Special: Legacy of Kain: Soul Reaver (Action-Adventure)

von Jörg Luibl



Legacy of Kain: Soul Reaver: Amy Hennigs vampirisches Meisterwerk
Vampir-Dämmerung
Entwickler:
Publisher: Eidos
Release:
27.01.2000
1999
31.03.1999
03.03.2009
03.03.2009
03.03.2012
Spielinfo Bilder Videos

Im August 1999 sorgte Legacy of Kain: Soul Reaver für Begeisterung. In der Spätphase der ersten PlayStation inszenierte das Team von Crystal Dynamics, das ein Jahr zuvor von Eidos gekauft wurde, ein außergewöhnlich stimmungsvolles Abenteuer rund um einen Vampir names Raziel. Warum dieser Blutsauger zu den interessantesten Helden der Videospielgeschichte gehört und weshalb dieses meisterhaft erzählte Action-Adventure so faszinierte, verraten wir im Rückblick.



Das vampirische Erbe

Offiziell handelte es sich bei diesem Soul Reaver zwar um einen Nachfolger: Die Geschichte von Raziel beginnt 1500 Jahre nach den Ereignissen aus Blood Omen, das drei Jahre zuvor für PlayStation erschien. Aus diesem Spiel stammte auch der immer noch aktive vampirische Anführer Kain sowie die Konzeption einer düsteren Welt, in der die Menschen nahezu ausgerottet wurden. Allerdings hatten sich das Spieldesign und das Team komplett geändert: Während man als Kain noch in klassischer Draufsicht zweideimensional metzelnd unterwegs war, erlebte man dieses  Abenteuer als sein verbannter Sohn Raziel in der modernen Schulterperspektive in 3D - und zwar mit einem komplett anderen Spielgefühl, bei dem der Wechsel zwischen den Welten sowie eine unheimlich gut erzählte Geschichte im Vordergrund stand. Zunächst wollte man daraus übrigens ein komplett eigenständiges Abenteuer namens "Shifter" machen...

Bis Raziel die legendäre Klinge "Soul Reaver" führen konnte, musste er mit Klauen, Fackeln und anderen Waffen kämpfen.
Bis Raziel die legendäre Klinge "Soul Reaver" führen konnte, musste er mit Klauen, Fackeln und anderen Waffen kämpfen.
...aber Crystal Dynamics blieb der von Silicon Knights etablierten Vampirwelt von Nosgoth treu. Nur führte nicht mehr Denis Dyack (u.a. Eternal Darkness) die Regie, mit dessen Studio man sich nach Blood Omen aufgrund der Rechte heftig verkrachte, sondern die 1964 geborene Amie Hennig, die bis dahin eher unbekannt war. Sie erwarb in Kalifornien einen Bachelor in englischer Literatur, aber zu NES-Zeiten und später bei EA war sie eher im Bereich Grafik und Animation aktiv, u.a. an Desert Strike und Michael Jordan: Chaos in the Windy City. Auch bei Blood Omen half sie künstlerisch mit - und sie scheint Eindruck hinterlassen zu haben.

Denn drei Jahre später übernahm sie sowohl die komplette Story als auch das Spieldesign. Und ihr gelang, lange vor der von ihr konzipierten Uncharted-Reihe, ihr erstes Meisterwerk. Sie etablierte mit Raziel nicht nur einen tragischen Helden, mit dem man sich sehr gut identifizieren konnte - und der außergewöhnlich markant von Michael Bell gesprochen wurde. Sie inszenierte auch eine epische, tiefgründig konzipierte Rachegeschichte zwischen Vater und Sohn, die so einige tolle philosophische Dispute sowie inhaltliche Überraschungen bot. Wer sich für die Vampire interessierte, wurde hier nicht mit einer kitschigen Gut-Böse-Story abserviert, sondern auf einem Niveau unterhalten, das erst viele Jahre später in Vampire: Die Maskerade - Bloodlines (2004) wieder in Ansätzen erreicht wurde. Schon das zweiminütige Intro sorgte für Gänsehaut!

Dieses auf das wesentliche reduzierte 3D-Abenteuer sah auf der ersten PlayStation nicht nur klasse aus, sondern hörte sich auch hervorragend an: Der Soundtrack von Greg Shaw, Kurt Harland und Jim Hedges ist übrigens hier erhältlich. Er verstärkte diese melancholische Monumentalität und erzählerische Rätselhaftigkeit, die in meinen Erinnerungen sehr lange nachhallte - aus heutiger Sicht finde ich dort einige Ähnlichkeiten zu ICO (2006) und Dark Souls (2010); nicht nur hinsichtlich der Wirkung der Spielwelt. Soul Reaver nahm so einiges an Faszination und Spieldesign-Weisheit vorweg.

Der geflügelte Blutsauger

Wenn ich Raziels Odyssee mit einzelnen Worten beschreiben müsste, würde ich sie traurig, episch, düster, elegant, brutal, erstaunlich, mysteriös, überraschend und anspruchsvoll nennen. Das Spielerlebnis wurde nicht nur vom ansehnlich

Man konnte zwischen materieller und spiritueller Welt wechseln.
Man konnte zwischen materieller und spiritueller Welt in dezent grüner Kulisse wechseln. Aprops Grün: Diese Farbe hatte auch das Blut in der deutsche Version...
animierten, aber taktisch recht simplen Kampf mit Klauen, Fackeln, Speeren oder Schwertern, sondern auch der Erkundung inklusive einiger Kletter- und Sprungpassagen geprägt, die allerdings nicht wie in Tomb Raider zentimetergenause Absprünge forderten. Der nach einem Erzengel benannte Held profitierte dabei von seinen halb zerfetzten Flügeln: Er konnte damit ein wenig abheben, stilvoll aus großer Höhe in die Tiefe gleiten und sich an Abgründen festhalten. Noch wichtiger als die Akrobatik waren jedoch die Rätsel und die damit verbundenen Weltenwechsel, die die Erkundungsreize erhöhten.

Raziel konnte die materielle Gegenwart verlassen und in eine parallele Geisterwelt wechseln, die die grundlegende Architektur eines Levels spiegelte. Zwar gab es auch einige sterile, manchmal etwas überflüssig anmutende Bereiche: Trotzdem sorgte der Moment des Wechsels für eine spektakuläre Transformation der Umgebung in Echtzeit - und es gab nahezu keine Ladedezeiten! Man betrat ein fremdes Reich, das sich an wichtigen Stellen nicht nur visuell unterschied. So konnte man über einfache Interaktionen, wie etwa das Verschieben von (vielen) Blöcken, auch Wechselwirkungen für die andere Welt auslösen - weitere Plattformen oder Wege wurden zugänglich. Auch wenn es keine knackigen Kopfnüsse gab: Ich weiß noch genau, dass ich mich manchmal wie in einer Sackgasse fühlte, weil ich so manche Aufgabe nicht auf Anhieb durchschauen konnte. Was natürlich sehr gut zu Raziels jüdischen Wurzeln passte, wo er als "Engel der Mysterien" verehrt wird; sein Name bedeutet im Hebräischen "Geheimnis Gottes".

Mehr als eine 08/15-Rache

Auch die oftmals so plump eingesetzte Rache wurde hier schon interessant eingeleitet, indem sie Motive der göttlichen Verbannung Satans abwandelte: Obervampir Kain fürchtete die Macht seines ehemals menschlichen Sohnes, nachdem nur diesem die wundersamen Flügel wuchsen. Also zerfetzte er sie und verbannte den Rivalen in den Abgrund, wo er auf ewig verloren als geplagte Seele dahin siecht - aber ein paar Jahrhunderte später belebt ein Gott den Ausgestoßenen, der natürlich nur ein Ziel hatte: Kain zu

Manche Wege konnte man nur frei machen, wenn man zwischen den Welten wechselte und für permanente  Wechselwirkungen sorgte.
Manche Wege konnte man nur frei machen, wenn man zwischen den Welten wechselte und für permanente Wechselwirkungen sorgte.
töten. Das Problem war, dass Raziel mit seinem geschundenen Körper noch nicht stark genug war, nicht mal schwimmen konnte und sogar ständig Lebenskraft in der materiellen Welt verlor. Da konnten ihm auch mal umherziehende menschliche Vampirjäger gefährlich werden, zumal einige Kämpfe aufgrund etwas zickiger Kamera unnötig hektisch werden konnten.

Aber er gewann wieder langsam an Kraft, indem er die Seelen seiner getöteten Feinde verspeiste, nachdem er sie erst kampfunfähig schlug, um sie dann entweder ins Licht oder Wasser zu werfen. Und vor allem wurde er mächtiger, indem er seine Brüder tötete - der Tod dieser vampirischen Anführer bescherte Raziel wichtige Fähigkeiten in der Bewegung, dazu Telekinese sowie neue Kampfmanöver, was ihm ähnlich wie in Metroid Prime (2003) neue Wege in bereits bekannten Gebieten öffnete - oder gar geheime Areale zugänglich machte. Die Brüder waren übrigens weit mehr als bloße Minibosse, denn auch ihr Schicksal wurde sehr gut mit der Geschichte verwoben, die ja auch noch viele Bezüge zum Vorgänger Blood Omen enthielt.

So fühlte man sich als Teil eines durchdachten vampirischen Universums, das Amy Hennig 2001 in Legacy of Kain: Soul Reaver 2 (PC, PS2; Wertung: 87%) und ein letztes Mal 2003 in Legacy of Kain: Defiance (PC, PS2; Wertung: 88%) weiter ausbauen konnte. Auch wenn ein geplanter Nachfolger namens "Soul Reaver: Dead Sun", der bis 2012 immerhin drei Jahre (!!!) bei Climax (Silent Hill: Shattered Memories) in Entwicklung war, vor allem aufgrund schwacher Verkaufsprognosen eingestellt wurde, hält sich bei vielen die Hoffnung auf eine Fortsetzung der Saga. Es wäre wunderbar, wenn man nochmal in einem neuen Abenteuer in diese Welt abtauchen könnte. Ansonsten würde ich auch Remakes nehmen.

Ihr interessiert euch für die Geschichte der Vampire? Wir haben eine kleine Einführung im Angebot.

Kommentare

James Dean schrieb am
johndoe-freename-83104 hat geschrieben: ?06.08.2018 22:07
Wie seht ihr das? Gibt es unter euch auch welche die sich seit knapp 20 Jahren logische Antworten auf Logiklöcher suchen oder evtl. Antworten zu einigen offenen Fragen haben?
Ich müsste mal wieder BO2 und vor allem Defiance spielen, um zu sehen, was du meinst. War Janos' Auftritt in Defiance nicht zeitlich VOR den Ereignissen in BO2? Er taucht doch auf, wenn die Säulen zerstört werden, wenn ich mich recht erinnere. Vielleicht verwechsel ich auch etwas. Aber ich hatte nie das Gefühl, dass es da so viele Logiklöcher gab.
Der Vergleich mit MGS passt recht gut. MGS5 hätte etwas werden können, hätte Konami nicht vorher den Stecker gezogen und Kojima gezwungen, einen Teil des Spiels zu streichen. Nur deshalb sind viele Dinge nicht geklärt worden. Von daher muss ein neuer Teil nicht zwangsläufig schlecht sein, aber ein neuer Soul Reaver Titel wäre, käme er heute raus, absolut beschissen und hätte nur noch Action und keine Rätsel mehr. Siehe Tomb Raider. Und das stammt aus demselben Haus.
johndoe-freename-83104 schrieb am
Also Auch wenn ich mit BO2 erstmals an die Serie herangeführt wurde, muss ich doch zugestehen, dass ich wünschte es würde BO2 nicht geben. Die anderen Teile der Reihe waren um so viel besser. BO2 hinterließ leider zusammengefasst nur extreme Logiklöcher (bspw. wie kommt Janos Audron in Defiance her. Ist ist doch in der Welt der Hylden gefangen, usw.).
Die einzige Serie die meines achtens nach ebenbürtig war ist die Metal Gear Reihe. Daher würde ich eine Remake zustimmen, aber einem komplett neuen Teil eher nicht. Das Risiko die Welt um Nosgoth zu zerstören ist zu groß. Auch bei MGS5 hat sich Kojima stark verzettelt und viele Logiklöcher hinterlassen. Die Story war hier mit Teil 4 gut abgeschlossen und mit Teil 5 zerstört.
Wie seht ihr das? Gibt es unter euch auch welche die sich seit knapp 20 Jahren logische Antworten auf Logiklöcher suchen oder evtl. Antworten zu einigen offenen Fragen haben?
PS: Ich würde wohl trotzdem auch einen neuen Ableger der LOK Reihe kaufen.
Bussiebaer schrieb am
Legacy of Kain ist derzeit im Weekend-Deal auf GOG zu finden, für 1,29 Euro pro Titel
:-)
Astorek86 schrieb am
Die Atmosphäre der Spiele zieht dank zeitloser Qualitäten (enorm gute Musik, ernsthafte Synchronsprecher und eine Story, die sich in Sachen Dramatik konsequent ernst nimmt) immer noch rein, aber leider merkt man dem Leveldesign und den Charakterpolygonen an, dass es sich ursprünglich um PS2-Spiele handeln. Die Kulissen sind zwar selbst für heutige Verhältnisse noch reich mit unterschiedlichsten Texturen tapeziert, aber die Levelgeometrie mit ihren geringen Polygonen und die Abwesenheit moderner Effekte sind leider hoffnungslos veraltet. Immerhin wirkt der Artstyle ein wenig entgegen; so schlimm wie frühe 3D-Titel ist es bei den Spielen IMHO gottseidank nicht^^.
Defiance hat sich noch am Ehesten ganz gut gehalten und ist IMHO heute noch, von flachen Texturen abgesehen, ganz ansehnlich und hat ein paar richtig gute Effekte spendiert bekommen. Das Kampfsystem dort ist auch am Zugänglichsten. Leider wird man ganz besonders im letzten Drittel nichts von der Story kapieren, wenn man keinen Vorgänger gespielt hat^^.
Das erste Soul Reaver ist als PS1-Titel grafisch natürlich weit abgeschlagen und IMHO auch spielerisch klar der schwächste Teil. Hier war auch die Synchronisation noch nicht so gut; ab Soul Reaver 2 erreicht sie jedoch IMHO kinoreife Qualität^^.
Interessieren würde mich, wie heute das Kampfsystem bei den Spielen gewertet würde. Defiance ist ja schon fast der Prototyp eines (sehr leichten) Devil May Crys aus PS2-Zeiten. Die Vorgänger waren IMHO recht simpel, etwas taktisch, hatten aber auch einen Arcade-Flair...
Masta Matze schrieb am
Remastered aller Teile auf einer Blu-Ray bitte. Danke. :)
Soul Reaver war genial, aber ich zu doof für die Rätsel. Blood Omen war genau mein Ding.
Hab die Spiele und Konsolen zwar noch da, aber Angst um meine Augen
schrieb am