Kleine Schritte
Nach einem Sieg kann man übrigens zahlreiche Ausrüstungsgegenstände und Zutaten aufsammeln. Wenn ich auf längeren Ausflügen mein Ziel schon gespannt vor Augen habe, geht mir das langwierige Auflesen, Vergleichen und Sortieren zwar auf den Senkel. Im Gegenzug freue ich mich aber über jeden bitter benötigten Gegenstand. Denn mein Abenteuer entpuppte sich nach leichtem Einstieg als ausgesprochen schwierig. Natürlich hätte ich jederzeit den Schwierigkeitsgrad senken können, aber wo kämen wir denn da hin?
Wer seinen Helden anfangs frei der Nase nach Fähigkeiten zuweist, für den könnten frühe Gegner jedenfalls zum kaum überwindbaren Hindernis werden. Dass Roderick und Scarlett von Beginn an theoretisch die gesamte Welt bereisen dürfen, verschärft den Eindruck der eigenen Schwäche nur. Ich musste deshalb lange beißen, habe einzelne Feinde an meine Gruppe heran teleportiert und bin geflohen, sobald ich die Erfahrungspunkte für ihren Tod eingeheimst hatte. Ich musste überlegen, welche kleinen Aufgaben ich schon erledigen konnte, um auch dadurch Punkte zu sammeln und Erfahrung mit anderen Taktiken zu gewinen.
Ein zähes Spiel? Ja. Aber ein gutes! Ich bin nämlich kein Freund der glatten Spielbalance, wie sie häufig gepriesen wird. Ich will mich in ein Abenteuer hinein fuchsen, um notfalls durch eine krumme List einen Weg zu finden – anstatt zu wissen,
In den ersten Stunden kann das Abenteuer schwer sein. Wer auf der sicheren Seite sein will, wählt vorgefertige Helden gewöhnlicher Klassen oder stellt die Schwierigkeit auf Leicht.
dass es sowieso klappen wird. Es gefällt mir zwar nicht, dass es Fallen gibt, die meine Helden ohne Vorwarnung töten. Doch lieber nutze ich das Schnellspeichern, als mich ständig treiben zu lassen.
Handgemacht
Die vielen Gegenstände haben aber noch einen ganz anderen Vorteil: Aus ihnen baue ich eigene Ausrüstung und braue Tränke oder koche Lebensmittel für Statusverbesserungen. Selbstverständlich finde ich auch starke Waffen, während ich nutzlose Ausrüstung verkaufe. Schwerter könnte ich allerdings einschmelzen, um das gewonnene Roheisen in einer Axt zu verarbeiten. Hacke ich mit dieser ein Stück Holz, erhalte ich Knüppel, die nützliche Waffen sein können. Und falls sich noch ein paar Nägel finden, um den Knüppel zu veredeln...
Dieses Divinity ist richtig stark, wenn es um die Reparatur und Verbesserung sowie Herstellung eigener Ausrüstung geht. In der heutigen Zeit erinnert das altmodische Rollenspiel deshalb nicht nur an Ultima 7oder
Baldur's Gate, sondern auch an moderne Überlebensspiele im Stil eines
DayZ. Diese Möglichkeiten sowie die physikalischen Kämpfe verleihen ihm große spielerische Tiefe. Klingt es seltsam, dass Rivellon vor allem dank der schieren Menge an Materialien und Gegenständen lebendig wirkt? Es ist nicht das Leben in den weitläufigen Bethesda-Schauplätzen oder das hinter den tief blickenden Charakterzeichnungen bei BioWare; hier treibt mich das umfangreiche spielerische Tun zum Entdecken der faszinierenden Welt an.
Überquellen statt Quell der Freunde
Ohne Makel ist das Sammeln, Basteln, Kochen, Handeln allerdings nicht. Denn das Umherschieben in den Rucksäcken der bis zu vier Figuren ist mitunter eine Geduldsprobe. So ist es zwar schön, dass ich beliebig viele Gegenstände in Beuteln sortieren kann.
Die Position von Fenstern merkt sich das Spiel nur selten und der Handel ist umständlich.
Die Position einzelner Fenster merkt sich das Spiel jedoch nicht, weshalb ich vor vielen Griffen meine Sortierung neu herstellen muss.
Richtig umständlich ist der Verkauf, denn während des Handels kann ich Gegenstände nicht mehr von einer Person zur nächsten schieben. Auch weil ich nicht aus Beuteln heraus verkaufen darf und weil die Gegenstände anders sortiert sind als im Rucksack, muss ich mich in jedes Verkaufsfenster erst hineindenken. Und obwohl ich zwischen den Sammlungen aller Gruppenmitglieder wechseln darf, vergleicht das Spiel die Eigenschaften eines Objekts stets mit der aktiven Ausrüstung des Charakters, der das Gespräch mit dem Händler begonnen hat. Ich kann Gegenstände sogar so bearbeiten, dass ich einen besseren Preis rausschlage – doch all das mindert meine Vorfreude aufs Geldverdienen so sehr, dass ich lieber warte, bis die Rucksäcke fast überquellen.