Die Macht der Höhe
Was mir besser gefiel als das Figurendesign und so manche Begegnungen war das grundsätzliche Leveldesign, das auch das Stöbern abseits des Hauptpfades belohnt: Es gibt in der Kapelle von Selune z.B. einen gefährlichen Raum mit Fallen, in dem man schon fast in Puzzlemanier sowohl Objekte als auch Bewegung und Zauber kombinieren muss, um als Grabräuber nicht von Feuersalven geröstet zu werden. Vor allem die Vertikale sorgt sowohl in der Landschaft mit ihren Hügeln und Felsplateaus als auch in Dungeons oder Ruinen für deutlich mehr potenzielle Plattformen und Wege, so dass man viel Freiheit hat - selbst Wege über Balken unter dem Dach sind möglich. Zumal man aus der Höhe auch deutliche Vorteile für den Fernkampf bekommt, was Trefferchance und Schaden betrifft. Das ist schon in den ersten Kämpfen wichtig, denn die eigenen Helden haben ja teilweise nur einstellige Lebenspunkte und sind schnell tot - sehr schön! Schade ist übrigens ein kleines Detail: Nach einem Wiederbelebungszauber gibt es keinerlei Reaktion oder Dank; es wird einfach weiter erkundet oder gekämpft.
Selbst im Gebälk kann man sich positionieren.
Die ausufernden, teilweise über eine halbe Stunde laufenden Kämpfe wirkten fast wie eine XCOM-Variante: Neben der eigenen Positionierung sind auch Sicht- und Ziellinien, Deckung sowie die Laufwege und Tränke wirklich wichtig. Ich mag Spiele nicht, die mein Inventar vollmüllen, weil ich auch alles ohne den Einsatz regeln kann - hier wird man froh sein. Diebe können fast wie in einem Stealth-Abenteuer die Beleuchtung löschen oder mit magischen Pfeilen für Dunkelheit sorgen, hinter Wachen schleichen und sich dabei die roten Tabuzonen anzeigen lassen. Apropos Diebstahl oder andere Verbrechen: Laut Larian werden diese in einem mehrstufigen System gespeichert und beeinflussen den Ruf.
Auch im Vorfeld eines Gefechts kann man sich übrigens helfen, indem man das Gelände erkundet, sich also proaktiv positioniert oder untoten Wachen z.B. die Waffen klaut, bevor sie aufwachen. Aber Vorsicht: Das Aktionsprinzip ist so aufgeteilt, dass erst der Gewinner der Initiative seine Gruppe komplett befehligt, bevor der andere an der Reihe ist - das Zeitfenster dafür liegt für jede Partei bei sechs Sekunden in Echtzeit. Kann man also bis dahin von A nach B kommen, ohne entdeckt oder getroffen zu werden? Während man pausiert und seine maximalen Distanzen sowie die Laufwege der Feinde studiert, darf darüber in aller Ruhe gegrübelt werden...
Sprünge wie der Hulk
Welche Wege sollte man in seinem Zug, der sechs Sekunden Echtzeit verbraucht, vermeiden? Man kann jederzeit pausieren.
Man muss seine Vierergruppe clever bewegen, kann sie aufteilen, um Hinterhalte zu legen oder von zwei Seiten anzugreifen und muss dabei sowohl das Sprinten als auch Springen einsetzen; beides wurde nahezu in jeder Runde ausgiebig eingesetzt. Letzteres hinterlässt allerdings nach ein, zwei Stunden einen faden Beigeschmack, weil es fast an Superhelden erinnert, wenn die Stufe-1-Abenteurer derart in die Höhe schießen und dann wuchtig wie Hulk mit Bereichsschaden landen. Natürlich müssen sie dafür nicht mehr überall klettern oder Leitern einsetzen, außerdem können sie es wohl nur einmal pro Tag einsetzen, aber die Sprünge wirkten etwas zu übertrieben in der Inszenierung - vor allem, wenn die Gegner-KI sie nicht derart einsetzen sollte.
Apropos: Larian muss aufpassen, dass man es mit den physikalischen Experimenten, vor allem den Fässern, nicht so übertreibt wie in Divinity. Denn es kann nicht sein, dass ein Boss nicht bemerkt, dass da gerade jemand hinter ihn gesprungen ist und mal eben ein fettes explosives Fass aufstellt, das man danach natürlich so beschießen konnte, dass er wie ein Blatt Papier durch die Gegend flog...hier müsste die nötige Würfelprobe 19 von 20 lauten.
Falls jemand stirbt, sollte man einen Wiederbelebungszauber parat haben - oder eine Schriftrolle.
Richtig gut gefallen hat mir hingegen, dass es alternative Möglichkeiten gab: Man hätte diesen Boss z.B. auch eine Etage tiefer in den Abgrund stürzen können, wo wiederum Riesenspinnen lauerten. Auch abseits der taktischen Vielfalt ist das Arsenal an kleinen Manövern und natürlich Zaubern cool für kleinere Aktionen, die sich alle an der 5. Edition von Dungeons & Dragons orientieren. Es ist z.B. wichtig, dass man sich rechtzeitig neben umgefallene bzw. anfällige Feinde stellt, um diese automatisch beim Aufstehen mit einem Schlag zu treffen. Man sollte das Gelände mit dem Schmiere-Zauber eindecken, damit sie ausrutschen und seine drei magischen Pfeile gut verteilen. Beim dreistündigen Probespielen blieben natürlich viele interessante Zauber unausgesprochen. Wer sich etwas mit der fünften Edition beschäftigt, weiß ja z.B., dass der ehemals mächtige "Schlaf", mit dem man auch mal eine halbe Armee Gnolle außer Gefecht setzen konnte, stark abgeschwächt wurde.
Die Fallen haben es in sich: Wie kommt man lebend an die Beute?
Ein Fragezeichen bleibt noch hinter dem Dialogsystem: Einerseits ist es gut, dass man je nach Rasse und Klasse sowie eigenen Werten andere Optionen in Gesprächen bekommt. So kann man je nach Charakter andere Leute überreden, becircen oder einschüchtern. Andererseits wirkte das Überzeugen über die Wurmfähigkeit zu stark: Die Würfelproben waren recht einfach, so dass sie auf lange Sicht die "normalen" rhetorischen Fähigkeiten überflüssig machen könnten. Aber noch ist nicht ganz klar, wie häufig man diese zusätzlichen Kräfte einsetzen kann.