Die große Depression
Wir schreiben das Jahr 1938. Boston befindet sich nach wie vor in den Klauen der großen Depression. Armut und Arbeitslosigkeit bestimmen die Gesellschaft der USA, als der namenlose Protagonist von White Night in einer verregneten Nacht mit seinem Auto verunglückt. Schemenhaft hatte er eine Frau auf der Straße wahrgenommen, bevor sein Wagen gegen einen Baum prallte. Hatte er sie überfahren? Wo war dann ihre Leiche? Verletzt schleppt er sich auf der Suche nach Hilfe in Richtung eines noblen Anwesens. Doch als er die Türen der Familienvilla des Industriemagnaten Henry Vesper aufstößt, betritt er einen Albtraum aus Dunkelheit und Schatten, dessen Fänge ihn mehr als nur seine geistige Gesundheit kosten könnten.
Was hat die Jazz-Sängerin Selena mit der Geschichte der Vespers zu tun?
White Night verbindet den Noir-Flair der USA in den 1930er Jahren durch einen künstlerischen Clou mit dem klassischen Herrenhaus-Horror: Die gesamte Kulisse ist monochrom. Es gibt fast keine Graustufen und nur selten durchbricht eine gedämpfte Farbe den scharfen Schwarz-Weiß-Kontrast. Durch diesen Kniff wird die gesamte Umgebung zu einer finsteren Graphic-Novel, in der jede Lichtquelle blendend weiß und jeder Schatten abgrundtief schwarz erscheint. Verbunden mit der düsteren Grundstimmung, einer hervorragenden Klavier-Untermalung und dem subtilen Grusel des Herrenhauses entsteht so eine beklemmende Atmosphäre. Spätestens wenn die schwere Eingangstür ins Schloss gefallen ist, ist man gefangen in einer nicht enden wollenden Dunkelheit.
Licht als wichtigste Ressource
Dementsprechend ist Licht die wichtigste Ressource in den düsteren Räumen des Anwesens. Da die Elektrik der 30er Jahre bestenfalls unzuverlässig und die Nacht rabenschwarz ist, tappe ich meist nur im spärlichen Schein eines Streichholzes durch die Finsternis. Stehe ich zu lange im Dunkeln werde ich verrückt, sodass jedes einzelne
Der spärliche Schein von Zündhölzern ist die wichtigste Ressource in White Night.
der im Haus verteilten Zündhölzer zu einem überlebenswichtigen Rettungsanker wird. Schön: je länger ich in der Finsternis bleibe, desto nervöser ist auch der Protagonist und verschwendet schon mal zwei, drei der wertvollen Lichtquellen, bevor der schwache Feuerschein flackernd zum Leben erwacht.
Doch auch elektrisches Licht spielt eine wichtige Rolle – nur im Schein von Glühlampen bin ich sicher vor den geisterhaften Schatten, die die Dunkelheit der Villa bevölkern und mich bei Berührung in den Wahnsinn stürzen. Und nur elektrisches Licht kann die Schattenwesen dauerhaft vernichten. Hektisch suche ich daher jeden Raum nach einem Schalter ab und genieße jeden einzelnen der spärlichen Lichtkegel. Zudem basieren viele der Rätsel auf dem Schaffen von ausreichender Beleuchtung. So können Kisten oftmals nur mit beiden Händen geöffnet oder ein Schrank nur ohne störendes Streichholz in den Fingern verschoben werden – allerdings müssen zuvor oftmals Kerzen entzündet, Kaminfeuer entfacht oder Stecker eingesteckt werden.
Die Aufgaben sind durchweg logisch und vergleichsweise geradlinig entworfen, erfordern aber viel Aufmerksamkeit, da die Entwickler glücklicherweise darauf verzichtet haben, blinkende Questmarker oder offensichtliche Hinweise zu verwenden. Viele Lösungen ergeben sich so nur durch die Beobachtung der Umgebung oder herumliegende Notizen. Sehr schön!