Bosskämpfe aus der Hölle
Die kleine Pumpgun-Orgie von oben ist nichts im Vergleich zu diesen famosen Showdowns. Dabei geht es nahtlos vom Film ins Spiel über. Capcom befindet sich hier auf einem Niveau mit Konamis hollywoodreifen Drehbuchmeistern. Aber im Gegensatz zu Metal Gear Solid 3 seid ihr hier von Anfang an als Spieler mittendrin, müsst während der Filme reagieren. Aufgrund dieses Mittendringefühls fiebert man mit jeder Sekunde mit, die Finger immer zittrig am Controller.
Denn die Antagonisten haben es in sich. Angefangen bei muskelbepackten Hünen mit zugenähten Augen, die bei jedem Geräusch ihre langen Klauen ausfahren und euch nach Gehör jagen: Bedient ihr eine Glocke, rammen sie ihre Stahlklingen dort tief in den Beton. Es geht
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Jeder Bosskampf wird ganz sensibel in einem kleinen Filmchen vorbereitet... |
weiter über Bildschirm füllende Skorpion-Ungetüme, Messer kämpfende Elite-Soldaten und Fleischriesen, die Tolkiens Oger mit ihren mächtigen Pranken zu Witzfiguren degradieren: Sie zerquetschen und zertrampeln euch wie Fliegen. Ihr müsst im richtigen Moment auf ihren Nacken spurten, um euer Messer schnell über A-Knopf-Gehämmer hinein zu rammen. Manchmal braucht man drei Anläufe, um einen "El Gigante" zu Fall zu bringen. Capcom serviert euch auch mal welche im Doppelpack in einer engen Arena mit wabernder Lavagrube - ich hab geschwitzt wie ein Schwein.
Solche Momente vergisst man nicht. Und es gibt viele andere Szenen, die sich aufgrund ihrer intensiven Darstellung einbrennen: Da ist ein dunkler Gang. Licht flackert. Die Musik hallt metallisch wie in Silent Hill 2. Ein Röhrensystem zieht sich wie eine düstere Autobahn an der Decke entlang. Und dann kommt etwas. Es ist schnell, klettert mühelos an Wänden entlang. Es geifert, zischt und hat Klauen. Alien lässt grüßen. Doom 3 lässt grüßen.
Oder eine andere: Man wird verfolgt. Mehrere Dutzend Fanatiker wollen euch und Spanier Luis lynchen. Da ist ein Haus. Man stürmt zusammen hinein. Man verbarrikadiert Türen und Fenster. Man sitzt in der Falle. Dann bersten die ersten Scheiben, brechen die ersten Türen. Rücken an Rücken versucht man, den blutrünstigen Mob aufzuhalten. Kennt ihr Butch Cassidy und Sundance Kid? Dieses Wir-gegen-alle-Gefühl? Capcom nutzt die ganze Klaviatur des heroischen Kampfes. Aber nicht piano, sondern fortissimo.
Shooter oder Survival-Horror?
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Die Zwischensequenzen bestechen durch coole Kamerawinkel und Zeitlupenakrobatik. |
Es gibt Momente, da fühlt man sich an die Projektilseligkeit von Max Payne erinnert. Es gibt sogar eine Szene, in der ihr wie an einem D-Day des Horrors durch ein Sandsacklabyrinth hetzt, während um euch herum alles explodiert und detoniert, weil schwere MGs und ein Kampfhubschrauber das Gelände durchpflügen. Man ballert sich fast in einen Rausch. Capcom spielt eine ganz neue Actionkarte aus, die die Pomadigkeit der Vorgänger klar übertrumpft. Damit geht man eindeutig neue, actionreichere Wege. Ist Resident Evil 4 jetzt ein Shooter? Nein. Leon kann weder Strafen noch manuell in Deckung gehen, vorwärts rollen oder automatische Gegner anvisieren. Er kann sich noch nicht mal auf Knopfdruck, sondern nur an bestimmten Stellen ducken. Und er zielt mit seinem roten Laser langsam, sehr langsam. Dieser Mangel an Bewegungsfinessen und die Zähigkeit beim Anvisieren verleihen dem Spiel trotz der Action einen gefährlich gemächlichen Rhythmus.
Man könnte dieses Fehlen spezieller Moves und das langsame Drehen als Kontrapunkt auflisten. Aber es ist in Wirklichkeit ein Pluspunkt für die Atmosphäre: Denn so hat das Grauen mehr Zeit, euch einzukreisen, und so habt ihr weniger Zeit, es aufs Korn zu nehmen. Bis auf eine schnelle 180-Grad-Drehung geht es immer im Schritttempo oder rennend vorwärts - aber ihr könnt euch nie gleichzeitig bewegen und schießen. Auch das schiebt einer rasanten Shooter-Orgie einen Riegel vor. Trotzdem bietet euch Resident Evil 4 das dynamischste Erlebnis der Reihe, denn es geht auch von oben zur Sache: Ihr könnt Dächer und Türme erklimmen, um aus der Höhe zu ballern, kletternde Feinde einfach samt Leiter umstoßen, hinterher springen, Türen eintreten und nahtlos in den Nahkampf gehen. Alles in übersichtlicher Schulterperspektive, die ihr bei Bedarf mit dem gelben Analogstick anpassen könnt - echte Kameraprobleme wie in den Vorgängern sind passé.