Heute ein König
Shelly Harrison sollte
ursprünglich Duke Nukem heißen und so richtig ausgetrieben hat man ihr den Duke nie. Immerhin droht und zetert die Dame genau wie ihre männliche Stilvorlage. Von “Imagine the future, ‘cause you’re not in it!” über „Talk shit, get shot!“ bis “Say my name!” ist alles dabei. Denn Anspielungen gehören ebenso zum Programm wie generisches Rumpöbeln. Das gilt nicht nur fürs Wort, sondern auch für den einst versprochenen Kuchen, einen Companion Cube oder Kondomautomaten mit der Frage, wer gerne etwas Wang hätte.
Nichts davon ist tiefsinnig. Charakterentwicklung sucht man vergeblich und die Geschichte dient allein als Vorwand, um kybernetische Kreationen („worthless consumer models“) aus der Werkstadt des gemeinen Dr. Heskel loszulassen. Also schmeißt man dem Einen Sprüche an den Kopf und den Anderen Kugeln dagegen. So wie es der Duke getan hätte. Und tatsächlich verbindet die geistige Fortsetzung noch viel mehr mit dem Klassiker als die meisten modernen Nachfahren mit ihren jeweiligen Ahnen. Ion Fury nutzt nämlich die gleiche Technik, die schon damals den alten Haudegen antrieb.
Retro modern
Gut, natürlich wurde die Build-Engine weiterentwickelt. Sie unterstützt moderne Auflösungen, OpenGL – alles, womit man sie heute problemlos starten kann. Wer will, schaltet außerdem den Software-Modus ein und das Breitbild aus, um vollends in den Neunzigern zu versinken, aber so weit bin ich nicht gegangen. Auch Entwickler Voidpoint belässt es ja nicht mit einem sturen Klon alter Klischees, sondern hat moderne Shooter-Tugenden wie
So sieht es aus, wenn Technik von damals einen Shooter von heute antreibt.
Kopfschüsse sowie das Nachladen der Waffen hinzugefügt. Und gerade Ersteres bereichert die ohnehin schon knallende Action um unverschämt satte Ausrufezeichen.
Letzteres erweitert hingegen die taktische Komponente, die trotz der rasanten Schusswechsel ganz allgemein nicht zu kurz kommt. Verschiedene Gegner zwingen nämlich zu unterschiedlichem Vorgehen, wobei die Wahl der Waffe neben schnellen Positionswechseln eine besonders große Rolle spielt. Schließlich verfügt jede über einen zweiten Schussmodus, sodass man die Schrotflinte auch als Granatwerfer nutzt, mit zwei Maschinengewehren gleichzeitig feuert und selbst den einfachen Revolver nie ad acta legt, weil man mit seinem westernartigen Schnellfeuer auch starke Gegner loswird.
Satt und knackig
Wenn Granaten explodieren, rumpelt der ganze Bildschirm, Kopfschüsse erwähnte ich schon – die Action in Ion Fury gehört zum Knackigsten, was man derzeit erleben kann! Und sie ist vor allem angenehm fordernd. Auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad musste ich manche Szenen jedenfalls mehrfach angehen, weil viele Gegner nervöse Zeigefinger haben und sich sehr flott bewegen. Das ist nie unfair, sondern immer eine gelungene Herausforderung an Hand, Auge und das, was beides verbindet. Ein Tipp übrigens: Lasst das Spiel mit mindestens 120 Bildern pro Sekunde laufen bzw. schaltet auf 60-Hertz-Monitoren den V-Sync ab. Ion Fury profitiert für mein Empfinden mehr als andere Spiele von der so reduzierten Eingabeverzögerung.
Perfekt ist die Action ja nicht. Gelegentlich kommt es z.B. vor, dass Gegner in Wänden hängenbleiben oder sich aus anderen Gründen nicht mehr vom Fleck bewegen. Mir ist auch aufgefallen, dass die Pfeile der Armbrust schon mal wie im Boden verschwinden oder direkt gen Decke schießen, obwohl ich auf einen Feind am Boden gezielt habe. Doch das sind Kleinigkeiten, die nur der Vollständigkeit halber erwähnt sein sollen.
Bosskämpfe oder ähnliche Herausforderungen warten am Ende mancher Zonen.
Einmal hin, zweimal her...
Ebenso großartig wie die Action ist dafür das erstklassige Leveldesign, denn die Kulissen sind nicht nur angenehm weitläufig, sie bestehen auch aus teils sehr verschiedenen, geschickt miteinander verbundenen Abschnitten und lassen auf überzeugende Art eine dystopisch angehauchte Zukunft entstehen. Meist ist man dabei in den Straßen, Gebäuden und Höfen einer Großstadt unterwegs, die teils direkt vor Shellys Augen in sich zusammenfällt – natürlich nicht im physikalisch korrekten PhysX-Sinne, aber mit viel Liebe für Detail und Timing gestaltet. Funktionierende Lichtschalter, Getränkeautomaten oder Überwachungskameras hauchen der Umgebung zusätzliches Leben ein.
Am stärksten trumpft Voidpoint aber mit den spielerischen Elementen auf, auch wenn das Sammeln von Zugangskarten zum Öffnen anfangs verschlossener Türen womöglich wie ein Relikt erscheint. Es ist allerdings auch Bestandteil eines Konzepts, das bis heute nichts von seinem Reiz verloren hat: Man läuft nicht nur einmal an hübschen Wänden vorbei, sondern ist lange in jeder Umgebung unterwegs. Die Kulissen sind beständige Orte – umso mehr, wenn zahlreiche Geheimverstecke darauf warten entdeckt zu werden. Oft sieht oder vermutet man irgendwo eine fette Rüstung, muss sich aber genau umsehen oder gut überlegen, um einen Weg dorthin zu finden. Tatsächlich sind viele Ecken dermaßen schwierig zu finden, dass ich auf etliche schlicht verzichten musste. Gerade das macht die Freude über erfolgreiche Funde aber umso größer.
Eine ganz andere Stärke sind die ständigen Veränderungen im Level. Mal wird eine Mauer gesprengt, mal senkt sich der Boden, mal öffnen sich Türen, aus denen zusätzliche Gegner springen. Man ist nie sicher, sondern muss immer auf der Hut sein – auch das macht Ion Fury so lebendig wie derzeit keinen anderen Shooter.