4Players: Könnten Sie sich kurz vorstellen und ihre Rolle bei der Entwicklung von "The Moment of Silence" (MOS) beschreiben?
| Martin Ganteföhr: Na klar. Ich bin 34 Jahre alt, und wenn man mich siezt, bin ich sofort beleidigt...
4Players: ...das lag nicht in unserer Absicht! Wir verkürzen sofort den Abstand und wechseln zum gemütlichen Du. Besser?
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Martin Ganteföhr: Ja. Ich bin der Autor von
The Moment of Silence , schreibe das Design Document und den Dialog, manchmal scripte ich auch ein bisschen, und koordiniere die inhaltlichen Arbeiten unserer externen Teams.
4Players: Wir haben ein bisschen in deiner Vita gestöbert: 1968 geboren, Schulwechsel ohne Ende, Zivildienst in einer psychiatrischen Klinik, Studium der Sprach- und Literaturwissenschaft, Terra X-Writer, WISO-Writer…das ist ja genug Material für ein autobiographisches Adventure!
Martin Ganteföhr: Ahem. 1969, bitte. Sonst stimmt aber alles. Ob das für ein autobiographisches Adventure reichen würde, weiß ich nicht so genau, denn auch wenn die oben genannten Plot Points ganz interessant aussehen, wäre der große Rest der Story doch eher lau: Nimm Kaffee. Benutze Kaffee mit Kaffeemaschine. Gehe zu Computer. Benutze Computer. Benutze Bett. Womit ich nicht sagen will, dass das Schreiben für ein Adventure nicht auch autobiographisch gefärbt sein könnte; das ist es – gerade bei Dialogen – natürlich schon, jedenfalls bei mir. Trotzdem kommt in MOS aber keine Kaffeemaschine vor.
4Players: Was hast du genau studiert?
Martin Ganteföhr: Ich war in Sprachwissenschaft spezialisiert auf theoretische Linguistik und Phonologie, und in Literaturwissenschaft auf strukturalistische Erzähltheorie. Das klingt womöglich etwas bizarr, aber beide Schwerpunkte konnte ich dann mit Gewinn für die Spieleentwicklung verwenden. Insbesondere der strukturale Aufbau von Mythen und mündlich weitergebenen Erzählungen beschreibt im Prinzip die Struktur eines Adventures.
4Players: Aha – interessant! Inwiefern?
Martin Ganteföhr: Ähm, soll ich wirklich...?
4Players: Ja, bitte!
Martin Ganteföhr: Na gut, aber das wird jetzt etwas akademisch: Bereits frühe strukturalistische Überlegungen zu Mythen haben gezeigt, dass ein Mythos immer eine invariante, vielfach verzweigte Form der Erzählung ist. Mit jeder Weitergabe und jedem neuen Erzähler verändert sich die Geschichte, es werden Dinge hinzugefügt, weggelassen, mehr oder weniger stark betont usw. Der Kern der Geschichte, die essentiellen Plot Points also, bleiben jedoch in allen Formen erhalten. Legt man die tausenden von unterschiedlichen Strukturvarianten eines Mythos wie Klarsichtfolien übereinander, zeigt sich in den Übereinstimmungen, also dem, was alle Varianten der Geschichte gemeinsam haben, der eigentliche Kern.
Tja, und genauso funktioniert ein Adventure. Wer ein Adventure spielt, der erzählt sich sozusagen selbst auf interaktive Weise eine Invariante einer Geschichte, und jeder tut dies für sich individuell. Dennoch haben hinterher alle Spieler die essentiellen Teile der Geschichte gemeinsam erlebt. Vielleicht klingt das schwierig – aber denk einfach an den Trivialmythos von der Spinne in der Yucca-Palme: In wie vielen verschiedenen Versionen und Ausschmückungen hast Du den schon gehört? Und dennoch ist es im Kern immer und für uns alle dieselbe Story.
4Players: Vielleicht hast du ja jetzt den ein oder anderen Adventure-Liebhaber zum Mythen-Studium motiviert. Eine ganz andere Frage: Was unterscheidet den Infotainment- und Steuertipp-Schreiber vom Adventure-Autor?
Martin Ganteföhr: Die Infotainment-Arbeit war schon sehr stark Richtung Adventure angelegt, ich würde sagen, dass sich damals mein weiterer Weg entschieden hat. Die WISO-Software war eine Sache, in der es eher um Design von Applications, Erstellen programminterner Inhalte und professionelles Schreiben von Sachtexten ging – da musste mein lyrisches Ich natürlich vollständig in den Hintergrund treten. Der entscheidende Unterscheid ist aber der Kontostand: Früher hatte ich Unsummen Geld, heute überweise ich es anderen Leuten, damit die an MOS arbeiten. Tja.