Eskalierende Dialoge
Aber die besten Momente liefern die Dialoge mit den wichtigen Charakteren: Mal abgesehen davon, dass sie klasse animiert sind, so dass eine lebendige, fast schon intime Atmosphäre entsteht, gibt es hier situative Spannung auf höchstem Niveau: Gerade spricht man mit einem aggressiven Kunden über die Bezahlung, während man sich frei umschaut, überall Gefahr in Blicken lauern sieht. Im Hintergrund erkennt man eine Gestalt, die sich immer mehr für das Gespräch interessiert. Erst kommt sie langsam, dann schnell näher und plötzlich eskaliert die Situation...
Die Inszenierung der Gespräche ist klasse.
Mit seinen Antworten beeinflusst man, teilweise bei tickender Uhr, den folgenden Streit. Dabei kann man entweder selbst draufgehen, sein Gegenüber je nach entwickelten Talenten (ausgegraut erkennt man nicht verfügbare Optionen aufgrund zu niedriger Werte) überzeugen oder einen direkten Kill meistern. Überlebt der große Typ namens Royce allerdings, gibt es später einen Bosskampf. Diese Offenheit und diese Dialogszenen, die es auch im kleineren Rahmen gibt, werden neben den Intrigen und Fraktionen im Hintergrund das Salz in der Rollenspielsuppe sein. Und genau hier, in der Inszenierung der Gespräche, zeigt CD Projekt RED einen klaren Fortschritt gegenüber The Witcher 3.
Keine Reaktion?
Trotzdem gibt es auch eine gewisse Ernüchterung und zwischen diesen grandiosen Szenen sowie dem Alltag manchmal einen gefühlten Bruch. Vom lebendigen Figurenverhalten oder animierten Feinschliff eines Red Dead Redemption 2 ist man in der Stadt selbst oder in den umliegenden Zonen ein gutes Stück entfernt. Die normalen Leute reagieren meist nur mit Einzeilern auf den Spieler, bewegen sich noch recht ruckartig um die Ecken oder bilden Staus an Zebrastreifen - das sind natürlich alles Glitches, die bis zum Release verschwinden können. Auch dass die Technik hier und da an ihre Grenzen zu kommen schien, gehört dazu.
Das Figurenverhalten wirkt nicht immer nachvollziehbar: auf Diebstahl gibt es keine Reaktion.
Aber als ich in einem kleinen Kaff als Fremder an den Tisch von drei Typen schlenderte, die optisch nichts als Ärger versprachen, und einfach ihren Mikrochip sowie ihr Getränk vor ihren Augen stibitzte, passierte: gar nix. Nicht mal ein Spruch...
...nicht falsch verstehen: Das ist kein "Gamebreaker", aber das war ein Dämpfer für meine Immersion. Ich habe nach dem plumpen Prinzip der offenen Tür samt All-you-can-grab in The Witcher 3 einen Fortschritt in diesem Bereich des Spieldesigns erwartet - zumal man ja diesmal auch Stealth-Action à la
Deus Ex inszeniert. Und wenn schon Privatbesitz nicht markiert ist, sollte zumindest eine nachvollziehbare Reaktion erfolgen. CD Projekt RED sagte auf Nachfrage, dass ein Diebstahlsystem letztlich zu kompliziert gewesen wäre, vor allem in den Konsequenzen. Okay - genau das hatte mir Marcin Iwinski allerdings schonmal erklärt, in einem sehr netten Brief. Nur ist das auch fünf Jahre her und man spielt hier keinen Hexer mehr.