Kunterbunte Mischung
Mechanisch und hinsichtlich des Missionsdesign feuert Ubisoft Sofia, unterstützt von einem halben Dutzend anderer Studios, aus allen (allerdings bekannten) Rohren. Die Mixtur aus allem, was in den Teilen 3 und 4 gut war und funktionierte, geht dabei allerdings nur wenig Risiko ein. Was sich nicht nur in Nebenaufgaben zeigt, bei denen man die Lager der französischen Armee plündert, die 1:1 aus Black Flag übernommen wurden. Auch das Aufrüstungs-System, das auf durch Jagd erbeutete Rohstoffe setzt, ist bekannt. Bei den Seemissionen gibt es zwar neue Gegnertypen wie Feuerschiffe, die schnelle Reaktionen bei der Abwehr benötigen. Und auch Eisberge, die einerseits eine Gefahr für das eigene Schiff darstellen, andererseits aber auch zerstört werden können, damit die dadurch entstehende Flutwelle als taktisches Element eingesetzt werden kann, sind neu. Doch ein frisches Spielgefühl entsteht dadurch nicht. Weggefallen sind übrigens die Unterwasser-Missionen, da das Nass mit seinen eiskalten Temperaturen zu einem schnellen Gesundheitsverlust bei Shay führt. Als Ersatz gibt es zahlreiche Schauplätze, die ähnlich der Kavernen der Ezio-Trilogie angelegt sind.
Egal ob zu Lande oder zu Wasser: Überraschungen sucht man selten. Ubisoft inszeniert ein routiniertes Assassin's-Creed-Abenteuer.
Bei den Landmissionen bot sich ebenfalls meist Bekanntes. Durch den bereits erwähnten Granatwerfer und das Luftgewehr, das im Wesentlichen die gleiche Aufgabe (mit höherer Reichweite) erfüllt wie das Blasrohr aus Teil 4, bekommen Gefechte und Schleichen zwar eine leicht andere Dynamik. Doch im Wesentlichen fühlt sich Rogue so an wie die letzten Ausflüge mit Assassinen und Templern. Allerdings hinterlässt die KI in den zwei Missionen sowie der freien Welt einen noch zwiespältigeren Eindruck. Mitunter wacht sie mit Argusaugen, so dass man jeden Schritt wohl überlegen muss. Dann wiederum schafft sie es nicht einmal, den Grund für den unsanft vom Dach gestürzten Kameraden ausfindig zu machen – geschweige denn, ihn zu verfolgen oder eine Jagd zu organisieren. Die Achillesferse der letzten Teile könnte auch Rogue zum Verhängnis werden. Zumal Shay mit seinen Gadgets noch überlegener scheint als die bisherigen Protagonisten; zumindest waren die Auseinandersetzungen gegen die zahlreichen Feinde kein allzu großes Problem.
Das Ende der Fahnenstange?
Die Kulisse bringt die Konsolen der letzten Generation an die technische Grenze.
Neu sind die Assassinen, die Shay nach dem Leben trachten. Wobei "neu" in diesem Fall relativ ist und auf die Kampagne beschränkt werden muss. Denn wenn ein Grundrauschen im Geräuschpegel zunimmt und man mit dem Adlerblick versuchen muss, die sich unter die Zivilbevölkerung mischenden oder in Verstecken aufhaltenden Feinde zu erhaschen, wird klar, wo Ubi Sofia sich bedient hat: beim Multiplayer-Modus. Und hier wie dort entsteht dadurch zusätzliche Spannung, die sich auch positiv auf das Spielerlebnis auswirkt. Ich musste einen Endgegner erledigen, war aber nicht vorsichtig genug, so dass er mich beim Anschleichen bemerkt hat. Und meine Verfolgung wurde unsanft beendet, weil ich die Warnungen in der Hektik nicht beachtet habe und urplötzlich aus dem Gebüsch ein Feind auf mich zustürzte und im Handumdrehen ausschaltete. Klar habe ich mich geärgert. Aber ich habe dadurch auch Respekt vor der neuen Gefahr bekommen, die auch erzählerisch gut begründet scheint. Nutzt man die Option, über Knallkörper die Assassinen aus ihrem Versteck zu locken, verliert man den Respekt allerdings teilweise wieder. Denn dann rennen die aufgescheuchten Meuchelmörder schnurstracks auf einen zu und betteln quasi darum, sie auszuschalten, anstatt sich zu verziehen und aus dem Hintergrund einen neuen Versuch zu starten. Ich hoffe, dass Ubisoft die Zeit bis zum Release noch nutzt, um die KI-Routinen etwas auf Vordermann zu bringen.
Grundlegend wenig Optimierungsbedarf hingegen gibt es bei der Kulisse. Die in den letzten Jahren stets weiter entwickelte AnvilNext-Engine zaubert abermals überzeugende Stadtpanoramen mit authentischer Architektur auf den Bildschirm. Allerdings wird die Leistungsfähigkeit der alten Systeme allmählich an die Grenze geführt. Die seit Teil 1 die Serie begleitenden Merkmale wie aufploppende Schatten, Texturen oder ganze Personengruppen findet man auch hier, wobei in den Landmissionen bei entsprechender visueller Pracht zusätzlich die Bildrate in gefährlich niedrige Bereiche abrutschen kann – was allerdings auch der Vorschau-Version geschuldet sein kann. Zu Wasser hingegen gibt es wenig zu meckern. Vor allem die Schneestürme, in denen die Sichtweite gefährlich nach unten gehen und damit u.a. Eisberge, aber auch gegnerische Schiffe verbergen kann, machen einiges her. Dass man sich bei der Serie an hohe visuelle Standards gewöhnt hat, ist das eine. Dass es Ubisoft immer wieder schafft, diese Standards nicht nur zu halten, sondern sie meist zu übertreffen, ist das andere. Und auch Assassin’s Creed Rogue dürfte in diese Kategorie gehören.