheinlich, denn das Erzählte ist richtig gut.

Berliner Odyssee

Worum geht es überhaupt? In der Rolle von Nina Kalenkow spürt ihr im Jahr 2006 eurem verschwundenen Vater nach. Sein Büro ist durchwühlt, sein Haus steht leer. Als Mitglied der russischen Akademie der Wissenschaften hat er sich scheinbar mit der Tunguska-Katastrophe des Jahres 1908 beschäftigt. Was ist damals passiert? Meteoriten? Außerirdische? Atombombe? Und was hat ihr Vater damit zu tun? Ein dubioser Kommissar, anonyme Kuttenträger und der russische Geheimdienst lassen nichts Gutes ahnen. Und vor allem wecken sie die Neugier, weil man zunächst nicht so recht weiß, ob das Ganze Richtung Spionage-Thriller, Wissenschafts-Krimi oder Akte-X tendiert.

Nina ist das ohnehin egal. Die schlagfertige Tochter mit den hohen slawischen Wangenknochen lässt sich nicht beirren und folgt den verschlungenen Spuren von Berlin bis nach Sibirien. Die Story mag auf den ersten Blick den Charme eines belanglosen Mystery-Romans versprühen. Manches wirkt gerade zu Beginn etwas zu durchsichtig. Doch die Qualität zieht schnell an, denn die Dramaturgie stimmt und die Köder der vagen Andeutungen sind unheimlich appetitlich. Hinzu kommt, dass der Plot immer nachvollziehbar bleibt: Man will wissen, was zum Henker da in Sibirien abgeht! Genau im passenden Moment werden interessante Figuren und Schauplätze in die Ermittlungen eingeflochten oder plötzliche Wendungen serviert: Eine zweite spielbare Figur namens Max taucht auf, Nina wird gefangen, ein Zug entgleist, eine irische Bruderschaft macht ihre Aufwartung - herrlich: Neugier, was willst du mehr?      
Geheimakte: Tunguska ab 9,50€ bei kaufen

Kommentare

Wulgaru schrieb am
Naja, zeige mir mal ältere Adventures mit nicht peinlichem Writing. Tunguska war damals technisch recht hübsch, aufwendig inszenziert und synchronisiert und die Rätsel waren halt klassisch Point and Click. Ich glaube allerdings auch das vieles in der Tat genauso sollte, als spielbarer Groschenroman halt.
Als jemand der zwar kein Hardcore-Adventure-Fan ist, aber durchaus gerne welche spielt...das hier hält der Zeit meiner Meinung nach jedenfalls besser stand als die Sachen von Telltale, die gar keine Adventures sind und die man genauso gut bei Youtube gucken kann. Ich mag die Sachen von Daedalic zwar am liebsten, aber die Akte-Reihe will ich nicht missen.
vogelpommes schrieb am
Ich weiß, ich musste mir das trotzdem mal von der Seele schreiben :D Außerdem ist 2006 jetzt nicht soooo lange her und die Qualitäten einer guten Story oder stimmungsvollen Schauplätzen müssten heute eigentlich die gleichen sein wie damals, gerade das wurde von vielen so gelobt und kann ich so gar nicht nachvollziehen in diesem Spiel. Und ich rede nicht von der Grafik.
Gute Spielmechaniken wie Pong oder Tetris taugen übrigens nicht für einen Vergleich, die sind zeitlos und machen heute noch genauso viel Spaß.
johndoe1238056 schrieb am
Reviews sind im Kontext ihrer Zeit zu verstehen? Hä? Wieso das denn?
Ich finde Pong und Asteroids generell auch total überbewertet. Der Arcade-Automat von Asteroids hat beispielsweise nicht mal einen Joystick... was soll der Scheiß? Wenn ich Tasten für links und rechts drücken will, gehe ich zur PC Masterrace.
Ich will die 15000 Peseten wieder zurück und von verschwendeter Jugend habe ich noch gar nicht angefangen.
Danke Merkel und Atari!!!!
vogelpommes schrieb am
Es ist das Jahr 2022 und ich wollte mal ein klassisches Point & Click Game zocken und angesichts der vielen fast schon euphorischen Tests, auch hier, habe ich mich für Geheimakte: Tunguska entschieden...
Mein Gott war das ein peinlicher, schlecht geschriebener, pubertärer, sexistischer und uninspirierter Schrott :D Ich bin echt verwundert wie selbst Jörg so von diesem Spiel begeistert war. Ich schätze 2006 war das noch eine andere Welt, aber wie kann man so eine plumpe, chaotisch geschriebene, vorhersehbare Story voller Klischees und karikaturhaften Charakteren so lobpreisen? Der Humor ist sehr oft völlig unpassend und der Situation unangemessen, inklusive cringeworthiges Brechen der vierten Wand. Und die Hintergründe sind so bunt und zusammengewürfelt ohne jeglichen Sinn für eine durchgängige Atmosphäre oder Ästhetik, dass es mich an Wimmelbildspiele erinnert hat, stimmungsvoll geht sicher anders.
Ich will die 15 Stunden meines Lebens zurück :lol:
Edit: Hab noch vergessen die Rätsel zu erwähnen, gerade gegen Ende wurden die immer absurder und lächerlicher, mit Trial und Error kommt man noch irgendwie durch, aber so toll und logisch wie Jörg hier schwärmt war das sicher nicht! XD
GAMERtimo schrieb am
Meine Wertung für Geheimakte Tunguska!
Postives:
+ mitreßende Geschichte
+ nützliche Spielehilfen
+ beeindruckende Präsentation
+ abwechslungsreiche Plätze
+ toll inszenierte Atmosphäre
+ gelungene Musik- und Soundkulisse
+ viele Personen mit Ausdruck
+ einfache Point&Click Steuerung
+ hochspannende Zwischensequenzen
+ zwei spielbare Charaktere
+ auflockernde Gespräche
+ Rätsellogik- und Vielfalt
+ angemessener Schwierigkeitsgrad
+ schöne Spieldauer
Negatives:
- leider eher aufgesetzter Schluss
- bei der Spiellänge wäre aufgrund der ein wenig zu hastig und unfertig beendeten Geschichte noch mehr drin gewesen
Spielspaß: 87 %
FAZIT:
Ich kann nur sagen:
Ich bin unheimlich überrascht! Es macht einfach Spaß mit zwei ausgesprochen interessanten Charakteren an wunderschönen Orten zu rätseln.
Aber ein ärgerliches Manko gibt es leider schon: Als ich den Abspann sah, dachte ich: Das war`s?
Von der Spiellänge ist das Game schon wirklich umfangreich, aber das Ende wirkt leider etwas unfertig und unbefriedigend, sodass das Spiel einem doch ein bisschen zu, wie soll ich sagen, kurz vorkommt.
Nichts desto trotz ändert es nicht daran, dass Geheimakte Tunguska einer der besten Adventures bleiben wird, denn richtig viel Freude am Zocken gab`s ohne jeglichen Zweifel, denn spielerisch ist es auf allerhöchstem Niveau!
Gruß
Timo
schrieb am