Emotional und brachial
Offene Welt? Von wegen! Der fulminante Einstieg erinnert mit seiner gekonnten Inszenierung, geskripteter Dramatik und eingeschränkter Bewegungsfreiheit mehr an einen interaktiven Film, vergleichbar mit den ersten Spielminuten eines The Last of Us. Und der Kampf des schwer verletzten Protagonisten vom Koma zurück ins Leben hat mich sowohl gepackt, berührt als auch schockiert. Ja, Hideo Kojima versteht es erneut, den Spieler, den Filmliebhaber und vor allem die Fans der Reihe innerhalb weniger Minuten zu begeistern – und das mit dem cineastischen Flair, der so typisch für die Reihe ist, aber hier mit etwas mehr Interaktion angereichert wird. Wenn man als schwer verletzter Big Boss hilflos ans Bett gefesselt ist, kann man sich in den meisten der abgespielten Sequenzen z.B. frei umsehen.
Nach etwa einer Stunde endet der dramatische Prolog, der mitunter surreale Züge annimmt. Snake erholt sich nicht nur zunehmend, sondern wird auch wieder mit einem alten Mitstreiter (und Gegenspieler) vereint: Revolver Ocelot. Er hielt in den vielen Jahren, in denen Snake im Koma lag, die Stellung und baute zusammen mit Master Miller nach den Ereignissen in Ground Zeroes eine neue Motherbase auf, um den Kampf gegen die Organisation Cipher fortsetzen zu können. Problem: Derzeit mangelt es der Diamond Dogs getauften Söldner-Armee noch an Rekruten, die Basis bietet weder viel Komfort noch Ausrüstung und ausgerechnet Miller als zentraler Pfeiler der Truppe ist jüngst dem Feind in die Hände gefallen, der ihn in einem afghanischen Camp mit ruppigen Verhörmethoden sicher zu Tode foltern wird.
Freiheit in Afghanistan
Neben Hubschraubern zählt das D-Horse zu den wichtigsten Transportmitteln für Snake.
Selbstverständlich starten Snake und Ocelot umgehend eine Rettungsmission – der erste von vielen Einsätzen, die noch folgen werden. Und ab diesem Zeitpunkt baut Kojima Productions wieder voll auf dem Gerüst auf, das man mit Ground Zeroes und auch Peace Walker geschaffen hat: Statt einem linearen Spielverlauf zu folgen, entscheidet man hier selbst, wann man welche Mission in Angriff nimmt oder ob man überhaupt die optionalen Nebenaufträge absolviert. Und auch bei der Ausführung genießt man enorme Freiheiten, ob man in Rambo-Manier das Feuer eröffnet oder den Schleichansatz wählt, bei dem man die Umgebung zunächst per Hightech-Fernglas ausspäht und den entdeckten Patrouillen entweder ausweicht oder sie unauffällig ausschaltet und anschließend in Verstecken wie Containern oder hohem Gras deponiert. Bevor man die Widersacher ohnmächtig würgt oder ihnen brutal die Kehle durchschneidet, erweist sich oft ein Verhör als nützlich, bei dem die Opfer recht bereitwillig Informationen zu Standorten von bestimmten Personen, Munition, wichtigen Dokumenten oder nützlichen Ressourcen ausplaudern. Außerdem kann man sie dazu zwingen, andere Wachen in der Nähe herbeizurufen, die schnell das gleiche Schicksal ereilt. Die KI könnte allerdings noch ein paar Intelligenz-Injektionen gebrauchen: Zwar agiert sie insgesamt etwas cleverer als in Ground Zeroes, schwärmt bei der Suche gut aus und fordert Unterstützung an, steht manchmal aber auch auf dem Schlauch und wandert gefühlt mit zwei Augenklappen durch die Prärie. Viele der anderen grundlegenden Spielmechaniken werden 1:1 aus dem Prolog-Häppchen übernommen, darunter das Markieren von Gegnern, die Inventar- und Waffenauswahl, der CQC-Nahkampf, die optionale Reflex-Zeitlupe oder das automatische Deckungssystem, das sich manchmal als unnötig fummelig erweist, wenn Snake seinen Körper an eine Wand oder ein anderes Objekt presst, obwohl man es eigentlich gar nicht will. Und auch die Kollisionsabfrage zickt manchmal noch herum, wenn man mit Snake wie ein Tölpel ungewollt Objekte umwirft oder ungeschickt mit anderen Figuren kollidiert – das wird hoffentlich noch minimiert.
Dank offener Spielwelt genießt man noch mehr Freiheiten in den Missionen als früher.
Ein paar neue Tricks hat der Spezialagent für Phantom Pain aber doch noch dazugelernt: Beim Kriechen auf dem Boden kann er mit einem Druck auf die Dreieck-Taste absolut regungslos verweilen und sich damit praktisch unsichtbar für Patrouillen machen. Sieht man durchgängige Risse in einer Mauer, kann man neuerdings auch große Häuserwände erklimmen. Das Unterstützungssystem kennt man dagegen schon aus Peace Walker: Benötigt man andere Waffen oder frische Munition, funkt man einfach das Hauptquartier an und lässt sich ein Paket abwerfen. Darüber hinaus wird man auch Luftschläge anfordern können und die Begleiter – wenn man sie denn findet – werden sicher ebenfalls eine wertvolle Rolle spielen. Nicht zu vergessen das treue Pferd, das quasi als mobile Deckung fungiert, indem es Snake erlaubt, sich durch Positionswechsel zur Seite dem Blick der Wachen entziehen und so z.B. ein Lager zu durchqueren, ohne Alarm auszulösen.